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Kolumne „Durch meine Brille“Die Elemente des Lebens sind zur Ware verkommen

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Frank Nägele

Von der Antike bis weit hinein in die Zeit der Aufklärung spielte sich das Leben in der Vorstellung der Menschen im Kosmos von Feuer, Wasser, Erde und Luft ab. Es entsprach dem, was sie sehen und wahrnehmen konnten. Ohne Feuer keine Wärme. Ohne Wasser kein Entstehen. Ohne Luft keine Atmen. Und ohne Erde kein Platz zum Sein.

Alle wissenschaftlichen Fortschritte – Atommodell, Quantenmechanik, Genforschung – haben nichts daran geändert, dass wir uns den Ur-Elementen immer noch am engsten verbunden fühlen. Das wäre für diese Welt nicht schlimm, wenn der Mensch dazu bereit wäre, das, was alle zum Existieren brauchen, fair zu teilen. Dies ist aber nicht der Fall. Zu groß ist der Trieb zu besitzen, zu vermehren, zu spekulieren und zu gewinnen.

Aktuell begegnen wir diesem Drang in seiner reinsten Form, wo immer Menschen nach einem Ort zum Leben suchen: einer Wohnung, einem Haus, einem Grund. Kurzum: Auf der Suche nach dem Element Erde. Man muss, wenn nicht glückliche familiäre Umstände walten, in der Lage sein, es zu kaufen oder zu mieten. Das verfügbare Geld bestimmt die Lebensqualität. Das war prinzipiell nie anders. Wohnraum ist in deutschen Ballungszentren allerdings so begehrt und teuer geworden, dass unsere westliche Vorstellung vom Recht auf Freizügigkeit und Selbstbestimmung Schaden nimmt. In Abwesenheit von Zinsen auf dem Kapitalmarkt stecken die Besitzenden ihr Geld mit massiver Entschlossenheit in Grund und Boden, der damit vor allem dem Zweck unterworfen wird, noch mehr Geld hervorzubringen.

Bei der Wohnungssuche sind starke Nerven gefragt

Jeder kennt die Geschichten von Menschen, die für sich und ihre Familien keinen bezahlbaren Wohnraum in der Nähe eines von ihnen gewünschten Ortes finden, oder die aberwitzige Summen für winzige Buden aufbringen müssen. Und wer selbst Teil einer solchen Geschichte geworden ist, die sich in der Regel zwischen Internet-Recherchen, Telefonaten mit Maklern, Bewerbungsschreiben, finanziellen Garantien, Gruppen-Besichtigungen und ausbleibenden Rückmeldungen abspielt, der braucht sehr gute Nerven und ein unerschütterliches Selbstwertgefühl.

Neulich habe ich mich mit meinem Sohn (19) auf dieses steinige Feld begeben, um ihm eineinhalb Stunden Zugfahrt pro Tag zu seinem Ausbildungsort zu ersparen. Das ging so ernüchternd zu, dass es fast schon wieder lustig wurde. Drei Stunden Zugfahrt pro Tag hatten ihren Schrecken schnell verloren. Soll der Sohn selbst suchen, wenn er genug Geld verdient. Das bescheidene, längst nicht abbezahlte Haus, in dem wir mit der Familie wohnen, hätte ich jedem Makler für einen erstaunlichen Preis sofort verkaufen können. Aber die kleine Wohnung in der Nähe der nächsten sehr großen Stadt war ein Problem.

Es gibt im Alltagsleben kein einklagbares Recht darauf, zu leben, wo man will. Wie es auch kein Naturrecht auf Nutzung vorhandener Energiequellen – fossil, nuklear oder erneuerbar – gibt. Und wer glaubt, das Problem der Wasserknappheit für sich persönlich mit einer Regentonne oder einem Zeltplatz am Fluss lösen zu können, verkennt die globalen Zusammenhänge. Wasser wird in naher Zukunft wegen Klimaveränderung und Geopolitik ein Grund für Kriege und Völkerwanderungen sein, einfach deshalb, weil es vielen Ländern ausgehen wird.

Luft ist nicht gleich Luft

Das Letzte, was alle Menschen gleich macht, ist die Luft. Davon atmet jeder ein, was er gerade vorfindet, ohne dass ihm ein Luftmonopolist einen Zähler in der Lunge installieren darf, der Verbrauchsmenge und deren Qualität kontrolliert, um sie am Jahresende abrechnen zu können. Eigentlich ein Wunder. Vor Jahren habe ich diesen Gedanken auf dieser Seite der Zeitung schon einmal niedergeschrieben. Ein Leser antwortete mir sinngemäß: „Um Gottes willen, tun Sie das bloß nie mehr! Sie bringen die Mächtigen am Ende noch auf ganz furchtbare Ideen!“

Mit den CO2-Zertifikaten haben die internationalen Klima-Unterhändler schon begonnen. Luft wäre aber insgesamt eine einzigartige Handelsware. Ein Etwas, dessen Abwesenheit einen jeden umgehend zum Todeskandidaten macht, müsste sich einer ausgezeichneten und nachhaltigen Nachfrage erfreuen.

Außerdem ist Luft nicht gleich Luft. Es gibt sie in vorzüglicher Qualität, voller Sauerstoff, frei von schädlichen Substanzen – und als unappetitliches Mischgas, das einem den Tag versauen kann. Dazwischen wären, genau wie bei den aktuell so gefragten Immobilien, alle möglichen Kategorien zu allen Preisen denkbar. Ganz nebenbei würde die Neigung der Menschen perfektioniert, sich sozial in Klassen und Schichten um ihresgleichen zu scharen.

Ich finde es übrigens sehr in Ordnung, dass der Mensch seine wichtigste unmittelbare Lebensessenz noch nicht in eine Einnahmequelle verwandelt hat. Aber eine richtige Erklärung dafür will mir angesichts des menschlichen Mangels an Feingefühl in allen anderen Lebensbereichen nicht einfallen.