Gastbeitrag zum Erliegen internationaler KunstIn Corona-Zeiten siegt das Konforme

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Monika Gintersdorfer mit Gregor Zoch am Flughafen Tege

  • Monika Gintersdorfer ist Theaterregisseurin. Ihre Theater/Performance-Gruppen traten in über 25 Ländern auf.
  • In diesem Gastbeitrag der Serie „Geteilte Beobachtungen“ schreibt sie, wie die Corona-Krise diese Arbeit zum Erliegen gebracht hat.
  • Ihre transnationale Gruppe zerschellt an national gedachten Maßnahmen. Einige sind papier- und arbeitslos.

Die Tanz- und Theatergruppe „La Fleur“ entwickelte dieses Jahr ein Stück, das sich mit der Verbindung von Sexarbeit, tödlicher Krankheit sowie nationalen und Gender-Grenzen beschäftigte. Wir, ein 15-köpfiges transnationales Team, verbanden dafür Emile Zolas „Nana“, Virginie Despentes „Les jolies choses“ und Paul B. Preciados „Un appartement sur Uranus“ und nannten die Aufführung „Nana kriegt keine Pocken“.

Anfang März 2020 haben wir uns nach einer Vorstellungsserie in Paris müde und eher glücklich getrennt und jede*r ist „heim“gefahren. Einige mussten dafür nur die nächste Metro nehmen, andere wiederum bestiegen die Flugzeuge nach Abidjan, Berlin, Bremen, Wien, New York, L.A. und Mexico City.

Zur Person

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Monika Gintersdorfer

Monika Gintersdorfer ist Theaterregisseurin. Ihre Theater/Performance-Gruppen Gintersdorfer/Klaßen und La Fleur bewegen sich an der Grenze von Drama und Tanz, Club und Theater, Europa und Afrika und traten in über 25 Ländern auf. Ihre Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen und Förderungen ausgezeichnet.

Der Text ist eine gekürzte Fassung. Den vollständigen Text können Sie auf adkdw.org lesen.

Wir verabschiedeten uns also – „Bisou Bisou La Fleur“ – und waren nicht traurig, weil wir vier Wochen später in Bremen die nächsten „Nanas“ spielen sollten.

Papier- und arbeitslos

Was dann passiert ist: Absage der Vorstellungsdaten, Ausgangsbeschränkung und Reisestopp. Die Folgen: Aufenthaltsgenehmigungen können nicht rechtzeitig verlängert werden, sie verfallen genauso wie die schon gebuchten Flüge zu den Vorstellungen. Einige von uns sind seit April papier- und arbeitslos zugleich.

Wo ist die transnationale Gruppe jetzt, die wir seit vier Jahren aufgebaut haben? Sie zerschellt gerade an den national gedachten Regelungen, die sich überall zumindest temporär durchsetzen. Die Corona-Bestimmungen machen uns unsere Abhängigkeiten und die Fragilität unserer Verhältnisse abermals so richtig bewusst. Wir sind darin geübt, Restriktionen auszuhalten, manche Visa und „Titre de séjour“ (Aufenthaltsgenehmigung) haben wir nicht rechtzeitig bekommen und mussten die enttäuschten Fehlenden umbesetzen. Nur: Da traf es nicht alle gleichzeitig.

Das Leben zwischen den Kontinenten fällt zusammen

Wenn wir in absehbarer Zeit nicht mehr reisen können, dann fällt das Leben zwischen den Kontinenten zusammen, das Kern unserer Arbeit und mittlerweile auch unseres künstlerischen und persönlichen Selbstverständnisses ist. Eine unangenehme Vision, die das Konstrukt, auf dem nicht nur die einzelnen Künstler*innen, sondern auch ihre Familien und Wahlfamilien, ihre Liebesbeziehungen und finanziellen Absicherungen beruhen, zerplatzen lässt.

Eine Rückkehr in eine lokale Existenz ist ein Albtraum für uns, wir wollen die transnationale Arbeit fortsetzen, um einer eurozentrischen Welt- und Kulturauffassung etwas Vielstimmiges entgegenzusetzen – nicht nur in der Theorie, sondern in jedem Moment unseres Zusammenseins. Wir sind ein Ensemble, ein Ensemble ohne festen Spielort. Niemand ist für uns verantwortlich, keine Stadt, keine Institution. Wir können nur zusammen sein, wenn wir reisen dürfen, und wir können nur reisen, wenn wir Arbeit haben und die Grenzen offen sind.

Was ist mit denen, die dazwischenliegen?

In Corona-Zeiten siegt das Formelle und Konforme: Die Verheirateten, die Angestellten, die in Deutschland Gemeldeten, die KSK-Mitglieder können erfasst und damit im besten Falle auch unterstützt werden. Für viele von ihnen immer noch schwierig, aber was ist erst mit denen, die dazwischenliegen, die Doppel- und Dreifachidentitäten ohne ablesbaren Status, die Nichtkategorisierbaren?

Der Performer Alex Cephus war froh, New York für ein paar Monate entkommen zu sein, für einen schwarzen queeren Mann, eine „Butch Queen“, ist Trumps USA kein guter Ort mehr. Und jetzt ist Alex wieder in New York, in Brooklyn. Und die Pointe: Es gibt keinen Ort, der sicher vor Corona ist, aber es gibt Orte, die besser sind als andere. Alex wollte schnell zurückkommen, und jetzt muss ich ihm sagen, dass auch unsere für den Herbst geplante Arbeit auf 2021 verschoben ist. 2021 wird ein großes Jahr für uns, so viel ist schon dorthin verschoben worden. Es fällt mir oft schwer aufzustehen, das Jahr 2020 – verschieben wir es auf später! Wenn es doch nur einen Sommerschlaf gäbe, drei Monate durchpennen und den ganzen Speck verlieren.

Outdoor-Performances vor den Theatern

Und dann kommt Mitte Mai doch Bewegung in die Szene, fast zeitgleich erhalten wir Anfragen für Outdoor-Performances im Juni und Juli vor den Theatern. Es wäre unsere erste praktische Arbeit seit Anfang März. Wir überlegen, wie wir die Performer*innen beider Gruppen von Gintersdorfer/Klaßen und „La Fleur“, die nicht reisen können, mit Rechercheaufgaben und Liveschaltungen beteiligen. Wir sind gegen eine Digitalisierung unserer Arbeit, wir wollen im öffentlichen Raum sein, aber wir wollen nicht, dass nur der in Europa anwesende Teil der Gruppe dabei sein kann und von den Jobs profitiert.

Nach „Nana“ blieb Arturo Lugo noch sechs Wochen bei seinem Freund in Berlin, dann zurück nach Mexico City, um die Schwierigkeiten, die eine auch noch so kurze Überschreitung bereitet, zu vermeiden. Er hatte sich schon einmal eine zweijährige EU-Sperre eingefangen. Wenn der Flug abgesagt worden wäre, hätte diesmal die Schuld nicht bei ihm gelegen. Aber der Flug fand statt, vorher gab er mir noch diesen Text:

„Das Begehren, mich mit anderen Personen zu verbinden, hängt von meiner Entscheidung, meiner Praxis ab. Ich möchte mich mit einer Diversität von Körpern treffen und von ihrer kulturellen Praxis lernen, damit wir uns zusammen in starken sozialen Verflechtungen organisieren: in ständiger Transition sind. Zwei Jahre lang hatte ich ein Einreiseverbot in die EU, seitdem halte ich es für das Wichtigste, unsere Zuneigungen, unsere Lieben vor einem unterdrückerischen System zu verteidigen, das unsere Körper unter seine Legalitätsbestimmungen bringt.“

Annick Agbadou und Franck E. Yao an der Elfenbeinküste und Chris und Lydia in Kinshasa halten uns auf dem Laufenden über ihre Wahrnehmungen dort: Franck mit Malaria und nicht aufgrund von Corona im Krankenhaus, Lydia hat in Kinshasa nur einmal kollektiven Zorn bemerkt, als es hieß, neue Impfstoffe sollten an afrikanischen Personen getestet werden. Annick experimentiert gerade mit leckerem Dégué, ein Joghurt-Hirse-Couscous, um sich ein kleines Einkommen zu sichern. Die Bars sollen bald wieder aufmachen – gut zu wissen, denn in Europa lese ich oft Horrorartikel wie „Corona – Afrika am Rande des Abgrundes“, ganz in der europäischen Tradition, sich Afrika als einheitliches Katastrophengebiet vorzustellen.

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Da sind wieder die Kategorisierungen, die wir loswerden wollen. Mittlerweile gibt es einen Diskurs darüber: Lesen Sie Felwine Sarr, der sich an Afrikaner*innen richtet, wenn er schreibt, dass es eine Chance bei Corona ist, Europa als Utopie zu verbannen und „innerlich eine Präsenz zu entwickeln und diese sich offenbaren zu lassen, was gewöhnlich abgewürgt wird durch Hyperaktivität und den Lärm draußen. Wir hatten die Begegnung mit uns selbst aufgeschoben.“

Und „La Fleur“? Wir rufen uns an, gratulieren uns zum Geburtstag, geben uns Sprachklassen am Telefon, Bewegungsklassen per Video, wir möchten bald wieder zusammenkommen an einem Ort, an dem wir die Rastlosigkeit loswerden und ein Ensemble sein können.

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