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„Instant Holograms On Metal Film“Gedankenspiele für eine bessere Zukunft

Lesezeit 4 Minuten
Die Band Stereolab posiert vor einer fahrenden U-Bahn.

Die Band Stereolab auf dem Weg nach Köln. 

Die epochale britische Band Stereolab veröffentlicht nach 15 Jahren erstmals wieder ein neues Album. Am 26. Mai spielt sie in Köln.

Das Comeback kündigte sich per Vorspiel an, und auf postalischem Wege. Ausgesuchten Anhängern der britischen Band wurden Anfang April Päckchen mit der Aufschrift „unaufgefordertes Stereolab-Material“ zugeschickt. Neben der Single „Aerial Troubles“ enthielten die Sendungen ein Kreuzworträtsel für Ultra-Auskenner, das die Band auch plakatieren ließ. Die Werbung zündete, die sozialen Medien fingen Feuer. Jetzt endlich halten Fans „Instant Holograms On Metal Film“ in Händen; ein 13 Tracks starkes Lebenszeichen im Longplay-Format.

Aber war das überhaupt neue Musik von Stereolab oder ein weiteres Stück aus den so intensiv durchgeackerten Archiven? Eine scharfe Trennlinie zwischen neu und alt wollte die Band von Lætitia Sadier und Tim Gane sowieso nie ziehen, sie beliebte, unser Raum- und Zeitgefühl angenehm durcheinanderzuwirbeln. Seit 2010 waren Stereolab auf Eis gelegt, 2019 begannen die Musiker wieder live aufzutreten, während schicke Wiederveröffentlichungen aus den 1990ern aus der Zukunft der Vergangenheit grüßten.

Seit langer Zeit gibt es wieder neue Aufnahmen von Stereolab

Bei „Instant Holograms On Metal Film“ handelt es sich nun tatsächlich um aktuelle Aufnahmen; Songs wie „Aerial Troubles“ und „Melody Is A Wound“, die mit Krisenbefunden starten und eine gesellschaftliche Neuorganisation fordern, raus aus Konsumspirale und Kriegsökonomie. Gedankenspiele für eine bessere Zukunft hellen Stereolab mit Yé-Yé-Beats und Melodien auf, die von den Beach Boys in deren besten Jahren stammen könnten - mit elektronischem Geklingel und hymnischen Bläsersätzen („Immortal Hands“) und Harmonien, die in der Tradition der Música Popular Brasileira stehen („Transmuted Matter“).

Den gesellschaftskritischen Impetus hatten Sadier und Gane aus der Vorgängerband McCarthy mitgenommen, als sie Stereolab Anfang der 1990er gründeten. McCarthy war eine politisch links aufgestellte Schrammelrockband aus der Ostlondoner Industrieregion Barking, in der Thatchers eiserner Besen besonders hart gekehrt hatte. In den Reihen von Stereolab spielten sich die in Frankreich geborene Sängerin und der Gitarrist aus ihrer Britrock-Herkunft schnell heraus. Ihr zweites Album „Transient Random-Noise Bursts With Announcements“ erschien 1993 zur Peak Time der Grunge-Bewegung, die keine 12 Monate später durch Kurt Cobains Schrotflinte in ihre Einzelteile zerlegt wurde.

Stereolab traten Türen in bis dato kaum bekannte Klangräume ein

Grunge, das wussten wir damals noch nicht, war die vorerst letzte global relevante Gitarrenmusik, der Rock verabschiedete sich fortan als Leitkultur. Hier kam Stereolab ins Spiel: Sie traten ein Dutzend Türen in bis dato kaum bekannte Klangräume ein und katapultierten Elementarteilchen des Rocks in Gegenden, die weit entfernt von den Schmerzensgeschichten des eben noch omnipräsenten Grunge waren.

Den größten Anteil daran hatten Sadier und Gane, die privat auch lange Zeit ein Paar waren: die kluge Pop-Analytikerin, die ihrem Vortrag eine gehobene Form von Distanz zukommen lassen konnte, und der Sounderfinder von Stereolab, ein Gitarrist, der für Easy Listening und Krautrock brannte. Ihre Musik klang beizeiten so, als würde sie per Direktschaltung aus dem Weltraum übertragen, mit Sounds, die Doktoranden der Röhrentechnik extra für die Band aufbereitet hätten, minimalistisch, referentiell.

Der erste Fan-Liebling unter diesen Space-Tracks war ein 18-minütiger Beitrag namens „Jenny Ondioline“, der einen Fluchtort irgendwo da draußen besetzte, weit entfernt von den Zumutungen auf dem blauen Planeten. Der Song war nach dem französischen Klangforscher Georges Jenny und seiner Erfindung aus dem Jahr 1938 benannt worden, der Ondioline, eine Art Vorläufer für den Synthesizer. Die geliebten Vintage-Synthesizer, riesige, plumpe Geräten mit Ziffern, Schaltern und Anzeigen versorgten das Band-Image mit ikonischen Bildern, die aus einer Zeit stammten, die den Glauben an ein Morgen noch kannte. Die Möglichkeit einer Utopie, die sich im Sound-Universum von Stereolab fortschrieb und immerzu nach Haltung rief.

Die frisch erschienene Songsammlung erinnert jetzt daran, dass Stereolab als Agenten des Wandels schon vor mehr als einem Vierteljahrhundert in vorderster Reihe an der zentralen Entwicklung der Popmusik der letzten Dekaden beteiligt waren: die Neukontextualisierung von Stilen, in einer Zeit, in der keine neuen Stile mehr geboren werden sollten. Dabei spielten die privaten musikalischen Entdeckungstrips der Bandmitglieder eine entscheidende Rolle, in ihrer Eigenschaft als „ultimative Plattensammler-Rocker“ hätten Stereolab mit einer Vielzahl von Klangstoffen und Strukturen umzugehen gelernt, schreibt Kritiker Simon Reynolds in seinem Meisterstück „Retromania“.

Wenn Stereolab heute ansatzweise Rockmusik spielen, dann aus dem Groove heraus, frei von Ornament und Überwältigung, klar in der Analyse. Hoffnung keimt in der Meditation, die Chance auf Veränderung im Widerstand. So wie sie das schon in ihrem größten Hit formulierten, „French Disko“ von 1995: „I’ve been told it’s a fact of life / Men have to kill one another / Well I say there are still things worth fighting for / La Resistance“.


Am 26. Mai tritt Stereolab im Gloria in Köln auf. „Instant Holograms On Metal Film“ ist auf dem Duophonic Label über den Elektronik-Giganten Warp erschienen.