Experte zur Intendanz-Suche„Es gibt zehn Künstlerinnen, die das Schauspiel Köln leiten könnten“

Lesezeit 8 Minuten
Ode
von Thomas Melle
Regie: Rafael Sanchez
 
Regie: Rafael Sanchez
Bühne: Thomas Dreißigacker
Kostüm: Maria Roers
Musik: Cornelius Borgolte
Video: Nazgol Emami
Licht: Michael Frank
Dramaturgie: Sibylle Dudek
 
Foto: Krafft Angerer

Das Kölner Ensemble will bis 2026 bleiben. Szene aus „Ode“ von Thomas Melle

Wer wird ab 2024 das Schauspiel Köln leiten? Thomas Schmidt, Professor für Orchester- und Theatermanagement, fordert von der Stadt mehr Transparenz im Findungsprozess.

Thomas Schmidt, das Schauspiel Köln muss seine Intendanz neu besetzen. Sie haben auf einer Diskussion im Depot mehr Transparenz und Teilhabe bei der Suche gefordert. Nun hat die Stadt die Teilnehmenden der Findungskommission öffentlich gemacht. Und diese wiederum hat beschlossen, die Personalvertretung der Bühnen miteinzubeziehen. Reicht das?

Thomas Schmidt: Nein, das ist das minimale Angebot, das die Stadt unterbreiten musste, nachdem sie gesehen hat, wie empört die Menschen auf der Diskussion waren, die Zuschauenden wie die Expertinnen und Experten auf der Bühne, vor allem über die Intransparenz bei der Vergabe einer öffentlichen Position. Die Zusammensetzung der Kommission konnte man sich allerdings an fünf Fingern abzählen. Herr Khuon [Ulrich Khuon, der langjährige Intendant des Deutschen Theaters Berlin, die Red.] ist sowieso fast immer dabei. Frau Beier [Karin Beier, Intendantin des Deutschen Schauspielhauses Hamburg, zuvor Intendantin in Köln, die Red.] hatte sich bereits im Chat zur Diskussion geoutet und die dritte Position bei den Intendanten geht fast immer an eine der beiden Vorsitzenden der Intendant*innengruppe im Deutschen Bühnenverein, das konnte nur entweder Hasko Weber aus dem Nationaltheater Weimar oder Frau Mädler vom Theater Oberhausen sein, die aufgrund ihrer regionalen Nähe auch berufen worden ist. Ein sehr kleiner Kreis von Menschen übt also einen immensen Einfluss auf die Vergabe der Intendanzen in allen deutschen Theatern aus.

Hätten Sie eine andere Besetzung bevorzugt?

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Ich hätte es zum Beispiel gut gefunden, wenn Claudia Schmitz, die Geschäftsführerin des Deutschen Bühnenvereins dabei gewesen wäre. Sie ist eine umsichtige Frau, die auch noch mal die Management-Perspektive eines nächsten Intendanz-Teams oder einer Einzel-Intendanz beleuchten könnte. Ich finde es auch sehr wichtig, dass der Kollege vom Personalrat dabei ist, und zwar mit Stimmrecht. Er gehört aber zur Gruppe des öffentlichen Dienstes im Theater, also aus dem nicht-künstlerischen Bereich. Es ist nun sehr, sehr wichtig, dass auch das Ensemble vertreten ist – und zwar stimmberechtigt. Und dann ist die Findungskommission auch noch komplett weiß, und das in einer Stadt wie Köln. Ich würde deshalb dafür plädieren, dass jemand wie Bassam Ghazi [Gründer des Kölner Import-Export-Kollektivs, Leiter der Bürgerbühne des Düsseldorfer Schauspielhauses, die Red.] mit in diese Findungskommission kommt, einfach als Gutachter, der ermessen kann, ob diverse Kandidatinnen ausreichend berücksichtigt werden und ob die ausgewählte Intendanz, oder das Team, in der Lage ist, mit ihrem Konzept Aspekte der Diversität und der Inklusion zu reflektieren und zu integrieren.

Das Ensemble will nicht nur bei der Intendanz-Suche mitreden, es fordert auch für alle, die bleiben wollen, eine Perspektive bis 2026, dem Zeitpunkt, an dem Stefan Bachmanns Vertrag geendet hätte, wäre er nicht ans Burgtheater berufen worden. Aber ist es nicht selbstverständlich, dass eine neue Intendantin oder ein Intendant mit einem neuen künstlerischen Ensemble antritt?

Es ist ein großer Irrtum und für viele eine nützliche Legende, dass einige denken, das sei schon immer so gewesen. Das ist eine ‚Marotte’ der 90er und der Nuller Jahre, da eskalierte das Verlangen nach einer Tabula rasa auf der Bühne und das Gerücht, ein neuer Intendant könne nur starten, wenn sie oder er das Ensemble austauscht. Man hat sich doch auf die Künstlerische Leitung eines Theaters beworben, in dem diese Schauspielerinnen und Schauspieler zugegen sind. Oft wird deren Qualität noch in der Bewerbung ins Spiel gebracht – und dann, auf einmal sollen diese exzellenten Künstlerinnen und Künstler nicht mehr gut genug sein?

Die Stadt ist in der Pflicht, die Verträge des Ensembles bis 2026 zu sichern.
Thomas Schmidt, Professor für Theatermanagement

Wie wurde das denn vor den 1990ern gehandhabt?

Es gab früher Intendanten, die seriöser waren. Intendanten, die in den 60er, 70er, 80er Jahren Theater leiteten, haben sehr sorgfältig geschaut, was für eine Qualität an Spielerinnen und Spielern vorhanden ist. Erst durch das Regietheater ist die Situation entstanden, dass Regisseure mit einem ganzen Tross an Künstlern durchs Land reisen, weil sie nur mit diesen arbeiten können. Dabei ist das Ensemble das Gesicht des Theaters, nicht der Intendant oder die Intendantin. Es ist schädlich, die Künstlerinnen, die das Gesicht der Stadt sind, ständig auszuwechseln. Großartige Regisseurinnen können übrigens mit allen Spielerinnen arbeiten, die sie antreffen. Das zeichnet sie und ihre künstlerische Exzellenz aus. Nur die unsicheren und unentschiedenen suchen ständig nach einer scheinbaren Perfektion. Ich denke, dass die Stadt in der Pflicht ist, die Verträge der Künstler*innen an diesem Theater bis 2026 zu sichern. Sie kann nicht die schwächsten Glieder in der Gehalts- und Personalkette dafür büßen lassen, dass sie den Fehler gemacht hat, einen Intendanten zu früh aus dem Vertrag gelassen zu haben.

Wir fixieren uns also zu sehr auf die eine Person an der Spitze?

Das ist erst seit den letzten 20, 25 Jahren so, dass sich Intendanten auf den ersten Seiten des Spielzeitheftes gleich mehrfach ablichten lassen. Der Direktor des Berliner Ensembles, Oliver Reese, zum Beispiel, postet ein Bild von sich auf Twitter und Instagram, für das er auf die Spitze des Dachs des Theaters geklettert ist. In meinen Augen ist das Hybris. Mit so etwas machen Intendanten sich und ihr Haus und ihr Ensemble nur lächerlich. Ein Intendant ist der erste Diener seines Hauses und nicht sein ständiges Gesicht, er sollte zuerst Respekt zollen, gegenüber dem Haus, dem Ensemble, den Menschen die darin arbeiten. Sie stehen im Mittelpunkt. Wenn eine neue Intendantin oder ein Team an das Haus kommen, sollten sie genau schauen, was für eine künstlerische Qualität sie dort bereits vorfinden? Köln hat ein Spitzenensemble. Warum sollen die denn alle die Schulplätze ihrer Kinder, die Arbeitsplätze der Ehefrauen oder Ehemänner und die Wohnungen aufgeben, wegziehen und nach neuen Engagements suchen? Warum sollte man 40 Familien das Leben kaputt machen? Das haben sie wirklich nicht verdient!

Warum sollte man 40 Familien das Leben kaputt machen?
Thomas Schmidt, Professor für Theatermanagement

Das, hieß es früher, sein nun mal die Verabredung: Man sitzt als darstellender Künstler immer auf gepackten Koffern. Das wollen Sie aber ändern?

Ich kann nur immer wieder vorschlagen, dass man bei einem normalen Intendanzwechsel mindestens 50 Prozent der künstlerisch arbeitenden Menschen am Theater verlängern muss. Bei Köln handelt es sich um eine übereilte Entscheidung, den Intendanten aus dem Vertrag zu lassen, da ist die Stadt in einer anderen Pflicht. Zudem sollte das gesamte Ensemble und künstlerische Team Verträge mit der gleichen Laufzeit wie der Vertrag des Intendanten bekommen. Ich habe selbst mehrfach so erleben müssen, dass kritische Künstlerinnen oder Künstler aus angeblichen ‚künstlerischen Gründen’ sinnloserweise nicht verlängert wurden – was für eine bodenlose Nicht-Achtung von exzellenten Persönlichkeiten und Künstlerinnen. Seit 2000 hat sich die Periode der Hybris einiger Intendanten verstärkt, die überhaupt keinen Widerspruch mehr dulden.

Ist das ein Grund, warum Sie für Intendanten-Teams plädieren?

Die Last, die auf den Schultern eines einzelnen Intendanten oder einer Intendantin ruht, ist heute zu groß – und deutlich größer als noch vor 15 bis 20 Jahren. In einem Team kann zum Beispiel eine Person die Inszenierungsarbeit und Ensemblepflege übernehmen, eine weitere die Dramaturgische Arbeit koordinieren und beide sich die Außendarstellung und die Lobbyarbeit teilen, die ja immer wichtiger wird. Hinzu kommen die Koordination der künstlerischen Budgets, die Personalentwicklung, Planung, Education, Marketing und Public Relations, die aus der ersten Reihe mitgestaltet werden müssen. Ansonsten geraten sie zu sehr aus dem Fokus.

Die Findungskommission und die Stadt haben politischen Schaden angerichtet.
Thomas Schmidt, Professor für Theatermanagement

Aber die Kölner Bühnen haben doch schon einen geschäftsführenden Direktor?

Ja, aber ich kann mir gut vorstellen, dass so ein exzellenter, kompetenter Mann wie Herr Wasserbauer sich freut, wenn es da in Zukunft jemanden an der Spitze des Schauspiels geben wird, der mit ihm auch über das Budget und Zukunftsfragen kommuniziert.

Kulturdezernent Stefan Charles sagt, der Pool, aus dem man fischen kann, sei sehr klein und das deutschsprachige Theater immer noch sehr männlich geprägt. Es wäre schwierig, eine Frau für die Position zu finden. Hat er da eine unbequeme Wahrheit formuliert oder würden Sie widersprechen?

Tatsächlich gibt es aber im Moment mindestens zehn Künstlerinnen in Deutschland, die das Schauspiel in Köln leiten können. Ich fand diese Äußerung von Herrn Charles deshalb sehr unglücklich, weil er damit ja eigentlich auch eine Meinung der Findungskommission – die sich mit Sicherheit schon vor ihrer ersten Sitzung telefonisch verständigt hatte – und der Politik in Köln wiedergegeben hat, die besagt, es gebe keine Künstlerin, die die Leitungsposition im Theater in der Stadt Köln übernehmen könne. Da hat man einen politischen Schaden angerichtet, das wird in der Theatercommunity landauf landab diskutiert. Nach dieser Einschätzung sollte die Intendanz am besten an ein Frauenteam vergeben werden. Und es gibt wirklich auch ganz hervorragende ehemalige tragende Hausregisseurinnen, die möglicherweise ihre Bewerbung im Team oder alleine eingereicht haben, aber offensichtlich nicht in die engere Wahl kommen dürfen, weil Herr Charles behauptet, dass eine zukünftige Intendanz angesprochen werden muss. Das ist Whitewashing, indem eine Fake-Ausschreibung gestartet wurde, die Demokratie jedoch nur als Branding nutzt, um hinter verschlossenen Türen handeln zu können. Es ist zudem eine Verschwendung von Steuergeldern.

Es gab noch ein weiteres Zugeständnis der Stadt. Zuvor hatte man ein Interim, wie es Stefan Bachmann vorgeschlagen hat, kategorisch ausgeschlossen, jetzt nicht mehr.

Ich glaube, dass es zu 50 Prozent darauf hinauslaufen könnte. Weil die Vorlaufzeit einfach zu kurz ist. Es gibt jedoch auch Teams, die sofort übernehmen könnten. Es kommt hier darauf an, wie sich die Kommission entscheidet. Ich hätte übrigens als Stadt Köln zuerst mit Wien verhandelt und Herrn Bachmann erst ein Jahr später aus seinem Vertrag gelassen. Das wäre durchaus möglich gewesen. Jetzt muss man diesen großen Tanker Theater auf Sicht fahren, das war äußerst unklug.

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