Interview mit „Sucht und süchtig“-Host John Cook„Der Podcast hat mein Leben gerettet“

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Decker hält den Award hoch und kneift die Augen zusammen, er trägt ein braun-kariertes Sakko. Cook hat einen kleinen roten Umschlag in der Hand und lächelt. Sein T-Shirt ist zur Hälfte schwarz, zur Hälfte weiß.

Hagen Decker (l) und John Cook gewinnen den Deutschen Podcast Preis in der Kategorie„Bester Independent Podcast“

John Cook macht mit seinem Freund Hagen Decker den Podcast „Sucht und süchtig“, der den Deutschen Podcast Preis gewonnen. Im Interview spricht er über seine Suchtprobleme und die Resonanz auf den Podcast.

John Cook, der Podcast, den Sie zusammen mit Ihrem Freund Hagen Decker machen, ist unerwartet erfolgreich und erfährt eine riesige Resonanz bei Zuhörern und Zuhörerinnen. Eigentlich erstaunlich, dass „Sucht und süchtig“ offenbar eine Lücke gefüllt hat.

John Cook: Ich finde das auch total verrückt. Das ist ja wirklich eines der ersten Formate in Deutschland. Dabei liegt das Thema ja eigentlich auf der Hand. Oft werden mit Sucht krasse Geschichten über die düstere Drogenszene in Verbindung gebracht. Und im Unterschied zu solchen Formaten legen wir unseren Fokus ganz klar auf Gefühle. Es gibt ja auch wenig andere Themen, bei denen man so komplett ehrlich sein muss. Und dass wir das versuchen, spüren die Zuhörer. Das ist wie eine Therapie.

Sie haben sich im Entzug kennengelernt. Was war Ihr Ziel, als Sie angefangen haben, zusammen den Podcast aufzunehmen und Ihre Geschichte zu erzählen?

Wir wussten: Selbst wenn ein einziger Mensch sein Leben oder seinen Konsum überdenkt, dann haben wir schon gewonnen. Auch wenn uns nur zehn Leute hören. Und es hat uns natürlich super überrascht und glücklich gemacht, dass wir jetzt so einen großen Einfluss haben.

Was glauben Sie, warum auch viele Menschen ohne Drogenprobleme zuhören?

Es geht es ja um viel mehr als um Drogenkonsum. Ich denke, dass unser Podcast sich um ein zufriedenes Leben dreht. Zufriedenheit und innere Balance – genau das ist es ja, was wir als Drogenabhängige dringend brauchen, weil die Drogen eine innere Leere ausgefüllt haben. Und am Ende fühlen ja viele Menschen so eine große Leere.

Die Hosts von „Sucht und süchtig“ gehen offen mit ihren Erlebnissen um

In der Zeit Ihrer Abhängigkeit haben Sie quasi Ihr letztes Hemd verpfändet. Ständig gelogen und Freunde und Familie um Geld betrogen. Hat es Überwindung gekostet, mit so intimen Erlebnissen in die Öffentlichkeit zu gehen?

In die Öffentlichkeit zu gehen, war natürlich ein großer Schritt und eine schwierige Entscheidung. Aber es war von Anfang an klar, dass uns das wichtig ist. So viel von uns zu zeigen ist deswegen auch gar nicht so unangenehm, wir sehen das als eine Art Rache an der Sucht. Sich zu reflektieren, um zu überleben.

Wir sehen das als eine Art Rache an der Sucht
John Cook

Wie reagiert Ihre Zuhörerschaft darauf?

Wenn Leute echte Menschen hören, dann können sie auch besser zu sich selbst finden und sich Dinge eingestehen oder eigene Verhaltensmuster anschauen. Und wir versuchen eben so authentisch zu sein, wie wir können. Um den Leuten, die auch Probleme haben, zu zeigen: Ihr seid nicht alleine. Und dazu kriegen wir auch viele Rückmeldungen. Zum Beispiel die Pornografie-Folge: Das war natürlich unangenehm, das aufzunehmen und über den eigenen Pornografiekonsum zu sprechen. Aber da haben wir ganz viel Feedback bekommen. Von Leuten, die geschrieben haben: „Wow, ich wusste gar nicht, dass es anderen auch so geht.“ Und die dadurch das Gefühl bekommen, wir sitzen gemeinsam in einem Boot. Und ich glaube, das ist auch etwas, was den Zauber dieses Podcasts ausmacht.

Sehr viele Menschen mit Suchtproblemen wenden sich an Sie. Wie gehen Sie mit dieser Verantwortung um?

Wir sind natürlich keine Experten, keine Mediziner. Und allen, die uns schreiben, müssen wir natürlich immer wieder sagen: Wir können nur von unseren eigenen Erfahrungen sprechen. Deswegen weisen wir auch in jeder Folge auf Drogenberatungsstellen hin. Und wir können natürlich nicht jedem antworten. Wir kriegen unheimlich viele Nachrichten mit wahnsinnig berührenden Geschichten. Auch von Leuten, die sonst keine Gelegenheit haben, so etwas auszusprechen. Teilweise Prominente oder Menschen in hohen Positionen. Da wird uns sehr viel Vertrauen entgegengebracht, auch von der Community.

Wie fühlt sich das an, für so viele Menschen plötzlich ein Ratgeber oder sogar Vorbild zu sein?

Es ist krass, dass wir eine Projektionsfläche geworden sind für Menschen, die einfach mal was loswerden müssen, was sie davor nicht konnten. Fast jeden Tag kommen mir da die Tränen – wenn sich jemand dafür bedankt, dass die Familie wieder zusammengekommen ist, weil der Vater seinen Konsum eingeschränkt hat. Und vor allem ist unglaublich, dass wir wirklich schon hunderte, tausende Nachrichten bekommen haben von Menschen, die durch den Podcast dann tatsächlich den Schritt in die Therapie gegangen sind. Oder schreiben, dass sie nach 30 Jahren ihren Konsum eingestellt haben. Da spüre ich so eine unglaubliche Dankbarkeit. Ich habe gestern meine Eltern angerufen und mich bedankt, dass sie mir geholfen haben, da rauszukommen. Und ich kann jetzt diese Hilfe weitergeben.

Der Podcast war für John Cook und Hagen Decker ein Weg, Probleme anzusprechen

Als Sie die Idee für den Podcast hatten – war da schon der Gedanke, dass daraus auch ein Job für Sie entstehen könnte?

Dass das ein Job für uns werden könnte, haben wir auf keinen Fall gedacht. Auf der einen Seite wollten wir uns selbst damit helfen, Dinge auszusprechen, die uns beschäftigen. Aber eben auch anderen Leuten zeigen, dass viele wahrscheinlich ähnliche Probleme haben. Dass wir jetzt davon leben können, ist ein Geschenk des Himmels. Wir halten ja auch Vorträge oder gehen in Schulen. Und je mehr wir der Sucht den Mittelfinger zeigen können, desto besser.

Wenn Sie jetzt einen Rückfall hätten, würden das tausende Menschen mitbekommen. Ist das auch so eine Art soziale Kontrolle?

Ja, auf jeden Fall. Ich wurde auch schon gefragt, ob das nicht einen krassen Druck ausübt. Aber das tut es tatsächlich nicht. Dass wir jetzt in der Öffentlichkeit stehen, fühlt sich mehr so an wie voranzugehen und die Leute mitzunehmen. Das ist ein ganz, ganz positives Gefühl.

Im Podcast erzählen Sie, dass Sie jetzt auch anders auf unsere Gesellschaft schauen, wenn es um den alltäglichen Drogenkonsum geht.

Man kriegt da schon einen anderen Blick. Ich war zum Beispiel gerade im Urlaub - in einem All-inclusive-Club. Und da stand auf jedem Tisch immer schon von vornherein eine Flasche Wein. Das finde ich krass, wenn man sich überlegt, man wäre Alkoholiker. Wenn da jeden Tag Kokain auf dem Tisch läge – das wäre ja absolut dramatisch für mich.

Seit diesem Sommer läuft „Sucht und süchtig“ bei der ARD – hat sich dadurch etwas verändert?

Wir freuen uns über ein bisschen mehr Reichweite und natürlich ist auch toll, dass wir jetzt dadurch auch nochmal in andere Talkshows eingeladen werden. Andere Möglichkeiten haben, unsere Message zu verbreiten. Inhaltlich ändert sich aber nichts. Wir müssen nur die ARD Audiothek erwähnen - ansonsten ist alles genauso wie vorher. Natürlich ist es aber sehr schön zu wissen, dass der Bildungsauftrag von „Sucht und süchtig“ wahrgenommen wird. Wir haben ja schon öfter gedacht: Meine Güte, wir machen hier eigentlich das, was das Gesundheitsministerium machen sollte.

„Sucht und süchtig“ gewann sogar den Deutschen Podcast Preis

Es gibt oft Gäste im Podcast – wonach wählen Sie die aus?

Einerseits lernen wir oft interessante Leute kennen oder werden auch angesprochen. Ansonsten wollen wir jede Sucht in irgendeiner Form abbilden. Gerade hatten wir zum Thema Essstörungen die Influencerin Sophia Thiel da. Die nächste Folge, die wir aufnehmen, dreht sich um Glücksspielsucht. Und es ist interessant, sich die Parallelen anzuschauen. Wir stellen immer wieder fest: Sucht ist Sucht. Das ist ein total interessanter Punkt, dass es auch bei anderen Krankheitsbildern oft um diese Leere im Menschen geht. Und eigentlich alle Geschichten sich ähneln. Und je mehr Gesichter wir da zeigen können, je mehr Menschen wir da mitnehmen können, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Menschen da draußen sich damit identifizieren können. Wichtig ist, dass unsere Gäste in Behandlung sind oder ihre Probleme in Angriff genommen haben – um da auch Inspiration zu sein.

Man muss nicht so tief in den Abgrund schauen, wie wir es getan haben
John Cook

Sie erzählen auch sehr offen von den düstersten Momenten in der Zeit der Suchterkrankung. Wollen Sie damit auch abschrecken?

Wir wollen auf jeden Fall deutlich machen: Da müsst ihr nicht hin, wo wir waren. Wir haben beide sehr viele Jahre konsumiert und man muss zum Glück nicht so tief in den Abgrund schauen, wie wir es getan haben. Man kann auch früher abspringen. Wir wollen ja auch niemandem verbieten, einen Rausch zu haben. Wir sagen nur, dass es keinen Weg mehr zurück gibt, sobald man abhängig ist. Du bist halt für immer chronisch krank. Und dieser Fakt, dass Drogenkonsum zur Abhängigkeit führt, wird irgendwie total entkoppelt von dem Konsum an sich. Man konsumiert und konsumiert und irgendwann denkt man sich: Scheiße. Dann ist man da drin. Und wir wollen davor ansetzen. Indem wir zeigen, wie es enden kann.

Sie wurden kürzlich mit dem Deutschen Podcast Preis ausgezeichnet. Was macht die Erfolgsgeschichte des Podcasts mit Ihnen?

Mir hat der Podcast mein Leben gerettet. Für mich ist Hagen ein Teil meines Lebens geworden und ich bin unendlich dankbar, dass ich ihn kennenlernen durfte. Das alles ist wirklich ein Geschenk. Ich dachte ein Jahr davor, ich würde sterben! Mein Leben war für mich vorbei. Ich habe viele Dinge gemacht, die ich mir selber nicht verzeihen kann. Das ist das erste Mal in meinem gesamten Leben, dass ich so etwas wie Stolz fühle. Und denke, ich mache etwas Gutes. Und das ist ein unglaubliches Gefühl, das ich vorher nicht kannte.


Hagen Decker und John Cook haben mehr als ein Jahrzehnt lang Kokain konsumiert, bis sie 2022 entschieden haben, endgültig aufzuhören. Kennengelernt haben sie sich in der stationären Suchttherapie in Berlin. Und dort haben sie auch beschlossen, ihren gemeinsamen Podcast "Sucht und Süchtig" zu starten - noch während der Therapie. Hagen Decker (40) arbeitete früher als Regisseur für Musikvideos und Werbung und war vier Mal für den Echo nominiert. John Cook (34) arbeitete unter anderem als Grafiker. Beide haben Kinder.

Am Donnerstag, 14. September, kommen Hagen Decker und John Cook mit ihrem Podcast live ins Kölner Artheater. Die Veranstaltung ist ausverkauft.

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