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Die heikle Spur der FüchseBelegen Dokumente einen NS-Raubkunstfall in Düsseldorf?

Lesezeit 5 Minuten
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80 Zentimeter hoch, 14 Millionen Euro wert: Franz Marcs „Füchse“ im Museum Kunstpalast 

  1. Um das 14 Millionen Euro teure Ölgemälde im Düsseldorfer Kunstpalast ist ein Streit entbrannt.
  2. Weil der frühere Besitzer aus dem Dritten Reich fliehen musste, fordern die Erben Restitution.
  3. Briefe aus den 1930er Jahren könnten belegen, dass es sich bei dem Gemälde um einen Fall von NS-Raubkunst handelt.

Düsseldorf/Hamburg – Die Füchse hat sie nie gesehen, aber dass sie ihr gehören, da ist sich Ingeburg Breit sicher. Mit 89 Jahren kämpft sie, wie sie sagt, für späte moralische Gerechtigkeit. Wahrscheinlich ist es ihre letzte Chance, in Besitz der 79,5 x 66 Zentimeter großen Ölleinwand zu gelangen, über die gesagt wird, sie sei 14 Millionen Euro wert. Glaubt man dem Miterben, ihrem Schwiegersohn Jeffrey Whiteus, der nun erstmals öffentlich spricht, stehen die Chancen gut. Doch es geht um viel Geld und eine lange Geschichte. Und deshalb sind die Dinge nicht so klar.

Nach jahrelanger Forschung ist seit Kurzem zumindest Folgendes klar: Breits Schwiegervater, der wohlhabende jüdische Kaufmann und Kunstsammler Kurt Grawi (geboren 1887) aus Berlin, verarmte im Dritten Reich durch die Zwangsabgaben für Juden. „Er hatte alles verloren“, sagt Breit. Grawi wurde verfolgt, überlebte 1938 fünf Wochen im Konzentrationslager Sachsenhausen. Im Mai 1939 floh er mittellos nach Chile, seine Frau und ihre beiden Söhne folgten ein halbes Jahr später. Um die Flucht zu finanzieren, hatte Grawi das Gemälde „Füchse“ des deutschen Expressionisten Franz Marc (1880-1916) nach New York City verschiffen lassen. Dort verkaufte ein Makler das 1913 entstandene Bild über die Galerie Nierendorf. Abnehmer war der deutsch-amerikanische Hollywood-Regisseur William Dieterle, der viele Verfolgte bei der Flucht in die USA unterstütze. Der Krieg war noch nicht vorbei, als Grawi in Santiago de Chile starb. In Deutschland kaufte der Kaufhausmagnat Helmut Horten die Füchse 1961 und stiftete sie ein Jahr später an die Stadt Düsseldorf, wo sie im Museum Kunstpalast hängen.

Stadt sieht keinen Grund zur Wiedergutmachung

„Ein Werk von herausragender Bedeutung für die städtische Kunstsammlung“ nennt sie Düsseldorfs Kulturdezernent Hans-Georg Lohe gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Ein klarer Fall von NS-Raubkunst ist es für Grawis Erben. Mehr als 100 Jahre nach seiner Entstehung ist das Bild damit Objekt eines erbittert geführten Restitutionsstreits. Und alles dreht sich um die bis heute ungeklärte Frage: Wie viel Geld hat Grawi 1939 bekommen?

Beweise gibt es nicht, allenfalls Hinweise. Düsseldorfs Kulturchef Lohe zufolge sprechen die für einen „für damalige Verhältnisse marktgerechten Preis“, wie er sagt. Briefe vom August 1939, die dieser Redaktion vorliegen, belegen, dass das New Yorker Museum of Modern Art Grawis Makler ein Angebot von 800 US-Dollar machte, das Simon aber in Grawis Auftrag ablehnte. In einem Telegramm gab Grawi ein Limit von 1250 US-Dollar vor – für weniger wollte er nicht verkaufen. Für Lohe der Beweis, dass Grawi für eine „angemessene Summe“ verkauft hat, noch dazu „im sogenannten sicheren Ausland“, wie er betont: „Vergleichbare Kunstwerke wurden in der Zeit zu ähnlichen Preisen verkauft.“ Die Stadt sieht also keinen Grund zur Wiedergutmachung.

Anwalt wirft Düsseldorf „mangelnde Verantwortungsbereitschaft“ vor

Dem widersprechen Grawis Erben und berufen sich auf einen Brief vom 30. April 1939, der dieser Redaktion ebenfalls vorliegt. Darin schreibt Grawi an seinen Makler unter anderem: „Für mich und meine Familie bedeutet das Ergebnis [des Verkaufs, d.Red.] die Grundlage für unsere Auswanderung.“ Für Breit ist damit klar: „Alles von Wert, darunter das Gemälde von Franz Marc, musste verkauft werden, um die Flucht aus Nazi-Deutschland zu bewerkstelligen.“ Soll heißen: Das Bild wurde weit unter Wert verscherbelt, um schnell an Geld zu kommen. Erben-Anwalt Markus Stötzel nennt die Position Düsseldorfs „falsch, irreführend und objektiv nicht nachvollziehbar.“ Das Gemälde sei „keines, auf dessen Besitz Düsseldorf stolz sein kann“, die Stadt zeige eine „mangelnde Verantwortungsbereitschaft“ und die Füchse müssten zurück an die Erben gehen.

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Der Berliner Börsenmakler Kurt Grawi, aufgenommen vermutlich Mitte der 1920er Jahre

Die Erben sehen Düsseldorf auch ethisch in der Verantwortung. „Kein Objekt kann den Schmerz und das Leid ersetzen, das die Nazis unserer Familie zugefügt haben. Aber die Rückgabe bedeutet für uns die Wiederherstellung der Würde unserer Eltern und Großeltern, die die Nationalsozialisten ihnen genommen haben“, sagt Witheus: „Wir sind der festen Überzeugung, dass die Stadt Düsseldorf in der moralischen Pflicht steht, das Gemälde an unsere Familie, die wahre Eigentümerin, zurückzugeben.“ Der Wert des Gemäldes spiele dabei eine „völlig untergeordnete Rolle“, sagt Whiteus. Der gebürtige US-Amerikaner, ehemals Manager einer Versicherung, ist im Ruhestand und lebt, wie seine Schwiegermutter Ingeburg Breit, in Hamburg. Beide wollen nicht, dass ihr Foto gezeigt wird. Breit gilt als letztes lebendes Familienmitglied, das selbst unter den Nazis gelitten hat. Die Füchse selbst zu sehen, erlaubt ihre Gesundheit nicht mehr.

Verkaufsdokumente nicht auffindbar

Was ihr Hoffnung macht, ist eine Passage aus der Washingtoner Erklärung von 1998, die 44 Staaten, darunter Deutschland unterzeichnet haben. Grob gesagt wurde eine Umkehr der Beweislast vereinbart: Museen müssen nachweisen, dass sie ein von den Nachkommen der NS-Opfer beanspruchtes Kunstwerk nicht verfolgungsbedingt erhalten haben. Können sie das nicht, muss restituiert werden.

Der Nachweis dürfte schwierig sein. Die Galerie Nierendorf schloss 1947 in New York und kehrte 1955 nach Berlin zurück, wo sie vor dem Krieg existierte. Wie die Berliner Galerie mitteilte, ging der komplette Nachlass inklusive aller Verkaufsdokumente an den Staat New York. Dort wird er von der Guggenheim Foundation verwaltet, die auch das gleichnamige Museum betreibt. Die Organisation teilte auf Anfrage mit, sie habe „keine Informationen über das Werk“ in ihrem Archiv.

Seit Sommer liegt der Fall bei der Beratenden Kommission, die in Restitutionsfragen vermittelt. Das zehnköpfige Gremium aus Juristen, Historikern und ehemaligen Politiker wird wohl in einem Jahr eine Empfehlung geben. Beide Seiten wollen sie akzeptieren. Sollten die Füchse zurück an die Erben gehen, wollen die versuchen, „dieses fantastische Kunstwert weiter der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, sagt Whiteus. Bis dahin kämpft Ingeburg Breit weiter. „Das Gemälde hat die Stadt Düsseldorf doch keinen Cent gekostet“, sagt sie: „Ich hoffe, wir finden eine Lösung, die uns das gibt, worauf wir Anspruch haben. Wir hoffen auf späte Gerechtigkeit, wie viele andere auch.“