Freudiger Widerstand
„All is love“ („Alles ist Liebe“) ist wohl eher nicht die erste Beschreibung, die einem für die aktuelle gesellschaftspolitische Lage in den Sinn kommt. Erst recht nicht, wenn man an die derzeitige Situation in Großbritannien denkt. Doch anstatt sich durch die Wut über Rechtspopulisten, Brexit-Verfechter und Männer mit schlechter Dauerwelle („Never Fight a Man a with a Perm“!) selbst zu zerfressen, leisten die Idles aus Bristol lieber durch Freude Widerstand. Unity lautet das Mantra auf ihrem im vergangenen Jahr erschienenen zweiten Album „Joy as an Act of Resistance“ (zu deutsch: „Freude als Akt des Widerstandes“), und das, obwohl auch Freude wiederum nicht unbedingt das Wort ist, das man mit dem knüppelharten Post-Punk und Noise-Rock-Verschnitt der fünf Bristoler assoziieren würde.
Wie das gehen kann, all diese Widersprüche miteinander zu vereinen, zeigen die Idles am Montagabend in der ausverkauften Kölner Live Music Hall. Stets besorgt um das Wohlergehen aller, kümmert Frontmann Joe Talbot sich zwischen den Songs wie ein besorgter Sozialarbeiter um die 1200 Konzertbesucher, nur um im nächsten Moment wie ein wildgewordener Pitbull durch den nächsten Song zu wüten.
Er knurrt und knarzt ins Mikrofon und gibt sich alle Mühe, so zu tun, als könne er nicht singen (kann er aber, wie auf der „Welcome“-EP von 2012 noch zu hören ist). Dazu rumpelt der Bass, stampft das Schlagzeug wie ein tollwütiges Pferd und treiben die beiden Gitarren sich gegenseitig an den äußersten Rand des Verstandes. Längst darüber hinaus getrieben, nehmen die beiden Gitarristen Mark Bowen und Lee Kiernan schon während der ersten beiden Songs, „Colossus“ und eben jenem „Never Fight a Man with a Perm“, ein Bad in der Menge. Und die hat sich ohnehin schon längst in einem besinnungslosen Moshpit verloren.
Der Rest der Halle tanzt und singt die Lyrics mit. Die überzeugen zwar vor allem durch ihren simplen und oft unsinnigen Charme („I wrote a love song ’cause you’re so loveable/ I carried a watermelon, I wanna be vulnerable“), setzen sich aber dennoch allesamt mit tiefgreifenden und nicht selten sensiblen Themen auseinander.
So beschäftigen Talbot häufig die inneren Kriegsschauplätze wie Depressionen, Sucht oder Selbsthass. In der Anti-Männlichkeits-Hymne „Samaritans“ dichtet er wunderschön Kurt Cobains Selbstzerstörungs-Credo „I hate myself and I want to die“ („Ich hasse mich selbst und ich will sterben“) um in: „I love myself and I want to try“ („Ich liebe mich selbst und ich will es versuchen“). Der Ohrwurm-Hit „Danny Nedelko“ dagegen prangert den grassierenden Rassismus vor dem Hintergrund der steigenden Immigration in der britischen (und rest-europäischen) Gesellschaft an. Danny Nedelko ist nach England eingewandert und ein Freund von Talbot, über den es im Song heißt: „He's made of bones, he's made of blood /He’s made of flesh, he's made of love/ He’s made of you, he's made of me/ Unity“. Wenn es derzeit etwas gibt, wo alles Liebe ist, dann ist es diese absolut großartige Band.