Filmstar Jeanne Balibar in Köln„Mich interessieren die Liebe und der Schmerz“

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Gastiert in Köln: Die französische Schauspielerin Jeanne Balibar 

Jeanne Balibar, am kommenden Freitag gastieren Sie im Schauspiel Köln, in der Premiere von Frank Castorfs „Molière“. Haben Sie nicht auch Ihr Bühnendebüt in einem Molière-Stück gegeben?

Jeanne Balibar: Ja, das stimmt. Ich war noch auf der Schauspielschule in Paris, bin aber nach drei Monaten an der Comédie française engagiert worden, um die Elvire im „Don Juan“ zu spielen. Das nächste Mal, dass ich mich mit Molière beschäftigt habe, war dann aber erst wieder bei der „Kabale der Scheinheiligen“ mit Castorf.

Das war vor sechs Jahren …

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… und das war ein Abend, und der sich eher für das Phänomen Molière interessiert hat. Wie jetzt auch. Dieses Mal stehen aber die Frauen im Zentrum. Und das Geld. Außerdem habe ich sehr viel mehr Originaltext von Molière, vor allem aus „Der Bürger als Edelmann“. Das ist für mich gleichzeitig rührend und lustig, mit elf Jahren hatte ich das Stück an meiner Schule inszeniert. Was ich in Köln auch spielen werde, ist die Madeleine Béjart, die Lebensgefährtin von Molière. Eine Rolle, die mir schon öfters angeboten wurde.

Warum?

Ich weiß es nicht. Aber diese Figur hatte mich wahnsinnig beeindruckt, als ich noch ein Kind war, und den „Molière“-Film von Ariane Mnouchkine gesehen hatte. So sehr, dass ich die Prüfung für die nationale Schauspielschule mit Joséphine Derenne vorbereitet habe, der Schauspielerin, die die Madeleine bei Mnouchkine gespielt hat. Molière zieht sich also wie ein roter Faden durch mein Leben.

Molière-Premiere am 21. Januar

Jeanne Balibar, 1968 in Paris geboren, wechselte nach einem Geschichtsstudium an der École normale supérieure zur Schauspielerei. Heute ist sie eine der bekanntesten Filmstars Frankreichs. Für die Titelrolle in Mathieu Amalrics „Barbara“ gewann sie den César als Beste Hauptdarstellerin. Mit Amalric hat sie zwei Kinder. Inzwischen ist sie mit dem Theaterregisseur Frank Castorf zusammen.

Am Schauspiel Köln ist Balibar jetzt in Castorfs „Molière“ zu sehen. Die Termine: 21. (Premiere), 23., 28. Januar, 4., 6. Februar.

Jetzt feiern wir den 400. Geburtstag Molières. Aus welchen Texten setzt sich der Abend zusammen?

Es gibt ein wenig aus dem „Stegreifspiel von Versailles“, aus den „Gelehrten Frauen“ und sehr viel aus dem „Bürger als Edelmann“. Dazu Michail Bulgakows „Das Leben des Herrn de Molière“ und Texte des Regisseurs Wsewolod Meyerhold. Ein ganz wichtiger Text stammt von Tatsumi Hijikata, das ist der Tänzer, mit dem zusammen Kazuo Ohno nach dem Zweiten Weltkrieg den Butoh-Tanz erfunden hat.

Sie haben mal zusammen mit Boris Charmatz ein Butoh-Stück in Paris aufgeführt.

Genau, daher stammt das auch. Im Hijikata-Text findet sich sogar die Aussage des Abends: „Es hat heute eine enorme Bedeutung, die Theater mit geschmacklosen Werken zu versorgen, junge Menschen, die sich gekonnt eine absurde Vitalität angeeignet haben und mit Verzweiflungen, die entstanden sind, ohne zu warten darauf, dass die  Hoffnung in Stücke gerissen wird.“ Das ist für mich wie eine Definition des Theaters von Molière und auch von Castorf.

Die Tyrannei Ludwigs XIV

Castorf geht es um Molières Verhältnis zur Macht. Sie wären um ein Haar Historikerin geworden. Hilft dieser Hintergrund bei der Arbeit?

Ach wissen Sie, ich habe nur fünf Jahre lang Geschichte studiert, aber bin nun schon seit mehr als 30 Jahren Schauspielerin. Liebe und Schmerz sind das, was mich am meisten interessiert. Was mir aber an Castorfs Theater gefällt, ist sein materialistischer Ansatz. Bei ihm schweben die Figuren und Formen nicht irgendwie in der Luft, sie gründen sich in sozialen Fakten. Durch die historischen Aspekte kann man den Stoff verfeinern, noch grausamer machen.  Molière konnte die Tyrannei des Absolutismus bei Ludwig XIV erleben, aber sicher auch in sich selbst, als Leiter einer Theatergruppe.

In Deutschland hat das Theater bis heute ein enges Verhältnis zur Macht, weil wir uns hier so viele Stadt- und Staatstheater leisten. Wie ist das in Frankreich?

In Deutschland fußt diese Tradition darauf, dass jeder kleine Fürst an seinem Hof ein Theater haben wollte. Auch in Frankreich gibt es in jeder Stadt ein subventioniertes Theater, aber diese Tradition ist nach dem Zweiten Weltkrieg von den Kommunisten begründet worden. Die haben zwei wichtige Sachen eingeführt: Sozialversicherung und Krankenkasse für alle. Und Kultur für das Volk. Der Unterschied im Vergleich zu Deutschland ist, dass die französischen Theater über nicht mal 10 Prozent der Gelder verfügen. Das hat mit der proletarischen Geburt dieses Theaters zu tun und damit, dass Deutschland viel reicher ist als Frankreich. Wir interessieren uns mehr für den Film. Ich finde das deutsche Theater tausendmal interessanter, aber die Beziehung Deutschlands zu Filmen, die ist katastrophal.

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Sie stehen nicht nur seit 30 Jahren auf der Bühne, sondern auch vor der Kamera.

Ja, vor ein paar Tagen war ich in der Cinémathèque française bei der Eröffnung einer Reihe mit Filmen von Jacques Rivette, mit dem ich zweimal zusammen gearbeitet habe. Da habe ich noch einmal „Va savoir“ gesehen, den Film, den ich 2001 mit ihm gedreht habe.

Da können Sie sich in ewiger Jugend bewundern. Vom Theater bleibt dagegen nur die Erinnerung…

Ja, aber ich glaube das Dokument ist nicht so stark wie die Erinnerung. Es gibt einen Satz, den Marcel Proust zu seiner Haushälterin gesagt hat, den ich liebe: „Ah, meine liebe Celeste, die verlorenen Paradiese, die findet man wieder nur in sich selbst.“ Filme und Theater sind für mich ein mögliches Paradies, sowohl als Schauspielerin wie als Zuschauerin. Man lebt in einer Utopie. Und wenn es mal nicht wunderbar war, soll man es so schnell wie möglich vergessen.

Berlin war die Hölle

Gab es weniger paradiesische Erfahrungen, bei denen am Ende das Ergebnis stimmte?

Vielleicht an der Volksbühne. Ich liebe die Arbeit mit Castorf über alles. Er ist der beste Regisseur Europas. Aber anfangs war es schwer in Berlin. Ich konnte zwar Deutsch, doch von dem, was die Leute in der Volksbühne gesagt haben, verstand ich kein einziges Wort. Das war  die Hölle. Gleichzeitig hatte ich Spaß am Versuch, ohne die Muttersprache zu arbeiten. In einem Stück von Paul Claudel heißt es: „Es handelt sich nicht darum zu verstehen. Es handelt sich darum, Kenntnis zu verlieren.“ Im Französischen ist das zweideutig und bedeutet auch in Ohnmacht zu fallen. So befreit man sich von Intellektualität, von Muttersprache, von der Mutter selbst … von vielen Dingen. Das Volksbühnen-Ensemble war die einzige richtige Theatertruppe ich kannte. Als ich sehr jung spielte ich zwei Monate bei der Mnouchkine, das war auch eine richtige Truppe. Danach war ich vier Jahre lang an der Comédie française, da ist das nicht der Fall.

Was macht denn eine richtige Truppe aus?

Dass sie selbst das Kunstwerk ist. Das war auch bei Molières Ensemble so. Noch ein Grund, warum Frank und ich uns so dafür interessieren. Alle Leute, die da mitmachen, teilen die selbe Ethik, den selben Geschmack. Selbst wenn es ein Geschmack für Geschmacklosigkeit ist.

Weil es im Theater keine wirklichen demokratischen Strukturen geben kann?

Diese Frage möchte ich nicht beantworten. Da kommt dann doch meine Ausbildung als Historikerin durch. Heutzutage reden zwar alle Theaterleute über mehr Demokratie, dabei müssten sie viel mehr über die verschiedenen Arten wissen, in denen das Wort in der Geschichte verstanden wurde. 

Erlauben Sie mir zum Schluss eine persönliche Frage. Sie haben immer wieder Partner gewählt, mit denen sie dann auch künstlerisch zusammen gearbeitet haben …

… mir ist das auch aufgefallen!

Gehören Liebe und Kunst für Sie unabdingbar zusammen?

Also das ist einfach so passiert, dass ich mich immer in Männer verliebt habe, die etwas mit Kunst zu tun haben — und dass wir uns dann gewünscht haben, etwas zusammen zu machen. Aber ich mache auch ganz viel Kunst mit Frauen und in die bin ich anders verliebt.

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