Gürzenich-OrchesterSo will man Offenbach eigentlich immer hören

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Elim Chan blickt zu Boden, in der linken Hand hält sie einen Dirigierstab.

Die britische Dirigentin Elim Chan gastierte in der Philharmonie beim Kölner Gürzenich-Orchester.

Shooting Star Elim Chan sprang in der Kölner Philharmonie als Dirigentin ein und brillierte mit Offenbach, Strawinsky und Rachmaninow.

Das letzte Gürzenich-Abokonzert der Saison begann mit einer Charmeoffensive in Gestalt einer Huldigung an den Genius loci: mit Offenbachs Ouvertüre zu „Orpheus in der Unterwelt“. Die hatte ursprünglich nicht auf dem Programm gestanden. Aber der vorgesehene Dirigent, Dmitrij Kitajenko, ist erkrankt (herzliche Genesungswünsche an den Ehrendirigenten des Orchesters auch von dieser Stelle aus) und musste durch die in Hongkong gebürtige Britin Elim Chan ersetzt werden.

Das war allerdings alles andere als eine hastige Verlegenheitslösung: Chan – derzeit Chefdirigentin in Antwerpen – ist nicht nur ein Shooting Star der internationalen Dirigentenszene, sondern auch durch 2019er und 2022er Gastdirigate beim Gürzenich-Orchester glänzend eingeführt.

Von Elim Chan geht ein schier überwältigender Energiestrom aus

Die von Kitajenko besonders gepflegte Russian Connection blieb freilich gewahrt – mit Strawinskys „Feuervogel“-Suite von 1910 und Rachmaninows „Sinfonischen Tänzen“ opus 45. Und über die Musikmetropole Paris war die Offenbach-Operette elegant an Strawinskys ersten großen internationalen Erfolg als Komponist angebunden.

Dass da eine außergewöhnliche Künstlerin am Pult stand, wurde gleich in den ersten Takten deutlich: Von Elim Chan geht ein schier überwältigender und nie versiegender Kraft- und Energiestrom aus, der sich freilich trotz äußerst präzisem und meist kleinteiligem Schlag nicht in Details verläuft. Offenbachs Ouvertüre ist de facto ein Potpourri mit den Melodie-Rennern der Operette, aber die Dirigentin schaffte es, der Form ihre Beliebigkeit zu nehmen und ein dramaturgisch schlüssiges Steigerungskonzept aufzuzwingen. So und nicht anders will man Offenbach eigentlich immer hören. Durch den Gast erkennbar inspiriert, agierte das Orchester weithin auf superbem Niveau – blitzblank und brillant am Sonntagmorgen mit fokussierter Attacke und stets aufs Neue im Glanz seiner formidablen Solisten an Klarinette, Oboe und Cello bis hin zur Violine des Konzertmeisters.

Chan lässt Charaktere und Stimmungen nie im Ungefähren, sondern neigt dazu, sie zu den Extremen hin auszudeuten. Das kam vor allem dem „Feuervogel“ zugute: Der frühe Strawinsky kennt und fordert ja durchaus noch den schwellend-romantischen Geigensound, während er dann wieder – im „Danse infernal“ des bösen Königs Kastchei – mit den Jazz vorwegnehmenden Synkopen und aggressiven Entladungen zugange ist. Und ein genialer – und als solcher jetzt immer wieder gebührend herausgestellter – Zauberer mit den Orchesterfarben ist er ohnehin.

Als souveräne Gestalterin der Übergänge und subtilen Balancen von Stauung und Lösung zeigte sich Chan schließlich in den Rachmaninow-Tänzen – etwa in der Art und Weise, wie sie das dreitönige Kernmotiv des eröffnenden Satzes aus dem Suchmodus zur voll einrastenden Präsenz führte. Freilich: Irgendwann lauert ein Kipppunkt, an dem der permanente Druck paradoxerweise in Erschlaffung umzuschlagen droht. Im dritten Rachmaninow-Satz war dieser Punkt – fast – erreicht. Das mag allerdings auch an der Musik liegen: Die motivische Prägnanz des ersten Stücks vermag das letzte Werk des Meisters nicht durchzuhalten.

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