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„Albtraum verfolgt mich jeden Tag“Kölner Staatsanwältin spricht von Mordversuch an vierfacher Mutter

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Der Angeklagte mit seinen Verteidigern, Dolmetscher und Wachtmeister im Landgericht Köln. Im Vordergrund die genutzte Videoanlage zur Übertragung der Vernehmung in einen anderen Saal.

Der Angeklagte mit seinen Verteidigern, Dolmetscher und Wachtmeister im Landgericht Köln. Im Vordergrund die Videoanlage zur Übertragung der Zeugenvernehmung in einen anderen Saal.

Auf der Anklagebank im Landgericht sitzt der Ehemann des Opfers.

Ein erschütternder Angriff auf eine Mutter von vier Kindern beschäftigt seit Donnerstag das Kölner Landgericht. Der Angeklagte, ein 38-jähriger afghanischer Staatsbürger, muss sich wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil seiner Ehefrau verantworten. Der Fall reiht sich ein in eine bedrückende Realität in Nordrhein-Westfalen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Landeskriminalamts zu Femiziden zeigt, wie häufig Frauen Opfer von tödlicher Gewalt wurden.

Köln: Gewaltausbruch in Innenstadt-Hotel

Der aktuell verhandelte Vorfall ereignete sich im April in einem Hotel in der Kölner Innenstadt. Laut Anklageschrift war die Geschädigte zuvor mit ihren Kindern in ein Frauenhaus im Kölner Raum geflüchtet – sie sprach von unzähligen Gewaltausbrüchen ihres Mannes, der weiter bei Leipzig lebte. Der 38-Jährige habe dann aber auf Kontakt zu seinen drei Töchtern und dem Sohn bestanden. So kam es zu einem Aufeinandertreffen in Köln. Der Mann hatte in dem Hotel mehrere Zimmer gebucht.

Doch schnell eskalierte die Situation. Als die 33-Jährige während eines Telefonats das Zimmer wechseln wollte, sei ihr das Handy entrissen worden. Der Mann habe sie gegen den Rücken gestoßen, sodass sie auf das Sofa fiel. Er habe ihr Kontakte zu anderen Männern vorgeworfen und den Handycode verlangt. Was dann folgte, beschreibt die Staatsanwältin als Mordversuch aus niedrigen Beweggründen: Mit einem Teppichmesser soll der Angeklagte auf seine Frau losgegangen sein.

Die Frau berichtete später, ihr Ehemann habe sie gewürgt, ihre Haare gepackt, sie auf das Bett gedrückt, auf ihrem Brustkorb gekniet und sie mit dem Tod bedroht. Durch heftige Gegenwehr sei es der Frau gelungen, dem Angreifer das Messer aus der Hand zu schlagen. In Panik und unter Schock rannte sie zur Hotelrezeption und bat die Angestellten, sich um ihre Kinder zu kümmern, die sich in einem anderen Hotelzimmer befanden – aus Angst, der Vater könne auch ihnen etwas antun.

Köln: Angeklagter wurde aus dem Gerichtssaal entfernt

In den Zeugenstand trat die Frau in Saal 2 des Kölner Justizgebäudes erst, nachdem der Angeklagte in einen Nebenraum gebracht worden war – dort konnte er die Vernehmung nur per Monitor verfolgen. Das hatte die Vorsitzende Richterin Sabine Kretzschmar zum Schutz der Nebenklägerin angeordnet. Nach einer früheren Konfrontation im Rahmen einer richterlichen Befragung hatte die Frau einen Kreislaufkollaps erlitten und musste reanimiert werden. Auslöser war eine schwere Panikattacke.

Die Zeugin berichtete, dass sie im Jugendalter mit dem Angeklagten verheiratet worden sei. Sie habe ihn vorher nicht erkannt. Die ganze Ehe sei ein Martyrium gewesen. Daran habe auch die gemeinsame Flucht nach Deutschland im Jahr 2015 nichts geändert. Immer wieder habe der Mann auch die Kinder geschlagen. Sie selbst sei mit Faustschlägen malträtiert worden – der Mann habe dabei einen Ring am Finger getragen. Eine Freundin habe sie ermutigt, endlich zur Polizei zu gehen.

„Dieser Albtraum verfolgt mich jeden Tag“, berichtete die Frau unter Tränen. Trotz aller Belastungen kämpfe sie für ihre Kinder. Derzeit lebt die Familie noch in dem Frauenhaus, ein Umzug in eine eigene Wohnung sei geplant. Auf die Frage der Richterin, ob sich seit der Festnahme des Mannes auch etwas verbessert, antwortete die Zeugin: „Wir werden seit sechs Monaten nicht mehr geschlagen.“ Der Angeklagte äußerte sich zunächst nicht zu den schweren Vorwürfen. Der Prozess wird fortgesetzt.

Köln: Laut Studie 235 Todesopfer durch Femizide in NRW

Die Studie des Landeskriminalamts hatte im Forschungszeitraum 2014 bis 2023 in Nordrhein-Westfalen 1666 versuchte und vollendete Tötungsdelikte an Frauen erfasst. Insgesamt seien 908 Frauen gestorben. Bei der Untersuchung wurden 522 Fälle aller versuchten und vollendeten Tötungsdelikte zum Nachteil von Frauen als Femizide eingeordnet – hier kamen 235 der Opfer ums Leben. NRW-Innenminister Herbert Reul sagte dazu: „Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind.“

„Häusliche Gewalt kann ein Vorbote solcher schrecklichen Verbrechen sein. Meist kommen die Täter aus dem nahen Umfeld der Opfer“, so Reul weiter. Oft seien Femizide das Ergebnis von langjähriger Gewalt, Kontrolle und tief verwurzelten Machtfantasien. „Das ist ein Menschenbild aus dem Mittelalter, das wir nicht tolerieren dürfen und dem wir entschieden entgegentreten müssen.“ Reul ermutigte gefährdete Frauen: „Melden Sie sich sofort, wenn Sie Hilfe brauchen. Sie werden gehört.“