Enkelin von Maler Max Ernst„Wir leben erneut in gefährlichen Zeiten“

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Amy Ernst: "Pre-History" (2017)

  • Amy Ernsts Großmutter Luise Straus-Ernst war die erste Ehefrau des Surrealisten Max Ernst. Straus-Ernst wurde 1944 in Auschwitz ermordet. Auf den Spuren ihrer Großmutter war Amy Ernst jetzt in Köln.
  • Im exklusiven Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger” erzählt sie unter anderem, wie die Künstlerfamilie mit der schmerzhaften Vergangenheit umgegangen ist.

Köln – Amy Ernst, was führt Sie nach Köln?

Ich erhielt eine Einladung zu Ehren meiner Großmutter, Luise Straus-Ernst. Ich wurde nach ihr benannt – mein zweiter Vorname ist Luise. Vor zwei Jahren habe ich ihr zu Ehren ihren Namen auf dem jüdischen Friedhof verewigt und war bei einem Gottesdienst zugegen. Eva Weissweiler hat ein Buch über meine Großmutter geschrieben, und mit ihr bin ich seit vielen Jahren in Kontakt.

Haben Sie Eva Weissweiler bei den Recherchen geholfen?

Ich habe versucht, Fragen zu beantworten – sagen wir es so. Es gibt viele Dinge, die ich nicht weiß, denn meine Mutter war mehr mit dem Werk meines Vaters beschäftigt, des Malers Jimmy Ernst, der der Sohn von Max Ernst und Luise war. Viele Informationen kamen erst ans Licht durch Eva Weissweiler.

Wenn Sie nicht viel über Luise Straus-Ernst wussten – was war das Wenige, das Sie wussten?

Nur die kleinen Dinge, die mein Vater mir sagte, wie: Du ähnelst ihr sehr. Und wenn ich fragte, was er damit meine, antwortete er nur: Das erzähle ich Dir eines Tages. Und dazu kam es nicht, denn er starb zu früh.

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Also haben Sie nie über Auschwitz gesprochen, und darüber, dass Ihre Großmutter dort von den Nazis ermordet wurde?

Er verweigerte das. Weil es zu schmerzhaft war. Hinzu kam die Frage, warum Sie nicht mit ihm gegangen ist. Mein Vater war damals 17 Jahre alt, fast ein Kind noch, aber unter den Umständen, die damals herrschten, war er dazu verdammt, bereits wie ein Erwachsener zu handeln. Er war stets dazu bereit zu vergeben, denn er glaubte nicht an eine Schuld Deutschlands, sondern daran, dass die Angst, die in so viele Menschen gepflanzt wurde, für den Nationalsozialismus verantwortlich war. Und nun schauen Sie sich an, was in den USA geschieht: Die Parole „Make America great again“, die vom Ku-Klux-Klan stammt – auch hier wird der Angstfaktor wirksam, und dies nicht allein unter ungebildeten Menschen. Ich glaube wirklich an das Gute in den meisten Menschen, aber man muss daran arbeiten.

Haben Sie darüber mit Ihrem Vater gesprochen?

Wir hatten zahlreiche Diskussionen, besonders auch über den Vietnam-Krieg. Ich hatte ältere Freunde, die nach Vietnam gingen und nicht wiederkehrten. Ich nahm am Marsch auf Washington im November 1968 teil – ich war sehr jung, und meine Eltern waren wütend. Nicht, weil sie nicht gegen den Krieg gewesen wären, sondern weil es gefährlich war. Und nun leben wir erneut in gefährlichen Zeiten. Zugleich fühle ich mich in diesem Punkt mit meiner Großmutter verbunden, denn auch sie glaubte immer an das Positive: Als sie sich verstecken musste, sagte sie immer, man solle sich nicht um sie sorgen – sie würde schon einen Ausweg finden. Das tat sie nicht!

Während dem Sohn die Flucht nach Amerika gelang.

Ich denke, dass er Schuld empfand – darüber, dass er sie nicht stärker gedrängt hat, mit ihm zu kommen. Ich denke, dass er immer ein wenig von ihr in mir gesehen hat, das ist die Verbindung. Ich bin der Ernst-Familie so dankbar, dass das Familienleben und -erbe weitergepflegt wird. Es sind mehr als 60 Familienmitglieder.

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Wissen Sie etwas über die Kölner Zeit von Max und Luise? Sie lebten am Kaiser-Wilhelm-Ring 24.

Man hat es mir gezeigt. Aber auch hier gilt, dass ich nur wenig weiß. Ich habe den goldenen Stolperstein vor dem Gebäude gesehen. Ich möchte gerne den Künstler treffen, der damit fortfährt, diese Stolpersteine einzusetzen, um ihm zu danken. Es ist ein Signal: Niemals vergessen! Darum geht es auch bei der Ehrung meiner Großmutter 75 Jahre nach ihrem Tod – und es geht nicht allein um sie. Es geht um alle anderen, ob sie Juden waren oder nicht. Das spielt für mich keine Rolle.

Ausstellung in Frankfurt

Amy Ernst wurde 1953 geboren. Ihre Großmutter Luise Straus-Ernst war die erste Ehefrau von Max Ernst. Sie wurde 1944 in Auschwitz ermordet.

„Die Galerie“ in Frankfurt eröffnet am 4. September die Schau „Surrealism and Beyond“ mit Künstlern, deren Auseinandersetzung mit dem Werk Max Ernsts bedeutsam ist, darunter Roberto Matta und Leonor Fini sowie die „Familienmitglieder“: Max Ernsts vierte Ehefrau Dorothea Tanning, der Sohn aus erster Ehe, Jimmy Ernst, und in einer Sonderausstellung Enkelin Amy Ernst. (F.O.)

Sie sind selbst Künstlerin – fühlen Sie sich durch Ihre Großeltern beeinflusst.

Es war eine sehr interessante Zeit, als ich mich der Kunst zuwandte, zunächst als Praktikantin am Guggenheim Museum in New York – es war die Zeit von Andy Warhol und anderen, und dies war es, was mich beeinflusste. Ich wollte nicht von Max oder Luise beeinflusst sein.

Was bedeutet der Begriff Surrealismus für Sie. Man könnte meinen, er bezeichnete ein rein historisches Konzept?

Nicht für mich. Es geht um eine Realität jenseits der Realität, und gleichgültig wie man dies nennt, ist das Ziel, dem Betrachter eine Ahnung vom Möglichen zu vermitteln, von dem, was sein könnte. Natürlich hängt das vom Betrachter ab. Man kann sehr kenntnisreich sein, was Werke und ihre kunstgeschichtliche Einordnung betrifft, und sie dennoch nicht verstehen.

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