Kölns Szene für Alte Musik zeigt sich zur Weihnachtszeit umtriebig. Drei neue Alben gibt es zu bestaunen, die allesamt festliche Stimmung verbreiten.
Klassische WeihnachtsmusikDrei festliche Geschenktipps

Weihnachtliche Musik hat eine Nähe zum Himmlischen
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Italienische Barockkonzerte inklusive Corellis Concerto grosso opus 6/6 zur Weihnachtszeit – so ein Programm wirkt auf Anhieb ziemlich abgeschmackt. Auf ihrer neuen Doppel-CD „Pastorale“ (deutsche harmonia mundi) gibt die Kölner Blockflötenvirtuosin Dorothee Oberlinger mit ihrem Originalklang-„Ensemble 1700“ der Sache indes einen neuen, fantasievollen Kick und Drive, der sie unvermutet attraktiv macht.
Winterliche Musik, die Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ Konkurrenz macht
Zum einen beinhaltet diese Produktion neben sehr Bekanntem auch nahezu Unbekanntes. So singt die Barock-Sopranistin Dorothee Mields sehr anrührend eine Weihnachtskantate von Alessandro Scarlatti und ein neapolitanisches Weihnachtslied von Alfonso Maria de Liguori. Auf der zweiten CD erklingt – in der Klangformulierung derart drastisch, dass es einen beim bloßen Zuhören friert – eine Wintermusik von Giovanni Antonio Guido, die sich solchermaßen als Alternative zu Vivaldis entsprechendem Konzert aus den „Vier Jahreszeiten“ empfiehl

Cover des Albums „Pastorale“ des Ensemble 1700 mit Dorothee Oberlinger
Copyright: Deutsche Harmonia Mundi (Sony Music)
Klar, dass bei diesem Sujet die „pastoralen“ Blockflöten Oberlingers und ihrer Kollegin Elisabeth Wirth stets aufs Neue mitmischen. Übrigens auch dort, wo sie von Haus aus nicht gefordert sind: In Corellis Concerto grosso erklingen sie neben den ursprünglichen Violinen als Concertino. Auch sonst sind die Aufnahmen reich an Umschriften – etwa im Fall von Alessandro Marcellos bekanntem Oboenkonzert und Händels Orgelkonzert Opus 4/5.
Matthias Brandt liest zwischen den Stücken weihnachtliche Texte
Ist das statthaft? In puristischer Sichtweise wohl nicht, aber die Barockzeit selbst war ja, wie wir wissen, in Besetzungsfragen alles andere als wählerisch und zimperlich. Und die Spielqualität und nur gelegentlich manierierte Gestaltungskunst und Verzierungspraxis Oberlingers ist halt auch diesmal umwerfend. Immer wieder vermittelt die Musik den Eindruck, dass sie im Moment des Erklingens erst entsteht. Zu dieser Vitalität trägt auch bei, dass man Atem- und Einsatzgeräusche mitunter deutlich hört. Zusammen mit dem äußerst präsenten Generalbass entsteht so ein bemerkenswert blutvolles Klangbild.
Das ist noch nicht alles: Zum Ensemble 1700 gesellt sich mit „Li Piffari de le muse“ ein Quartett für die immer wieder eingelagerte Hirtenmusik – das auch Vivaldis Recorder-Konzert RV 443 zugegeben etwas gewaltsam auf Weihnachten trimmt. Und literarisch geht es auch zu: Kein Geringerer als Matthias Brandt liest zwischen den Musikstücken sehr stimmungsadäquat Texte zu Weihnachten in Italien von Fanny Lewald, de Liguori und Turi Vasile – und erweitert solchermaßen das musikalische Christfest zu einem gesamtkunstwerklichen Ereignis.
Weihnachtskantaten auf der CD der Kölner Akademie
In gänzlich andere Weihnachtsgefilde führt die neue CD der Kölner Akademie unter ihrem Gründer und Leiter Michael Alexander Willens. Erneut widmet er sich beim Label cpo – nach einem Passionsoratorium – dem Weimarer Hofkapellmeister Ernst Wilhelm Wolf (1735-1792), von dem er vier Weihnachtskantaten offeriert.

Cover des Albums „Weihnachtskantaten“ mit Musik von Ernst Wilhelm Wolf
Copyright: cpo
Ort und Lebensdaten lassen aufhorchen – sie decken Goethes frühe Phase in der thüringischen Residenzstadt ab. Von einer produktiven Zusammenarbeit von Dichter und Musiker konnte allerdings keine Rede sein: Goethe mochte Wolf nicht leiden, fand ihn „nicht original“ und versuchte auch, ihn aus dem Amt zu drängen. Allerdings erfolglos.
Ausgewiesene Barock-Sänger als Solisten
„Nicht original“? Nun ja, sicher reißt Wolf, der übrigens ein Jahr nach Mozart starb, keine Bäume aus: Der Stil seiner Vokalmusik ist frühklassisch, man merkt den Einfluss Carl Philipp Emanuel Bachs. Das heißt zugleich, dass diese Kantaten, obwohl sie in drei Fällen mit dem gewohnten vierstimmigen Choral schließen, mit Johann Sebastian Bach nichts mehr zu tun haben. An die Stelle ausgefeilter Polyphonie treten liedhafte Bildungen, die Musik ist herzlich und eingängig, der lutherische Verkündigungsgestus im kirchenmusikalischen Werk von Vater Bach ist empfindsam „abgerüstet“. Das verhindert allerdings nicht, dass Wolf mit prunkvollem Ornat, mit Pauken und Trompeten aufwartet – die Musik ist immer wieder auch sehr festlich.
Willens bringt das alles mit seinem Orchester ansprechend, lebendig und differenziert in der Realisation der unterschiedlichen Affekte herüber. Zur Seite stehen ihm ausgewiesene Barock-Sänger als Solisten: Beate Mordal, Georg Poplutz und Matthias Vieweg (die ersten singen auch im Kammerchor der Kölner Akademie mit). Das sind keine Riesenstimmen, aber dank der Mikrofonierung (die Aufnahme entstand in der Wuppertaler Immanuelskirche) für den Hörer doch sehr präsent.
Neue Doppel-CD von Christoph Spering
Mit „Das neugeborne Kindelein“ enthält auch Christoph Sperings neue Doppel-CD mit Bach-Kantaten aus dem Choralkantatenjahrgang 1724/25 (deutsche harmonia mundi) ein Weihnachtsstück – weshalb sie in dieser Besprechung aktueller weihnachten-bezogener Aufnahmen von Repräsentanten der Kölner Alte Musik-Szene nicht fehlen soll. Klar, dass ein Ernst Wilhelm Wolf mit dieser Musik angesichts ihrer immer wieder überwältigenden Kunstfertigkeit und spirituellen Tiefe nicht mithalten kann – was allerdings auch niemand ernsthaft erwartet.

Die neue CD des Dirigenten Christoph Spering
Copyright: Deutsche Harmonia Mundi (Sony Music)
Spering hat es mit seinen zahlreichen einschlägigen Aufnahmen in den vergangenen Jahren geschafft – und das will angesichts der massiven diskografischen Präsenz der Bach-Kantaten etwas heißen –, diesem Werkcorpus ein unverwechselbares Gepräge zu geben. So schnell wird ihn niemand mit Harnoncourt oder Gardiner oder Koopman verwechseln. Orginalität ist sicher kein Wert an sich, aber hier verbindet sie sich in gleicher Weise mit unbestreitbarer Souveränität in der Performance und stringent entwickelten interpretatorischen Grundsätzen. Die betreffen die Temporelationen der einzelnen Sätze im Binnenraum einer Kantate genauso wie die Ausgestaltung des Generalbasses und die Artikulation der Choräle.
Ein tadeloser Chor
Insgesamt beeindruckt Spering – als Beispiel sei hier die Bassarie „O Menschen, die ihr täglich sündigt“ aus besagter „Kindelein“-Kantate genannt – durch ein sattes, fülliges, tendenziell dunkles Klangbild, das aber nicht mit Düsternis, Intransparenz oder Muffigkeit gleichgesetzt werden darf. Der Sound ist einfach sehr körperlich, formt die Klangrede plastisch aus.
Glanz verbreiten immer wieder die solistisch eingesetzten Bläser, so etwa die Hörner in der Kantate BWV 100 „Was Gott tut, das ist wohlgetan“. Tadellos ist die Leistung von Chor und Vokalsolisten (Hannah Morrison, Marion Eckstein, Daniel Behle, Wiederum Georg Poplutz, Tobias Berndt und Daniel Ochoa).