Filmfestival CannesDas Kino ist zurück!

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Schauspielerin und Jury-Mitglied Jasmine Trinca.  

Cannes – Da strahlt er also wieder, der rote Teppich unter der Sonne der Côte d’Azur, und alles könnte so sein wie vor der Pandemie. Vom Partyverbot des letzten Jahres ist nicht mehr die Rede, und das Wettbewerbsprogramm klingt vielversprechend. Von 21 Beiträgen stammen vier von ehemaligen Gewinnern: den belgischen Dardenne-Brüdern, dem Rumänen Christian Mungiu, dem Schweden Ruben Östlund und dem Japaner Hirokazu Koreeda.

Auch sonst scheint alles beim Alten: Der Frauenanteil ist niedrig wie immer (nur drei Bewerber um die Goldene Palme wurden allein von Frauen inszeniert, ein weiterer hat eine Co-Regisseurin), und aus Deutschland hat es wieder einmal niemand in die Hauptkonkurrenz geschafft.

Aber natürlich ist nichts wie immer, wie sollte es, wenn der Angriffskrieg in der Ukraine täglich neue Opfer fordert. Man kommt nicht heraus aus dem Dilemma: Selbstverständlich darf die Kunst deshalb nicht schweigen, aber wenn ein Festival sich so festlich gibt wie dieses, wenn der Partylärm etliche Promenadenkilometer tönt, bleibt da immer eine Schieflage.

Umso wichtiger wird es da sein, die Wirklichkeit nicht auszusperren. So wie man sich umgekehrt erhoffen darf, dass die Welt da draußen dem Kino auch in dieser Zeit die Treue hält.

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Der litauische Filmemacher Mantas Kvedaravičius zeigte 2016 auf der Berlinale „Mariupolis“, seinen Dokumentarfilm über die damals von separatistischen Truppen angegriffene ukrainische Hafenstadt Mariupol.

Nach Beginn der Belagerung durch russische Truppen im vergangenen Februar reiste Kvedaravičius abermals dorthin und kam nicht mehr zurück. Der Filmemacher, der in Cambridge in Sozialanthropologie promoviert worden war, wollte Kriegsverbrechen dokumentieren.

Nach Angaben mehrerer Freunde wurde er vom russischen Militär gefangengenommen und erschossen. Sein posthum fertiggestelltes Werk „Mariupolis 2“ erlebt nun seine Premiere als „special screening“.

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Der rote Teppich wartet auf die Stars.

Nicht vergessen werden darf in Cannes aber auch das Schicksal der türkischen Produzentin Çiğdem Mater, verantwortlich unter anderem für Ai Weiweis Dokumentarfilm „Human Flow“. Gleichsam im Windschatten des Kriegs in der Ukraine eskalieren in der Türkei die Menschenrechtsverletzungen.

Mater gehört zu den sieben Kulturschaffenden die gemeinsam mit dem Mäzen Osman Kavala zu drakonischen Haftstrafen im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten verurteilt wurden, in ihrem Fall zu 18 Jahren.

Auch auf den Eröffnungsfilm am heutigen Dienstag ist bereits ein Schatten des Kriegs in der Ukraine gefallen. „Z (Comme Z)“ hatte Michel Hazanavicius seine Zombie-Komödie genannt, dann machte der Missbrauch des Buchstabens durch die russische Propaganda den Titel unmöglich.

Nun heißt der Film „Final Cut“, und man kann hoffen, dass es dem Regisseur damit endlich gelingt, an die Qualität seines Oscar-Gewinners „The Artist“ anzuknüpfen.

Große Kinokrise

„Mir wird man nie einen Oscar geben“, zeigte sich der 79-jährige Kanadier David Cronenberg im persönlichen Gespräch dagegen überzeugt. Das macht seine Werke im von ihm geprägten „Body Horror“-Genre für Fans nur noch begehrenswerter.

In seinem Wettbewerbsbeitrag „Crimes of the Future“ spielt Viggo Mortensen einen Performancekünstler, der sich auf der Bühne seine Organe heraustrennt. Glücklicherweise wachsen ihm gleich neue nach.

Ganz so bruchlos vollzieht sich der Wandel der Filmkultur zwar nicht, aber sie ändert sich gerade vor aller Augen. Der Boom von Streamingdiensten und Serienformaten hat das Kino in die größte Krise seit vielen Jahren gestürzt.

Bastion der Leinwandkunst

Cannes versteht sich hier als Bastion der Leinwandkunst, und das Programm wirkt wie ein Manifest dazu. Auch Hollywood hat das verstanden und ist wieder mit aufwändigen und prestigeträchtigen Produktionen vertreten.

Tom Cruise landet als „Top Gun Maverick“ in Joseph Kosinskis gleichnamigem Fortsetzungsfilm, den man der Presse schon gezeigt hat – ein federleichter, zeitloser Actionfilm in glasklarer, schwelgerischer Fotografie.

Glitzernder aber nicht weniger pathetisch liebt es Baz Luhrmann in seinen Musikfilmen. Sein „Elvis“ verschafft dem 30-jährigen Austin Butler („Once Upon a Time in Hollywood“) eine potentielle Glanz- oder zumindest Glitzerrolle, mehr Eindruck aber macht erst einmal Tom Hanks als Colonel Parker: Hat die amerikanische Popkultur hinter dem Rampenlicht eine schillerndere Persönlichkeit hervorgebracht?

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Letzte Vorbereitungen in Cannes. 

Künstlerisch aber dürften es zwei Filme von Frauen sein, die das amerikanische Kino in Cannes glänzen lassen werden. Kelly Reichardt, eine der besten Filmemacherinnen Amerikas, ist mit ihrem Künstlerinnendrama „Showing Up“ mit Michelle Williams erstmals im Cannes-Wettbewerb vertreten.

Und als Claire Denis dieses Jahr auf der Berlinale triumphierte, dachte man schon, Cannes habe sie schnöde abgelehnt. Doch die große Französin hatte sich dort bereits erfolgreich mit ihrem ersten amerikanischen Film beworben, „Stars at Noon“, einem romantischen Drama am Rande des Nicaragua-Konflikts. Keine Frage, das Kino ist zurück – und man darf sich noch immer darauf freuen.

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