„Hart aber fair“-KritikErnste Talk-Runde wird ungewollt zur Comedy-Show

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Die Talkrunde bei „Hart aber fair“ am 15. August um Moderator Frank Plasberg (r.).

Köln/Berlin – Es durfte gelacht werden am Montagabend bei Frank Plasberg, obwohl das Thema der „Hart-aber-fair“-Gesprächsrunde alles andere als lustig war. „Droht aus der Gaskrise eine Gesellschaftskrise zu werden?“, fragte der Moderator zu Beginn. Die Höhe der ab Oktober fälligen Gasumlage von 2,419 Cent pro Kilowattstunde für alle Gaskunden im Land war schließlich die Nachricht des Tages gewesen.

Nun wollte Plasberg mit seinen Gästen – ja was eigentlich? Wahnsinnig Erhellendes, um die Sorgen der Menschen vielleicht ein Stück weit zu lindern, wurde nicht zutage befördert. Immerhin ging es aber, wenn auch teils ungewollt, durchaus komisch zu. Beteiligt waren neben dem Moderator:

  • Saskia Esken
  • Jens Spahn
  • Verena Bentele
  • Klaus Müller
  • Christian Kullmann

Wirtschaftsboss vergleicht Gasumlage mit Fläschchen Lebertran

Die Tageshöchstnote in Sachen Wortwitz verdiente sich Wirtschaftsboss Christian Kullmann. Der Präsident des Verbands der Chemischen Industrie und Evonik-Vorstandsvorsitzende fasste das, was durch den Mangel an russischem Billiggas auf uns zu kommt, so zusammen: „Jetzt ist keine Zeit für Wasserballett, jetzt ist Zeit für Brustschwimmen, da muss der Kopf über Wasser gehalten werden.“ Die Gasumlage verglich er mit einem „Fläschchen Lebertran“, das sei nicht lecker, „aber ich werde es schlucken“. Das „ich“ stand in dem Fall für die gesamte chemische Industrie, die die Gasumlage Kullmanns Angaben zufolge rund drei Milliarden Euro kosten werde.

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Auch auf Plasbergs zweimalige Nachfrage rückte er allerdings nicht mit dem zu erwartenden Gewinn seines Industriezweiges heraus. Nur so viel: Bei Evonik würden rund 2,6 Milliarden erwartet. Da kann man schon mal von Lebertran sprechen, wo andere um ihre Existenz bangen.

Was dann auch Verena Bentele, zwölfmalige Paralympicssiegerin im Skilanglauf und Biathlon und heute Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, dazu veranlasste, Kullmann um das Diktat eines Briefes an jene Menschen zu bitten, die sich verzweifelt an sie wenden, weil sie mit ihren 1000 Euro Rente schon jetzt kaum auskommen.

Was bitte solle sie denen sagen, warum sie eine Umlage zahlen müssten, während die Industrie weiter „irre Gewinne“ mache? Natürlich hatte Kullmann das Totschlag-Arbeitsplätze-Argument zur Hand: Die Industrie müsse Geld verdienen, um gute Jobs anbieten zu können, über die der Sozialstaat finanziert werde.

Netzagenturchef Klaus Müller im Fokus bei „Hart aber fair“

Platz zwei beim Komiker-Preis verdiente sich Bentele dann, als sie den Mann an ihrer linken Seite in Schutz nahm. Dort saß Klaus Müller. Er heißt wohl wirklich so, als hätten seine Eltern schon gewusst, dass er mal Chef einer deutschen Behörde werden würde.

Nun hat Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur, durch die Gaskrise unverhofft Bekanntheit erlangt. Wird im Winter das Gas knapp, entscheidet er, wer noch wie viel von dem begehrten Stoff bekommt. Müller sei ein mächtiger Mann, betonte Plasberg. Jens Spahn, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU, gefällt das nicht. Er findet, so viel Macht sollte ein einzelner Behördenmann nicht haben, im Fall der Fälle müsse eine politische Entscheidung her.

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Kullmann dagegen hat nach Gesprächen mit Müller und Wirtschaftsminister Robert Habeck „hinter verschlossenen Türen“ vollstes Vertrauen in das Prozedere. Und Saskia Esken, die Parteivorsitzende der SPD, betonte, dass Müller ja auf der Grundlage von Gesetzen würde entscheiden müssen. Hier kommt nun wieder Verena Bentele ins Spiel: Sie unterbrach die Scharmützel über den Kopf des ja anwesenden Herrn Müller hinweg und verwies auf die wiederholten Seufzer des Mannes neben ihr. Sie rief sie allen in Erinnerung: „Er will die Macht ja gar nicht.“

„Das wären furchtbare Entscheidungen"

Klaus Müller selbst sagte: „Das wären furchtbare Entscheidungen und nichts, das sich machtvoll oder gut anfühlt." Die gewichtigsten Sätze der Sendung steuerte er auch bei: „Es ist nichts schön zu reden, der Weg ist noch ein weiter, ich kann eine Gas-Mangel-Lage nicht ausschließen. Aber mir ist es wichtig, mehr Energie da rein zu investieren, sie zu vermeiden, als auf sie zuzulaufen, als ob das ein unabwendbares Ereignis wäre.“ Kurz gesagt: Energie sparen kann jeder. Und es lohnt sich.

Ungewollt lustig und damit dritter Sieger wurde Müller, als er bei der von der Regierung beschlossenen Gasumlage die von Kullmann erwähnten „Kinderkrankheiten“ bestätigte und dabei dem in der Corona-Krise nicht immer glücklich agierenden Ex-Gesundheitsminister der CDU einen kleinen Seitenhieb verpasste: „Ich bin sicher, Herr Spahn hat da Verständnis für aus seiner Erfahrung.“

Spahn und Esken verdienten sich mit ihren vorhersehbaren Regierung-Oppositions-Gefechten den Komiker-Trostpreis. In der Schlussrunde hätte Spahn es allerdings fast noch aufs Treppchen geschafft, das muss man ihm lassen. Plasberg wollte wissen, zu wem in der Runde jeder jeweils ziehen würde, wenn im Winter in der eigenen Wohnung die Heizung ausfiele. Spahn sagte: „Zu Herrn Kullmann, der redet alles wieder warm.“

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