„Hart aber fair“ zur PflegeLauterbach bezeichnet aktuelle Pflegeversicherung als „Armutsrisiko“

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Karl Lauterbach (l.) und Katy Karrenbauer bei „Hart aber fair“

Karl Lauterbach (l.) und Katy Karrenbauer diskutieren bei „Hart aber fair“ über die Pflegereform.

Bei „Hart aber fair“ diskutieren die Gäste über Probleme in der Pflege. Minister Lauterbach will eine „Vollkasko-Versicherung“ schaffen.

In Köln wurde zuletzt ein deutlicher Anstieg der Pflegebedürftigen verzeichnet. Gleichzeitig erleben die Kosten in der Pflege einen rasanten Anstieg, dem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit einer Pflegereform entgegenwirken will.  Diese sieht Entlastungen für Pflegebedürftige von immer höheren Zuzahlungen und eine finanzielle Absicherung der Pflegeversicherung vor.

So drängt sich am Montagabend in der ARD-Sendung „Hart aber fair“ die Frage auf, wer sich gute Pflege noch leisten kann und was die Hilfspläne des Bundesgesundheitsministers bringen. Diese Themen und weitere Fragen diskutiert Moderator Louis Klamroth mit seinen Gästen.

Die Gäste bei „Hart aber fair“

  • Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister
  • Silke Behrendt-Stannies, Altenpflegerin und Mitglied bei ver.di
  • Kai A. Kasri, Heimbetreiber und Präsidiumsmitglied des bpa - Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V.
  • Katy Karrenbauer, Schauspielerin, kümmert sich um ihren demenzkranken Vater, der im Heim lebt
  • Jochen Springborn, pflegt seine MS-kranke Frau zu Hause, Mitglied im Verein „Wir pflegen“

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Zunächst stellt Moderator Louis Klamroth dem Gesundheitsminister die Frage, wie stark gute Pflege vom Geld abhänge. Lauterbach leitet daraufhin die Diskussion ein und kritisiert die aktuelle Pflegeversicherung. Diese sei ein „Armutsrisiko“ und nur eine „Teilkasko-Versicherung“.

Der Gesundheitsminister muss sich im Verlauf der Sendung vielen Fragen aus dem Alltag pflegender Menschen stellen. Altenpflegerin Silke Behrendt-Stannies verweist auf die Sorge, dass die Pflege im Heim immer teurer werde. 2500-3000 Euro würden häufig im Monat übernommen werden. Vom Rest könne man „nicht in Würde leben“. Ohne Ersparnisse müsse man auf das Sozialamt zurückgreifen. Dort bekäme man einen Zuschuss von 135 Euro. „Ich finde das unwürdig, von so wenig Geld leben zu müssen. Das ist eine Schande.“

Dazu äußert sich Schauspielerin Katy Karrenbauer, die ihren demenzkranken Vater fast täglich im Heim besucht, nachdem sie zu diesem 50 Jahre keinen Kontakt mehr hatte. Die Pflege ihres Vaters habe sie lange Zeit über sein verkauftes Haus finanzieren können, doch das Geld würde knapp.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach fordert „Bürgerversicherung in der Pflege“

Da es sich bei besagtem Haus um ein Erbstück handelt, stellt Lauterbach die Sichtweise dar, dass die Geldbeträge, die sich aus dem Erbe ergeben, für die Pflege im Alter gedacht seien. Es sei falsch, „mit den kleinen Einkünften von Steuerzahlern den Erbenschutz von reichen Menschen zu bezahlen“.

Ohnehin zeigt sich Lauterbach entsetzt von der Ungerechtigkeit zwischen Gutverdienern mit privater Pflegeversicherung - zu denen sich Lauterbach auch selbst zählt - und schlechter Verdienenden, die aus Solidarkassen leben, in die aber keine Gutverdiener einzahlen. Hier spielt Lauterbach auf eine „Bürgerversicherung in der Pflege“ an, gegen die sich die FDP jedoch in den Koalitionsverhandlungen gewehrt habe.

Die Zuschüsse zum Eigenanteil in der Pflege sollen um 5 bis 10 Prozent erhöht werden. Mehr sei nicht zu verantworten, da es dann keine Gegenfinanzierung über beispielsweise Steuergelder gebe. An dieser Stelle verweist Lauterbach auf seinen Vorgänger Jens Spahn (CDU), der Zuschüsse eingeführt habe, für die es keine Finanzierung gab. Lauterbach hingegen habe sich um eine Finanzierung gekümmert und die Zuschüsse nochmals erhöht. Er wolle nicht „auf Pump weitere Erhöhungen vornehmen und meinem Nachfolger in zehn Jahren hierfür die Rechnung präsentieren“.

„Hart aber fair“: Private Pflegeheime vor Insolvenz

Ein weiterer Streitpunkt an diesem Abend sind die Umstände, unter denen professionelles Pflegepersonal und pflegende Angehörige arbeiten. Die Inflation, Fachkräftemangel als Folge der Corona-Pandemie und höhere Tariflöhne des Personals tragen dazu bei, dass es für private Heime eng wird. Heimbetreiber Kai Kasri betont, dass selbst 3.000 Euro Eigenanteil nicht ausreichen würden, um Heimbetreiber vor der Insolvenz zu retten. Der bundesdurchschnittliche Wert beträgt laut dem Verband der Ersatzkassen 2.000 Euro.

Lauterbach kontert, dass die Unterbezahlung des Personals, der nun mit höheren Löhnen entgegengewirkt wird, ein Problem sei, das sich private Heimbetreiber selbst geschaffen hätten. Gesetzliche Regelungen für höhere Löhne seien notwendig, um das verbliebene Personal zu halten.

Altenpflegerin Silke Behrendt-Stannies fordert daraufhin eine komplette Reform der Pflegeförderung. Sie fühle sich schuldig für die gestiegenen Eigenanteile der Pflegebedürftigen: „Das macht schon was mit einem. Pflegekräfte fordern mehr Löhne und Bewohnerinnen und Bewohner müssen deshalb mehr bezahlen“. Dazu, so Behrendt-Stannies, hätte sie Finanzminister Christian Lindner (FDP) gerne zum Gespräch eingeladen.

„Hart aber fair“: 89% der Deutschen wünschen sich Pflege zuhause

Dass das Thema Pflege und ein würdevolles Altern nicht nur komplexe Zahlen, sondern auch eine tiefgreifende emotionale Note mit sich bringt, wird spätestens dann klar, als Moderator Louis Klamroth ins Einzelgespräch mit Jochen Springborn geht.

Springborn pflegt seine Frau, die an Multipler Sklerose erkrankt ist, seit über 20 Jahren zu Hause - zusammen mit einem Pflegedienst und einem Netzwerk von Verwandten und Freunden. Nebenbei erledigt er seinen Vollzeitjob, oft aus dem Homeoffice. Er habe in den letzten zehn Jahren eine Viertelmillion in die Pflege gesteckt, dies gehe aber nicht endlos so weiter und er würde es in Erwägung ziehen, seine Frau in ein Pflegeheim zu geben, dafür fehlten aber die Plätze. Nebenbei verweist Springborn darauf, dass es auch 270.000 pflegebedürftige Kinder gebe und sich das Pflegesystem nicht nur auf alte Leute fokussieren dürfe.

89 Prozent der Deutschen wünschen sich, im Bedarfsfall zuhause gepflegt zu werden, geht aus der Befragung der Sendung hervor. Laut Heimbetreiber Kasri herrsche in der Bevölkerung jedoch der falsche Eindruck, dass man im Heim in ein kleines Zimmer gesteckt werde und vor sich hin vegetiere.

Ein alternatives Konzept stellt zum Ende der Sendung ein Einspieler von Klamroths Kollegin Brigitte Büscher dar. Diese war zu Gast in einem Altenheim in Mülheim an der Ruhr, die dem Konzept folgt, pflegebedürftige Menschen wieder zu rehabilitieren und zu reaktivieren. Derartige Heime seien knapp 1.000 Euro teurer als im Durchschnitt. Aber Menschen sollen dadurch fitter und auf lange Sicht „kostengünstiger“ werden.

Gesundheitsminister Lauterbach begrüßt dieses Konzept, dessen Testphase momentan laufe und bei wissenschaftlich gegebener Relevanz eine Leistung der solidarischen Pflegeversicherung werden könnte. Ob sich daraus eine echte Möglichkeit zur Selbstbestimmung für ein würdevolles Altern ergibt, lässt die Sendung jedoch offen.

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