Stefan BachmannWarum der Kölner Intendant seinen größten Triumph in Düsseldorf feiert

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Szene aus „Reich des Todes“ 

Düsseldorf/Köln – Gründgens „Faust I“, Schleefs „Salome“, Goschs „Macbeth“: Stefan Bachmanns Inszenierung von Rainald Goetz neuem Stück „Reich des Todes“ darf sich in die Reihe der großen Abende des Düsseldorfer Schauspielhauses  stellen. Ein Erlebnis, ein Bruch, eine Überforderung.

Was der Kölner Intendant überhaupt in der Nachbarstadt zu inszenieren hat? Nun, „Reich des Todes“ ist eine Koproduktion beider Häuser, die Kölner Premiere ist für den 30. Oktober angesetzt. Dahinter verbirgt sich ein Stück Theatergeschichte: Als Stefan Bachmann 1999 Rainald Goetz’ Stück „Jeff Koons“ am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg uraufführte, war Wilfried Schulz, der heutige Düsseldorfer Intendant, sein Dramaturg.  Auch diese Produktion war von der Kritik einhellig gefeiert worden.

Erstes Stück seit 22 Jahren

Leider ging Goetz anschließend der Bühne verloren. „Reich des Todes“, das Drama um die Folgen des 11. Septembers, ist sein erstes Bühnenwerk seit 22 Jahren. Es wurde erneut in Hamburg uraufgeführt, diesmal von Karin Beier, Bachmanns Vorgängerin in Köln. Während Beier den Goetz’schen Satzkaskaden ebenso überwältigende Bilder entgegensetzte, dabei selbst vor Originalaufnahmen von Folterungen aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis  nicht zurückschreckte, stürzt sich Bachmann in den Fluss des Textes.

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Um diesen Fluss in eine Form zu betten, hat Olaf Altmann eines seiner herausforderndsten Bühnenbilder geschaffen: Ein dreidimensionales Gitternetz aus horizontal und  vertikal gespannten Fäden – die Matrix unserer Post-9/11-Welt, die sich durch wechselnde Beleuchtung in eine Pyramide oder den Zellengang einer Strafanstalt verwandeln kann. Die Schauspielerinnen müssen sich seitwärts durch die exakt vermessenen Freiräume zwängen, über die Fäden hinwegsteigen, oder darunter durchkriechen. Größer könnte der Kontrast zu den lustigen Plüschtierorgien vor weißen Museumswänden von „Jeff Koons“ kaum ausfallen.

Stückbrief

Regie: Stefan Bachmann

Bühne: Olaf Altmann

Kostüm: Jana Findeklee und Joki Tewes

Musik: Sven Kaiser

Mit: Cathleen Baumann, Sophia Burtscher, Rosa Enskat, Claudia Hübbecker, Melanie Kretschmann, Sabine Waibel, Ines Marie Westernströer

Musiker: Leo Henrichs, Sven Kaiser, Zuzana Leharová, Annette Maye

Termine: 2., 17., 23. (Düsseldorf), 30., 31. Oktober, 14. November (Köln), 150 Minuten, keine Pause

Schauspielerinnen: Das war kein generisches Femininum, das Stück ist rein weiblich besetzt. Als Drag Kings in Nadelstreifen geben die sieben Darstellerinnen zu Anfang die Bush-Administration,  die von den Anschlägen auf die Zwillingstürme weniger überrascht ist, als  dass sie sich von diesen ermächtigt fühlt, „gewisse Korrekturen am Staatsgefüge, die schon lange überfällig sind“ durchzusetzen.

Ihre Dialoge sprechen die aufgescheuchten Kriegstreiber  in strenger Rhythmisierung zur forsch vorwärts marschierenden Musik, die Sven Kaiser und seine drei Mitmusiker live im Orchestergraben spielen, Takt geht vor Textverständnis, so ergibt sich der Sog der Selbstermächtigung gegen die Regeln des Rechtsstaates von selbst. 9/11 wird zum beschwörenden Refrain, zum Glaubensbekenntnis: „Es war ein Angriff ohne Beispiel,/ er traf Amerika ins Herz,/ als die brennenden Türme in sich zusammensanken,/ ruhig, langsam,  auch erschreckend schön,/ hunderte von Menschen dabei aus dem  Leben in den Tod gerissen wurden, / wurde die Welt Zeuge des Triumphs einer vom Glauben an Gott/ erfüllten Idee der Kritik am Weltmodell des Westens.“ Da haben sie’s: der 11. September  in sieben, aufs Wesentliche komprimierten Zeilen.

Das Drama als Sprechoper

Die Methode – das Drama als Sprechoper – erinnert Bachmanns letztjährige „Graf Öderland“-Inszenierung und auch an seinen „Wilhelm Tell“ ein paar Jahre zuvor. In gewisser Weise knüpft Rainald Goetz mit „Reich des Todes“ ja sogar an Schillers Geschichtsdramen an, letztlich geht es hier hochmoralisch um einen Irrweg der menschlichen Gesellschaft – am Beispiel des permanenten Ausnahmezustands, der „Krieg gegen den Terror“ genannt wurde. 

Aber Goetz hat von vorneherein alles allzu Anekdotenhafte aus seinen Szenen verbannt. Die handelnden Personen tragen nicht etwa die Namen  Bush, Cheney und Rumsfeld, sondern heißen Selch, Roon, Banzhaf, oder Schill – eine bunte Mischung aus preußischen Kriegsministern, Nazi-Kollaborateuren und rechten Populisten. Mit einem Dr. Kelsen ist aber auch ein Wiedergänger des Verfassungsrechtlers Hans Kelsen, den die Nazis  aus der Fakultät der Kölner Universität ausschlossen, weil er lehrte, dass ein Staat sich weder auf Gebiet noch auf Gewalt stützen könne, sondern einzig auf eine objektive Rechtsordnung.

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So schlägt die Aushebelung rechtsstaatlicher Grundsätze nach den Anschlägen bei Goetz tiefe Wurzeln in die Geschichte. Freilich ist der Abend kein Proseminar und wenn, dann lernen wir im Rausch, im mitreißenden Strom der Rede.

Rosa Enskats fantastisch-furiose, die Zuschauer in Lachen und Erschrecken gehörig durchschüttelnde Ansprache als machiavellischer Fürst etwa, als „Präsidentikus, Führer, Kaiser und Gott“, bezieht sich natürlich zuvörderst auf die öffentlichen Adressen George W. Bushs  zum Krieg gegen den Terror. Doch sie ist doppelt- und dreifach belichtet, mit Hitler-Reden und -Parodien von Chaplin und Brecht, mit den Gewalt- und Zerstümmelungsphantasien des Marquis de Sade.

Schwer erträgliche Folterszene

Später schildert das Ensemble an der Rampe hockend im von Satz zu Satz fliegenden Wechsel eine schwer erträgliche Folterszene, Goetz nennt sie „Die 120 Minuten von Abu Ghraib“. Auf Eins-zu-Eins-Bebilderungen verzichtet Bachmann, die Armeeuniformen, ob jetzt die U.S. Army oder die Wehrmacht zitieren, sind zugleich dehnbare oder hauteng anliegende Fetischkleidung, immer mal wieder treten die Darstellerinnen im Rokokokostüm auf, singsäuseln ihren Text mit Vocoder-verfremdeten Stimmen.

Oder sie erscheinen als neutralisierte Gefangene (die Goetz in pointierter Boshaftigkeit allesamt „Atta“ nennt) in weißen Ganzkörperanzügen und erzählen ruhig und konzentriert von ihren Martyrien: Ein Slow Jam der Demütigung.

Licht ins ethische Dunkel

Goetz versucht das ethische Dunkel – das Reich des Todes –  auszuleuchten, in das sich die westlichen Demokratien vom zweiten Irakkrieg bis zur Niederlage in Afghanistan gestürzt haben. Das gelingt ihm spektakulär und ist doch zum Scheitern verurteilt.  Am Ende des Stücks steht deshalb die Kritik desselben, in einem Endlosmonolog, atemlos abgelesen und vorgetragen von Melanie Kretschmann.

Der Dichter springt von Punkt zu Punkt, disst en passant die Gerichtsdramen Ferdinand von Schirachs, spuckt Hass gegen die Gewaltkunst des amerikanischen Films, richtet sein Denken ebenso rigoros gegen die eigene Produktion. Kaum kann das Publikum der Verfertigung der Gedanken folgen, es wird unruhig im Saal. Die Kolleginnen auf der Bühne stimmen den Tautologie-Schlager „Life is Life“ an. Das Saallicht geht an, der Mikroport aus, „Zugabe“ brüllt jemand ironisch, die hinteren Reihen klatschen nervös, aber Kretschmann macht unbeirrt weiter, weil sie, weil Goetz, nicht anders kann und am Ende bleibt die Verwunderung, dass man trotz des allseitigen Vernichtungswerks, trotz der Fehlerhaftigkeit der menschlichen Seele, immer noch nicht tot ist.

Es ist der großartig formsprengende Abschluss eines formstrengen Abends.

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