Frauenheld, Fuchsjäger, Verräter

Friedrich-Engels-Statue des chinesischen Künstlers Zeng Chenggangin in Wuppertal
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Muss, wer Marx sagt, auch Engels sagen? Immerhin war dieser Friedrich Engels der Mann, der den Marxismus erfand. Sein Freund Marx hingegen betonte stets, alles, nur kein Marxist zu sein. Dennoch schien es vielen so, dass kein Blatt zwischen beide passen würde. Das war auch die offizielle Parteidoktrin der Bolschewiki, die kanonische Geltung erlangte. Die Frage blieb dennoch offen, ob das auch inhaltlich so war. Und wer über Engels und Marx spricht, muss zugleich klären, wie weit sie für das verantwortlich waren, was die Geschichte aus ihren Werken machte. So wird ihnen die Schuld dafür zugeschoben, dass der Marxismus in die Gulags der Sowjetunion führte.
Über den Sohn der Stadt Wuppertal, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird, wurde auf der dreitätigen internationalen Konferenz „Friedrich Engels – die Aktualität eines Klassikers“ an der Universität Wuppertal diskutiert. Organisiert wurde das Treffen großer Namen aus der Marx- und Engelsforschung von dem Wuppertaler Philosophie-Professor Smail Rapic, einem profunden Kenner Hegels, Habermas’ und der Theorien von Marx und Engels. Letzterer war Bonvivant, Frauenheld, passionierter Fuchsjäger und erfolgreicher Textilmagnat. Zudem ein scharfer Kritiker der kapitalistischen Produktionsweise. Und für einige sogar ein Verräter seiner Klasse: Am Ende seines Lebens war er eher ein Anhänger der parlamentarischen Demokratie, darauf verwies der Soziologe Claus Offe. Engels sprach gerne von einem „Compagniegeschäft“ mit Marx, in dem er selbstlos die „Zweite Violine“ spielte, aus dem später das „Kommunistische Manifest“ und das „Kapital“ entstanden. Und doch war der Unterschied zwischen den beiden größer, als man vielleicht annahm, betonte der in Peking lehrende Philosoph Tom Rockmore. Und das, obwohl Marx in London nur zehn Gehminuten von ihm entfernt wohnte. Beide teilten den Mythos, dass der Kapitalismus sich eines Tages selbst zerstöre, sagte der US-Amerikaner. Aber ihre Sichtweisen trennten sich bereits, wenn es darum ging, wie man die Welt erkennen könne. Denn Rockmore erblickt in Marx einen Nachfolger der Philosophen des deutschen Idealismus, zu denen Fichte, Schelling und Hegel zählten. Vor allem würde Marx die Denkweise Hegels fortführen und wäre dementsprechend ein Idealist.
Engels hingegen habe die Philosophie nicht so recht verstanden und habe nach dem Tod von Marx dessen Theorie verzerrt, erklärt er. Marx war im Grunde „ein deutscher Hegelianer“, so Rockmore, der keine wesentlichen Unterschiede zur Philosophie Hegels aufweise. Eine Sichtweise, die auch vom Münsteraner Philosophie-Professor Michael Quante vertreten wird. Rockmore betonte die Diskontinuität zwischen Marx und Engels und damit auch zum nachfolgenden Marxismus.
Smail Rapic setzte in seinem Beitrag „War Engels ein dialektischer Materialist?“ einen anderen Schwerpunkt. Er betonte die Diskontinuität zwischen Engels auf der einen und Lenin, Stalin und westlichen Marxisten auf der anderen Seite. Im Grunde genommen habe Engels den Praxis-Begriff von Marx innovativ weitergeführt, so Rapic. Die Lesart von Engels durch Lenin und Stalin sowie die westliche Traditionslinie habe den Kern von Engels’ materialistischer Dialektik missverstanden. Die Theorie von Engels sei sogar hochmodern, da sie auf die Systemtheorie des großen deutschen Soziologen Niklas Luhmann vorausweise, sagte Rapic.
Terrell Carver und Carol Gould sahen in Engels zudem einen wichtigen Vorläufer der Gender-Theorie. Andere Experten betonten hingegen die eine Linie von Marx, Engels zu Lenin. 1883 starb Karl Marx in London, zwölf Jahre später Friedrich Engels. Die Widersprüche blieben bis zuletzt.
Philosoph Tom Rockmore