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Heilige drei KönigeKnochenklau mit Folgen

Lesezeit 5 Minuten

Gentile da Fabrianos „Anbetung der Heiligen Drei Könige“ von 1423

Köln – Der 23. Juli 1164 ist für Köln ein hochbedeutsamer Tag: Erzbischof Rainald von Dassel hält der rund 50 Jahre später entstandenen Kölner Königs-Chronik zufolge unter Glockengeläut und dem Jubel der Bevölkerung in der Stadt Einzug. Der Grund des Triumphs: Er bringt die Gebeine der Heiligen Drei Könige „zum ewigen Ruhme Deutschlands nach Köln“.

Was dies für das Selbstverständnis der Stadt bedeutete, zeigt ein Blick auf ihr Wappen: Über den die 11 000 gemordeten Jungfrauen symbolisierenden elf Zungen schweben drei Kronen. Die Heilige Ursula und die Drei Könige als Mittler sakraler Sinnstiftung – höher kann ein Gemeinwesen kaum greifen. Der Einzug des Rainald von Dassel jährt sich 2014 zum 850. Mal, wäre aber präzise erst in gut sechs Monaten zu feiern. Wir ziehen die Würdigung vor, weil die katholische Welt am 6. Januar das Dreikönigsfest begeht.

Ein Geschenk von Barbarossa

Die Platzierung der Gebeine in Köln hatte seinerzeit wenig mit Heiligkeit, dafür umso mehr mit Politik zu tun. Erst wenige Jahre zuvor waren die Knochen in der Mailänder Kirche S. Eustorgio gefunden worden. Gegen Mailand, das Haupt des mit dem feindlichen Papst verbundenen lombardischen Städtebundes, führte der Staufer-Kaiser Friedrich Barbarossa damals mehrere Kriege, dabei hingebungsvoll unterstützt von Rainald, dessen Wahl zum Kölner Erzbischof er selbst durchgesetzt hatte. Auf diesem Posten war Rainald automatisch zugleich Erzkanzler für Reichsitalien.

Nachdem das widerspenstige Mailand 1162 zum zweiten Mal vom kaiserlichen Heer erobert worden war, machte Barbarossa die Gebeine von S. Eustorgio seinem so intelligenten wie treu ergebenen, aber auch rücksichtslosen und fanatischen Gefolgsmann zum Geschenk. Kein Fall von Beutekunst, aber von „Beute-Reliquien“. Rainald inszenierte dann ein hinterlistiges Verwirrspiel um seine Reiseroute – was zur Folge hatte, dass die Knochen tatsächlich heil und vollständig in Köln ankamen. Rainald hatte die spirituelle Unterstützung übrigens dringend nötig – immerhin war er vom antistaufischen Papst Alexander III. in den Kirchenbann getan worden. In diesem Sinne kam dem Knochentransfer eine uns heute kaum plausible, für die Mentalität und Denkwelt des Mittelalters aber bezeichnende Bedeutung zu: Wer die Heiligen Drei Könige im Rücken hatte, brauchte für die Herrschererhebung keinen Papst mehr. Und der Kölner Erzbischof war traditionell derjenige, der den deutschen König krönte.

In Köln wird das Ereignis des Jahres 1164 vielfältig begangen:

„850 Jahre Heilige Drei Könige in Köln“ heißt eine opulente Ausstellung im Museum Schnütgen, die vom 25. Oktober bis zum 25. Januar 2015 dauert.

Im Dom sind Ausstellungen in der Hubertuskapelle und in der Schatzkammer geplant. Am Ankunftstag selbst, dem 23. Juli, wird im Dom ein Pontifikalamt gefeiert. (MaS)

Sind die Knochen echt?

Was hat es nun – dies eine Frage, die das glaubenswillige Mittelalter kaum interessierte – mit der Authentizität der Knochen auf sich? Der Legende nach soll sie Helena, die Mutter Kaiser Konstantins, im vierten Jahrhundert während einer Pilgerreise nach Palästina aufgetan und nach Konstantinopel gebracht haben. Von wo aus sie als Geschenk an den Mailänder Bischof Eustorgius kamen.

Im Jahre 1864 holte man einmal die Knochen aus dem Schrein und stellte dabei fest, dass die Skelette Männern gehören, die im Alter von 30, 25 und zwölf Jahren gestorben waren. Eingepackt waren sie immerhin in Textilien, die aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert und aus dem syrischen Raum stammten. Mit der biblischen Überlieferung – genauer: mit dem Matthäus-Evangelium – kann dies so oder so nichts zu tun haben. Dort ist weder von Königen die Rede, die dem Jesuskind ihre Aufwartung machten, noch von der Dreizahl. Die Rede ist vielmehr von „Magi“, von Weisen.

Wie ging es weiter, da die Knochen nun einmal in Köln waren? Rainalds Nachfolger Philipp von Heinsberg lässt zu ihrer standesgemäßen Unterbringung durch den Goldschmiedemeister Nikolaus von Verdun und seine Werkstatt den kostbaren Dreikönigsschrein fertigen – noch heute das Prunkstück des Domchores. Um 1180 wird damit begonnen, aber erst 1225 werden die Arbeiten abgeschlossen.

„Köln“ bedeutet in diesen Jahren längst nicht mehr nur „Erzbischof“. Als dritter Spieler kommt die Bürgerschaft ins Spiel, die ihre eigenen Interessen gegenüber dem Stadtherrn wie dem Kaiser verfolgt – und sie auch weitgehend durchsetzt. Die starken Handelsverbindungen zu England treiben die Stadt an die Seite der den Staufern feindlichen Welfen, die mit dem englischen Königshaus verbündet sind. Im staufisch-welfischen Thronstreit von 1198 bis 1214 steht Köln im welfischen Lager. Das kann man auch dem von Haus aus „staufischen“ Dreikönigsschrein ansehen. Auf dessen Rückseite prangt Rainald als „Goldjunge“, aber auf der Stirnseite erscheint als vierter König hinter den plastischen Miniaturen der legendären Drei der welfische Gegenkönig Otto IV., der Gold für das Kunstwerk gestiftet hatte.

Eine neue Kirche wird benötigt

Der dank des Knochenklaus explosiv anschwellende Pilgerstrom nach Köln – bis in die Neuzeit hinein ein immenser Wirtschaftsfaktor – macht nicht nur den Schrein, sondern in seiner Folge auch einen Kirchenneubau notwendig. Der alte karolingische Dom reicht nicht mehr hin, und so entschließt sich das Domkapitel 1248 – mittlerweile regiert Erzbischof Konrad von Hochstaden – zu einem spektakulären Projekt, dessen Realisation sich über mehr als 600 Jahre hinziehen wird: der Errichtung eines, „des“ gotischen Domes. Auch ihn also hat Köln mittelbar der Aktion des Rainald von Dassel zu danken. Als 1322 der fertiggestellte Chor geweiht wird, findet der Dreikönigenschrein dort seinen angemessenen Platz.

Die Zeit heilte dann auch die offenen Mailänder Wunden. In der oberitalienischen Stadt hatte sich der deutsche Raub tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. 1904 entschloss sich das Kölner Erzbistum, einen Teil der Reliquien zurückzugeben. Sie werden seitdem in einer Urne unter dem Altar von S. Eustorgio verwahrt.