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Jung, brutal, respektlosKölner Forscher decken Gründe für Anstieg der Jugendkriminalität auf

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Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, beim Pressegespräch zur Vorstellung einer Studie zur Kinder- und Jugendkriminalität.

Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, beim Pressegespräch zur Vorstellung einer Studie zur Kinder- und Jugendkriminalität. 

Forscher der Uni Köln sind den Ursachen für die gestiegene Kinder- und Jugendkriminalität nachgegangen. Einige Befunde sind alarmierend.

Die Geschichte von Sammy beginnt mit einem abgetretenen Außenspiegel, da ist der Junge acht Jahre alt.  Sieben Jahre danach ist der Kölner bei 86 bekannt gewordenen Straftaten angekommen, darunter eine Brandstiftung, Körperverletzungen und Einbrüche.

Es sind nicht nur die knapp 500 Intensivtäter, die zu einem Anstieg der Kriminalität von Minderjährigen in den vergangenen zehn Jahren beigetragen haben. Prügeln, stehlen und bedrohen: Das vor etwa einem Jahr vorgelegte „Lagebild Kinder- und Jugendkriminalität“ in NRW zeichnete ein düsteres Bild. Jeder fünfte der gut 503.000 Tatverdächtigen an Rhein und Ruhr war unter 21 Jahren alt. Die Zahl der strafunmündigen, kriminellen Kinder kletterte um mehr als sieben Prozent auf 22.469.

Die „Zündschnur“ ist kürzer geworden

„Das hat mich damals umgehauen“, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstag bei der Vorstellung einer Studie zu den Ursachen des Anstiegs, die er für die Landesregierung in Auftrag gegeben hat. „Gesellschaftlich sehen wir, dass Menschen insgesamt dünnhäutiger geworden sind – wir erleben mehr Hasskriminalität, mehr Angriffe auf Einsatzkräfte und mehr Messerangriffe“, sagte Reul.

Die „Zündschnur“ sei kürzer geworden. „Und das betrifft auch unsere Kinder“, so der Minister. „Was früher undenkbar war – etwa das Zerstören von Verkehrsschildern oder den Mitschüler zu verprügeln und sein Tablet zu klauen – ist heute akzeptabler.“

Gesunkene Selbstkontrolle, immer weniger beachtete Regeln in der Schule, Gewalt im Elternhaus sowie eine deutlich gesunkene „Sanktionserwartung nach Normverstößen“:  Die Gründe für die besorgniserregende Entwicklung seien vielfältig, sagte Professor Clemens Kroneberg von der Universität Köln, der für die Studie mit seinem Team neben der Auswertung der polizeilichen Kriminalstatistiken auch eine „Dunkelfeldanalyse“ durchgeführt hat.

3.800 Schülerinnen und Schüler befragt

Dafür wurden 3800 Schülerinnen und Schüler in den Jahrgangsstufen 7 und 9 an weiterführenden Schulen in Gelsenkirchen, Herten und Marl befragt. Die Ergebnisse der Interviews wurden dann mit einer identischen Erhebung aus den Jahren 2013 und 2015 verglichen.

Ein deutlich höherer Anteil der Jugendlichen in NRW gibt demnach heutzutage an, in den letzten zwölf Monaten ein oder mehrere Eigentums- oder Gewaltdelikte begangen zu haben. Besonders angestiegen sei die Gewaltbereitschaft von Mädchen, so Kroneberg. Vor allem in 9. Schuljahr gebe es vermehrt auch Mehrfachtäterinnen. Auch insgesamt sei die Straffälligkeit der Mädchen stärker gestiegen als die der Jungen, obwohl Mädchen nach wie vor deutlich seltener straffällig würden.

Den Lehrer anzulügen, ist fast schon normal

Zudem seien die moralischen Einstellungen bei den Kindern und Jugendlichen deutlich schwächer geworden, so der Politologe. Vor allem auch, wenn es um die Schule geht. „Unsere Befragung zeigt, dass der Respekt vor dem Lehrpersonal gesunken ist“, sagte der Kölner Wissenschaftler. „Hausaufgaben nicht machen“ beispielsweise – das sei vor zehn Jahren „immer noch für ein Drittel“ der Neuntklässler schlimm gewesen, jetzt nur noch für 15 Prozent. Bei Antworten auf Fragen wie „Schule schwänzen“ oder „Lehrer anlügen“ sei die Tendenz ähnlich.

Für NRW-Innenminister Reul zeigen die Ergebnisse der Studie, „dass es sicherlich keine einfache Lösung für das Problem gibt“: „Da dürfen wir nicht glauben, wir treffen ein paar Maßnahmen, und das reicht dann.“ Es gelte, ein dickes Brett zu bohren: „Und da werden wir uns noch Vieles einfallen lassen müssen, von dem wir jetzt noch nichts wissen.“