Hommage an Dürer im Museum LudwigDieser falsche Hase in ein echter Polke

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Köln – Albrecht Dürer war noch nicht lange unter der Erde, da begann sich sein berühmter „Feldhase“ auch schon zu vermehren als wäre er ein gewöhnliches Karnickel. Dürer hatte die Tierstudie im Jahr 1502 gemalt, nach seinem Tod ging das vielbestaunte „Häslein“, in dem sich ein neues, an allen Dingen interessiertes Naturverständnis zeigte, an den Händler Willibald Imhof über. Als die Geschäfte schlechter liefen, brachten Willibalds Nachfahren die ersten falschen Hasen unters Volk – oder vielmehr unter die Kaiser und Fürsten ihrer Zeit. Am dreistesten sollte 1630 Kurfürst Maximilian I. von Bayern genarrt werden: Ihm bot man nicht nur den angeblich originalen „Feldhasen“ an, sondern, zum doppelten Preis, auch noch das „Monstrum eines Hasenkopfs mit 4 Ohren, von Alb. Dürers Hand nach dem Leben“ gemalt. Zu blöd für die Betrüger, dass der Fürst schon einen „nach Albrecht Dürer vleissig copierten“ Hasen besaß und dankend ablehnte.

Als Sigmar Polke 1970 seinen „Dürer Hasen“ schuf, stand er in der Tradition einer langen Reihe von Fälschern und Kopisten – die im 20. Jahrhundert durch die industrielle Vervielfältigung von Dürer-Motiven auf Postkarten, Kalenderblättern oder Tischtüchern vollendetet wurde. Polkes Feldhase ist nicht gemalt, sondern mit Gummiband um Nägel gespannt, die in einer mit blauem Stoff bezogenen Pressspanplatte stecken. Dass die tierische Silhouette dabei gut getroffen, Dürers berühmte Signatur, das „AD“-Monogramm, im Verhältnis aber viel zu groß geraten ist, war selbstredend kein Versehen. Dürer achtete zu Lebzeiten peinlich auf seine Urheberrechte, heute darf sich jeder an seinen Motiven vergreifen. So wurde er gewissermaßen post mortem doch noch zum Opfer des eigenen Erfolgs.

Spiel mit Traditionen und Materialien der Kunst

So wie sich Polke in frühen Bildern wie „Kekse“, „Der Wurstesser“ oder „Bäckerblume“ über die Glücksversprechen der Reklame lustig machte, so karikierte er mit dem „Dürer Hasen“ die millionenfach reproduzierte Sehnsucht nach einer heilen Welt. Dürers Aquarell gaukelt dem Betrachter eine Vertrautheit zwischen Mensch und Tierwelt vor, die es nie gegeben und überhaupt nicht geben hat: Entgegen seiner Natur präsentiert sich der abgebildete Hase so geduldig dem Auge des Betrachters, als wisse es um die liebevolle Geduld, mit der sich Dürer bis in die kleinsten Details seiner Löffelohren vertieft. Immerhin kann der junge Aquarellhase seinen angeborenen Fluchtreflex nicht gänzlich unterdrücken: Zum Sprung bereit, dreht er Dürer die Flanke zu und spielt wohl mit dem Gedanken, sich auf der durchs Bild gezogenen Diagonale der Kunstgeschichte zu entziehen. Sein freundliches Zögern machte ihn weltberühmt, heute ist Dürers Meisterwerk so etwas wie die Urform aller Hasenartigen.

Auch Polke gibt sich jegliche Mühe, um Hase und Dürer gerecht zu werden. Obwohl seine Kunst in den 70er Jahren recht psychedelisch anmutet, verstand er sich im Grunde weiterhin vor allem als beredte Fußnote zur langen Geschichte der Malerei. Seine Hommage ist ein Spiel mit Traditionen und Materialien der Kunst, voller Hintersinn und nach über 40 Jahren immer noch alles andere als ausgeleiert – ein Höhepunkt der aktuellen Polke-Retrospektive im Kölner Museum Ludwig.

Für die Kölner Ausstellung ist Polkes „Dürer Hase“ für einige Monate aus dem Stall der Stuttgarter Sammlung Froehlich entsprungen. So schnell wird man ihm wohl nicht wiederbegegnen, denn für Konservatoren ist das Werk ein Alptraum – das hat er freilich mit seinem Vorbild gemein. Dürers „Feldhase“ ist so kostbar, dass ihn die Wiener Albertina in einem Safe aufbewahrt und ihm nur alle Jahre Auslauf gewährt; Leihgaben des Farbentieres sind wahre Staatsaffären. Für den Alltag sitzt ein Stellvertreter im Museum in Positur; vielleicht wechseln sich die Hoppler aus der Imhof’schen Kopistenwerkstatt ja sogar ab. Wir finden: Auch Polkes „Dürer Hase“ hätte es verdient, einmal auf diesem Podest zu strahlen.

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