Matthias Davids inszeniert zur Eröffnung der Bayreuther Festspiele Wagners „Meistersinger“ als knallbunte Komödie ohne Altlasten
Eröffnung der Bayreuther FestspieleGeschmacklosigkeit ist Programm

Meistersinger von Nürnberg
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Wenn die Zeiten ernst sind, wünscht man sich von der Kunst Erheiterung. Das war schon immer so. Heiterkeit ist nicht gerade die Grundstimmung im Werk Richard Wagners, immerhin aber hat er wenigstens „Die Meistersinger von Nürnberg“ als Komödie angelegt, deren Humor allerdings umstritten ist. Denn von allen Wagner-Opern ist sie tatsächlich der heikelste Brocken. Es geht schon los mit der Gattungsbezeichnung: Wagner hat das Werk in seinen Entwürfen zwar als „Komische Oper“ bezeichnet, schließlich aber ein Label ganz weggelassen. Weil die „Meistersinger“ eben zutiefst ambivalent sind. Ein Hybrid aus Satire, kunsttheoretischem Diskurs, Tragikomödie, Drama. Und noch dazu stark kontaminiert durch die heikle Rezeptionsgeschichte, die Vereinnahmung durch die Nazis und den begründeten Antisemitismus-Verdacht.
In Bayreuth sollen aber nun – nach zwei betont politischen Inszenierungen von Katharina Wagner und Barrie Kosky – endlich einmal die heiteren Züge des Werks zu ihrem Recht kommen. Pünktlich zur trüben Weltlage. Dazu hat man mit Regisseur Matthias Davids einen ausgewiesenen Musical-Spezialisten geholt, der für Leichtigkeit und Spielwitz sorgen soll. Gute Idee eigentlich. Die Stimmung am Premierenabend ist aufgekratzt, der Promi-Reigen stattlich, Kanzler Merz ist da, seine Vor-Vorgängerin Angela Merkel, Kulturstaatsminister Wolfram Weimer. Doch im Saal gerät der Beginn verwackelt. Denn als Daniele Gatti im verdeckten Orchestergraben für das Publikum unsichtbar den Taktstock hebt zum leider mulmig intonierten C-Dur-Akkord, rumort es im Saal. Etliche sind in den engen Reihen noch auf der Suche nach ihren Klappstuhl-Plätzen, es wird gezischelt, die Smartphone-Taschenlampen tanzen minutenlang in der Dunkelheit.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und seine Frau Charlotte bei der Eröffnung der Bayreuther Festspiele.
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Dann geht endlich der Vorhang auf: Der Bühnenraum gähnt schwarz, eine aberwitzig steile Holztreppe mit Warnschild führt hinauf zu einem winzigen Kirchlein mit erleuchteten Fenstern, das aussieht wie in einem Märklin-Modelleisenbahn-Dorf. Aus dem Off tönt der mächtige Choral, die Bühnenmusiker trödeln herein, Eva schaut von oben herab, unten lungert Walther von Stolzing im Schlabberlook herum und bastelt einen Papierflieger, den er hinaufschießt zu Eva. Er kommt nicht an. Viele vergebliche Flieger liegen schon am Boden, Stolzing lässt sich schließlich mit ausgebreiteten Armen seufzend auf den Boden fallen. Schon diese erste Szene zeigt an: Hier soll es lustig und leicht zugehen, mit starken Bildern und spielfreudigem Personal.
Dick aufgetragen
Matthias Davids erzählt in der Folge die lange Geschichte tatsächlich mit Bravour und Intelligenz, anspielungsreich und bilderstark, obwohl Andrew D. Edwards raffinierte Bühnenbilder und Susanne Hubrichs grellbunt durch die Zeiten vagabundierende Kostüme im Laufe des Abends immer dicker auftragen. Der Regisseur und Choreograf Simon Eichenberger sorgen dafür, dass niemals Stillstand herrscht auf der Bühne, das riesige Solistenensemble ist ständig in miteinander kommunizierender Aktion.
So erzählt Davids viele kleine Geschichten neben der großen, auch kein Mitglied des Chores steht unbeschäftigt herum. Beim Quintett der Hauptfiguren überzeugt eine sorgfältig ausgefeilte Personenführung, die ganz nah am Text bleibt, dennoch manche Situation ganz neu beleuchtet allein durch Gesten, Blicke, gezeigte Unsicherheiten. Optisch und vom Habitus des Bühnenpersonals sind wir bei Davids in der Gegenwart und in einer DSDS-Atmosphäre oder beim ESC, Geschmacklosigkeit ist also Programm. Die Meister tragen bizarre Zipfelmützen, als tage hier ein aufgescheuchter Elferrat, am Büffet labt man sich an Mettigeln und Brühkaffee, einer der Meister verschwindet zum Kiffen in sein Rauchkabinett und Hans Sachs trägt rote Socken, womöglich ein Alt-68er?
Dieser Hans Sachs steht nicht souverän über den Dingen, sondern neigt zu Wutausbrüchen und weinerlicher Melancholie, Eva ist selbstbewusst und zupackend, David ungewohnt lyrisch, Stolzing ein manchmal arg selbstverliebter Ego-Star und Beckmesser endlich einmal keine Nervensäge, sondern eine hinreißend komische, weil eigentlich zutiefst traurige Figur.
Es gibt enorm viel zu sehen in dieser quirligen Inszenierung und witzige Anspielungen, wie etwa einer der Lehrbuben, der als Christian-Thielemann-Lookalike umherspringt. Im heikelsten Moment, wenn es im Finale um die „heil'ge deutsche Kunst“geht, lässt Davids einfach buchstäblich die Luft raus. Die riesige aufgeblasene Plastik-Kuh über der Festwiese fällt schlaff zusammen, weil Beckmesser den Schlauch unterbrochen hat, Eva und Stolzing verdrücken sich einfach, ohne Meisterkette und ohne sich feiern zu lassen. Elegante Lösung.
Aber doch bleibt das Gefühl, dass etwas fehlt an diesem Komödien-Abend, der viel über normale Menschen erzählt, aber eben doch auch viel ausblendet. Nicht nur die toxische Rezeptionsgeschichte, sondern auch jene grundsätzlichen Fragen an die Kunst, die das Werk ja so mit Nachdruck stellt. Musikalisch ist fast alles vom Feinsten, Daniele Gatti gelingt nach verstolpertem Beginn eine flüssige, elegante Gangart und Michael Spyres singt mit seiner stimmlichen Sonderbegabung als Baritenor einen Stolzing mit bronzener Mittellage und feinen Piani, viel Geschmack, oft spontan wirkend, dann wieder mit einem Hang zum kalkuliertem, zerdehnenden Zelebrieren, Christina Nilssons Eva-Sopran ist enorm tragfähig mit leichtem Klirrfaktor, Matthias Stier ist ein David mit Mozart-Schmelz und Georg Zeppenfeld wächst in der für ihn eigentlich zu hoch liegenden Partie als Hans Sachs über sich selbst hinaus. Michael Nagy schließlich ist ein überragender Beckmesser, ein komödiantisches Super-Talent, stimmlich und darstellerisch der eigentliche Held des Abends als abgehalfterter Rocker mit pink leuchtender Laute.
Beim dezimierten und neu besetzten Chor gibt es allerdings reichlich Luft nach oben, es klappert gewaltig, auch wenn die gefürchtete Prügelfuge auf der Bühne ganz nach hinten verlegt ist, sodass nur Diffuses vorne ankommt. Alarmierend ist, dass die frühere Homogenität des Klangs dahin ist, man hört Einzelstimmen heraus, und Forte klingt forciert. Große Begeisterung, kaum Buhs.