Frühling, Freude, FruchtbarkeitEine kleine Kulturgeschichte des Osterhasen

Lesezeit 6 Minuten
Osterhase

Osterhasen-Armee

Wieso eigentlich Osterhase? Klar, wer in diesen Tagen Lebensmittel-, Dekorations- und Spielzeuggeschäfte betritt, sieht sich mit einer fast bedenklichen Hasen- und Häschenmassierung konfrontiert. Zu ikonischer Berühmtheit hat es zumal der Schokoladen-Goldhase von Lindt gebracht – die Schweizer Firma verdient sich alljährlich mit goldenen Hasen goldene Nasen.

Bei näherem Hinsehen freilich scheint der Lindt-Goldhase – diese Verwechslung ist auch anderweitig zu beobachten – ein Kaninchen zu sein. Welches mit dem Hasen gar nicht mal so eng verwandt ist. Hasen sind Nestflüchter, Kaninchen Nesthocker (und kommen nackt auf die Welt). Hasen rennen und schlagen Haken, Kaninchen hoppeln eher unbeholfen, jene haben lange, diese eher kurze Ohren. Nicht zuletzt hat die absichtsvolle österliche Verwechslung ihren Grund darin, dass ein Kaninchen einfach viel knuffiger, niedlicher ist als jener dürr-knochige Hase, wie er etwa Albrecht Dürer für sein bekanntes Bild Modell saß.

Dank Kindchenschema und Drolligkeit ist somit der österlich verbreitete Typ des „Kaninchen-Hasen“ ein spontaner Sympathieträger in weit höherem Maße, als es ein mager-gehetzter Feldhase je sein könnte. So oder so bleibt die Frage: Wieso gerade der Hase? Was hat der Hase mit dem Osterfest, dessen Name er trägt, zu tun? Und warum in aller Welt bringt er, der als Säugetier die Eier keinesfalls selbst hervorzubringen vermag, in einer Kiepe auch noch bemalte Hühner- oder Schokoladeneier – und drapiert sie in einem mit grünem Ostergras gefütterten Nest? Welches er wiederum in Wohnungen und Gärten versteckt, auf dass die Kinder am Ostermorgen auf spannungsvolle Suche gehen können?

Suchspaß ohne Ende

(Kurzer Erfahrungsbericht in eigener Sache: Ich machte mir in den ersten Lebensjahren meiner Tochter jeweils am Ostersonntag ein Vergnügen daraus, jedes von ihr triumphal gefundene Ei erneut zu verbergen, auf dass die Eierinvestition überschaubar blieb und der Suchspaß kein Ende nahm. In fortgeschrittenem Alter verriet mir Tochter dann allerdings mit mitleidiger Nachsicht, dass sie den Betrug sehr wohl bemerkt habe, mir den meinigen Spaß aber auf keinen Fall habe verderben wollen.)

Sicher, auf Anhieb mag einem einiges einfallen, was den Hasen für das Osterfest disponiert – auch wenn der symbolische Bezug zur christlichen Feier der Auferstehung nicht mehr unmittelbar erkennbar ist. Das Thema Passion und Auferstehung verbindet sich bekanntlich mit einem anderen Tier: dem Lamm (der Fama zufolge entstand allerdings der Osterhase sogar einmal beim misslingenden Versuch, ein Osterlamm zu backen). Der Bezug zur überlieferten Glaubenswelt verblasst aber in einer säkularisierten Spätmoderne eh, während Ostern auch die feiern, die mit jener Welt nichts am Hut haben – und sei es, indem sie angesichts einiger arbeitsfreier Tage morgens länger im Bett liegen bleiben.

Zeugungsfrohe Fruchtbarkeit

Der Hase – allerdings noch mehr das Kaninchen, dieses sogar sprichwörtlich – ist ganz unstrittig und eindeutig mit zeugungsfroher Fruchtbarkeit und unbändiger Vermehrungslust assoziiert. Damit wird er zum Symbol des Frühlings und also auch des osterzeitlichen Natur-Erwachens (wie es auf andere Weise auch der „Karfreitagszauber“ in Wagners „Parsifal“ beschwört). Und dies, obwohl die Häsin eigentlich mehrere Würfe pro Jahr und also nicht nur im Frühling produzieren kann. Aber die Beobachtung, dass die Tierwelt insgesamt gerade im Frühling besonders produktiv ist, fällt halt auf den Hasen zurück.

Tatsächlich zeigt auch ein Blick in die Kulturgeschichte, dass ihn seine Fruchtbarkeit zum „Ostertier“ prädestiniert. Und als solches ist er durchaus heidnischen Ursprungs: Auf Tonlampen und Mosaiken der vorchristlichen Antike findet sich der Hase als Sinnbild für Leben und Wiedergeburt. Im späten Mittelalter wurde dieser grundständigen und weiterhin tradierten Bedeutung ein christlicher Symbolwert aufgesetzt – wie das Christentum generell dazu neigte, sich heidnische Bräuche und Riten anzueignen, sie zu verwandeln und spirituell zu transformieren. Auch das Weihnachtsfest ist ein herausragendes Beispiel dafür.

Sinnbild für den Auferstandenen

Bereits im byzantinischen Christentum wurde der Hase zum Sinnbild für den auferstandenen Christus – er hat keine Augenlider, „schläft“ also wie Christus nie. Das ist nach Maßgabe heutigen Vernunfturteils einigermaßen abstrus, ändert aber nichts daran, dass solche gewaltsamen Formen christlicher Allegorese gang und gäbe waren. Auch das Datum des Osterfestes hat einen Bezug zum Hasen: Der Hase gilt als Mondtier, und Ostern wird am ersten Sonntag des Frühlingsvollmondes begangen.

Das Ei hingegen war schon in der Urchristenzeit ein Auferstehungssymbol: Wie ein Grab hält es Leben in sich verschlossen. Die Verbindung von Osterhase und Osterei ist freilich mehr oder weniger unklar – obwohl sie heute selbstverständlich anmutet und das Eiermalen zum Beispiel in einem der berühmtesten Hasenbücher der Kinderliteratur, der „Häschenschule“ von Albert Sixtus und Fritz Koch-Gotha (1924), zu den unabweisbaren Aufgaben angehender Osterhasen gehört.

Erste Erwähnung im Jahre 1682

Die erste schriftliche Erwähnung des Osterhasen, der Eier im Garten versteckt, stammt aus dem Jahre 1682: Der Medizinprofessor Georg Franck von Franckenau nimmt dort auf den offensichtlich bereits gut etablierten Brauch Bezug. Tatsächlich scheint der auf eine protestantische Initiative zurückzugehen: Protestanten lehnten die katholischen Osterbräuche ab und entwickelten im 17. Jahrhundert als Eierlieferanten den Osterhasen.

Zuvor sollen vor allem Vögel – wie der aus anderen Zusammenhängen bekannte Storch oder der Kuckuck – die österlichen Gaben mitgebracht haben. Sie sollen am Gründonnerstag nach Rom geflogen sein, um die Ostereier abzuholen und am Karsamstag wieder zurückgereist sein, um die Eier willkürlich zu verteilen. Aber zäh, wie er ist, setzte sich in diesem Osterzoo der Hase durch. So richtig bekannt wurde der Osterhase aber erst im 20. Jahrhundert – nicht zuletzt repräsentiert er bis heute ein florierendes Geschäftsmodell zumal der Süßwarenindustrie.

Bemalte Straußeneier

Auch das Färben und Bemalen von Eierschalen ist älter als die christliche Tradition. So wurden in antiken Gräbern der Ägypter und Sumerer bemalte Straußeneier gefunden. Später dann färbten die frühen Christen die Eier ausnahmslos rot, um auf das Blut hinzuweisen, das durch Christus während seiner Grabesruhe und Auferstehung vorangehenden Passion vergossen wurde. Auf vielen historischen Ostereiern erscheint zudem das auf die Dreifaltigkeit verweisende Dreihasenbild.

Der Osterhase ist seiner Bestimmung nach eine zeitlose Figur. Dennoch spiegelt auch er, was der Philosoph Hans Blumenberg „Arbeit am Mythos“ nennt. So hat der Osterhase etwa den Wechsel von Kleidermoden problemlos mitgemacht. Mittlerweile gab es auch eine Diskussion des Phänomens unter Gender-Aspekten: Ist er also, obwohl der Artikel das Geschlecht festlegt, männlich oder weiblich? Die Osterhasenproduktion hat die Frage längst performativ beantwortet: Er kann beides sein – wenngleich der berühmteste Hase, eben der Goldhase, eigentümlich neutral anmutet. In diesen Tagen gibt es sogar Osterhasen mit Mundschutz und Corona-Masken mit Osterhasen. Uns über solche Aktualisierung zu freuen, sind wir allerdings nicht verpflichtet.

KStA abonnieren