Interview mit Regisseur Peter Jackson„Ich bin ein Technik-Idiot“

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Peter Jackson

Peter Jackson

Drei „Hobbit“-Filme in drei Jahren haben Spuren hinterlassen: Peter Jacksons zerzauste Haare und der strubbelige Bart sind nun eindeutig Gandalf-Grau. „Leider habe ich auch wieder zugenommen“, erzählt der Regisseur, als er mit einer Kaffeetasse in der Hand eine Suite im Londoner Claridge’s betritt, mit blütenweißem Hemd, blauen Jeans und braunen Loafers.. „Nach der «Herr der Ringe»-Trilogie hatte ich gut 20 Kilo abgespeckt“, fährt Jackson fort. „Aber bei den Dreharbeiten zu den Hobbit-Filmen bin ich leider wieder zu meiner Fish&Chips-Diät zurückgekehrt.“ Spricht’s und streicht sich zufrieden über den Bauch.

Mister Jackson, Sie haben jetzt den letzten „Hobbit“-Film am Start. Was geht da in Ihnen vor?

Peter Jackson: Ich fühle mich enorm erleichtert, bin sehr stolz auf das, was wir erreicht haben und auch ein bisschen traurig, dass jetzt alles vorbei ist. Immerhin habe ich an den drei „Hobbit“-Filmen über vier Jahre gearbeitet. Und an der „Herr der Ringe“-Trilogie fast doppelt so lange. Bei Licht betrachtet, war ich eigentlich seit 2000 – also 14 Jahre lang – fast ausschließlich mit meinen Tolkien-Filmen beschäftigt. Das ist die Hälfte meines Lebens als Regisseur.

Haben Sie Angst, in das berühmte schwarze Loch zu fallen?

Jackson: So weit denke ich noch nicht. Zurzeit genieße ich das Finale meiner Hobbit-Trilogie. Und in Gedanken bin ich schon dabei, die sechs Tolkien-Filme so aufeinander abzustimmen, dass man sie hintereinander weg als großes Tolkien-Epos im Kino erleben kann. Denn das habe ich mir schon seit dem ersten „Herr der Ringe“-Film gewünscht.

Deshalb haben Sie in den „Hobbit“-Filmen auch schon Verweise auf die „Herr der Ringe“-Trilogie eingebaut?

Jackson:… weil alles wie aus einem Guss erscheinen soll. Das war mir immer sehr wichtig. Der große narrative Bogen sollte – wie bei Tolkien – absolut stimmig sein. Immerhin passieren die Abenteuer aus „Der kleine Hobbit“ 60 Jahre vor der „Herr der Ringe“-Trilogie. Außerdem habe ich auch sehr viel Wert darauf gelegt, dass es in der Bildsprache keine Brüche gibt. Das Visuelle soll sich nahtlos aneinander fügen. Und natürlich sollte das Gleichgewicht zwischen den beiden Geschichten stimmen.

Auf der nächsten Seite spricht Peter Jackson über Kritik an der „Hobbit“-Trilogie, die Rolle von Frauenfiguren im Film und den Druck, der auf ihm als Regisseur lastet.

Genau das haben Ihnen einige Kritiker aber vorgeworfen: Dass Sie aus dem dünnen Kinderbuch „Der kleine Hobbit“ gleich drei abendfüllende Spielfilme gemacht haben.

Jackson: Lassen Sie sich vom Umfang des Buches nicht täuschen. „Der kleine Hobbit“ reißt sehr komplexe Szenarien oft nur an, oder handelt sie auf wenigen Seiten ab. Hätte ich das Buch dementsprechend verfilmt, wäre kaum Zeit gewesen, um die Charaktere der einzelnen Figuren richtig zur Entfaltung zu bringen und sie entsprechend weiterzuentwickeln. Ich wollte mir aber bei der Charakterzeichnung viel Zeit lassen. Denn mir war sehr wichtig, dass alle diese Figuren später zu den Protagonisten in „Herr der Ringe“ passen. Außerdem habe ich noch zusätzliches Material verwendet, das Tolkien erst viel später über die Mythologie der Hobbits, Zwerge und Elfen geschrieben hat. Man findet diesen 125 Seiten starken Anhang im Buch „Die Rückkehr des Königs“. Und plötzlich hatte ich eine Fülle von Stoffen und neue Möglichkeiten, sie miteinander zu verbinden.

Sie haben sich bei der „Hobbit“-Trilogie mehr Freiheiten genommen als bei „Herr der Ringe“.

Jackson: Das stimmt. Aber damit können meine wunderbare Drehbuchautorin und Tolkien-Expertin Philippa Boyens und ich gut leben. Denn sie fügen sich sehr gut ins Tolkien-Universum ein. Bei Tolkien gab es ja nur wenige Frauenfiguren. Also haben wir zum Beispiel der Elfe Arwen, in der „Ringe“-Trilogie von Liv Tyler gespielt, mehr Raum gegeben, und die Elfe Tauriel für die Geschichte dazu erfunden.

Sie haben mit Martin Freeman die Idealbesetzung des Hobbits Bilbo Beutlin gefunden. War das schwer?

Jackson: Nein, für mich war Martin immer die erste Wahl.

Warum?

Jackson: Weil er ein sehr versierter Schauspieler ist, der sowohl ernst und tragisch, als auch sehr komisch sein kann. Für mich ist das Finden geeigneter Schauspieler immer extrem wichtig. Damit steht oder fällt letztlich der Film. Und da das Drehen für mich der schönste Teil beim Filmemachen ist, habe ich eine besondere Freude, wenn ich von guten Schauspielern umgeben bin. Bei Martin kam noch hinzu, dass er als Bilbo eine ganz wunderbare, etwas verschrobene britische Art hat – genau wie Tolkien es wohl gewollt hätte.

Der Ton der „Hobbit“-Filme ist viel leichter als der von „Herr der Ringe“…

Jackson: … das liegt zum einen daran, das „Herr der Ringe“ eine ziemlich dunkle und mystisch-apokalyptische Fabel ist – und „Der kleine Hobbit“ eben ein Kinderbuch. Allerdings habe ich versucht, die rein kindlichen Elemente eher abzuschwächen und die dramatischen zu forcieren.

Wie gehen Sie beim Drehen mit dem enormen Druck um, der als Regisseur auf Ihnen lastet?

Jackson: Ich versuche, die große Verantwortung einfach zu verdrängen, die ich als Regisseur habe: für das viele Geld, das man mir für so einen Film gibt und das nicht meins ist. Für die Schauspieler, die oft monatelang in Neuseeland ausharren müssen, ebenso wie für die Crew. Und vor allem für das Gelingen des Films. Aber während der Dreharbeiten bei so einem gigantischen Projekt habe ich jedes Mal schreckliche Albträume. Ich träume, dass ich im Bett liege, die Schauspieler und die Crew stehen um mich herum und fragen mich Sachen zum Film – und ich habe keine Ahnung. Ich weiß oft nicht einmal, um welchen Film es sich handelt. Und diesen Albtraum habe ich dann 266 Nächte lang – so lange haben wir nämlich an „Der Hobbit – Die Schlacht der Fünf Heere“ gedreht.

Auf der nächsten Seite spricht Peter Jackson über technische Standards in seinen Filmen, das 3-D-48-HFR-Bildformat und die Zukunft des Kinos.

Der technische Standard bei Ihren Filmen ist enorm hoch, die Computer-Animation überragend. Sind Sie ein Technik-Freak?

Jackson: Ich bin ein Technik-Idiot! (Lacht) Ich habe keinen blassen Schimmer von der Technik beim Film. Bei den Dreharbeiten zu „Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn“ stand ich immer wie gebannt neben Steven Spielberg, der auch den technischen Aspekt des Filmemachens so souverän beherrscht. Dieses Motion-Capture-Verfahren zum Beispiel war eine große Bereicherung für die Gollum-Sequenzen im ersten Hobbit-Film. Aber auch einzelne Schlacht-Szenen beim jetzigen Film wurden so gedreht. Ich stehe dann mit meiner kleinen Digital-Kamera mitten im Kampfgetümmel. Da kann ich mich kreativ voll und ganz austoben. Ich drehe gern so viel Material, wie ich nur kann. Damit ich dann im Schneideraum die größtmögliche Auswahl habe. Ich nehme mir viel Zeit für die Nachbearbeitung der Spezial-Effekte. Denn sie bestimmen letztlich den Look des Films. Bei mir steht Fantasie eindeutig über der Technik. Ich habe ja schon Probleme, eine E-Mail richtig zu verschicken.

Wie kommen dann diese fantastischen Filme eigentlich zustande?

Jackson: Der Trick beim Filmemachen ist, dass man sich mit Leuten umgibt, die technisch versiert sind und wissen, wie es geht.

Peter Jackson, 53, gehört seit seiner „Herr der Ringe“-Trilogie (2001-2003) zu den erfolg reichsten Regisseuren aller Zeiten. Die drei Tolkien-Verfilmungen gewannen insgesamt 17 Oscars, darunter „Bester Film“ und „Beste Regie“ für „Die Rückkehr des Königs“.

Der Neuseeländer begann seine Karriere mit Horrorfilmen („Bad Taste“, 1987) schaffte mit dem Drama „Heavenly Creatures“ 1994 den internationalen Durchbruch und setzte mit „King Kong“ (2005) neue Standards im Fantasy-Genre. Der letzte Teil der „Hobbit“-Trilogie („Die Schlacht der fünf Heere“) ist am Donnerstag angelaufen.

Seit 1987 ist Jackson mit Fran Walsh verheiratet. Sie hat für viele Jackson-Filme am Drehbuch mitgearbeitet. (ksta)

Warum haben Sie auch Ihren neuen „Hobbit“-Film wieder im 3-D-48-HFR-Bildformat gedreht? Das Format hat sich doch bis heute noch nicht richtig durchgesetzt.

Jackson: Aber es wird sich bald durchsetzen, da bin ich mir ziemlich sicher. Sehen Sie, früher hat man die Filme mit der Hand abgespielt, was meist zu Unebenheiten im Bewegungsablauf führte. Dann kam 1927 der Tonfilm und da die Tonspur auf dem Zelluloidstreifen mitlief, hat man sich auf die Geschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde geeinigt. Das war eine Art Kompromiss, bei dem der Ton nicht leierte und das Bild relativ stabil war. Nun, nach über 85 Jahren, gibt es digitale Abspielgeräte, mit denen man Filme problemlos in verschiedenen Geschwindigkeiten abspielen kann. Warum also nicht mit 48 Bildern pro Minute? Für mich eröffnet dieses Verfahren jedenfalls eine völlig neue, extrem realistische Bild-Ästhetik.

Sie glauben also nach wie vor an die Zukunft des Kinos?

Jackson: Aber sicher. Als Filmemacher suche ich immer nach neuen Möglichkeiten, den Kinofilm – auch gerade für die jungen Leute – attraktiv zu machen, die sich Filme oft nur noch auf dem iPad anschauen. Und wer diesen Film in der 3-D-HFR-Version sieht, hat ein Erlebnis, das außerhalb des Kinos nicht zu bekommen ist.

Welchen der drei „Hobbit“-Filme finden Sie am besten gelungen? Und haben Sie einen Lieblings-„Herr der Ringe“-Film?

Jackson: Für mich ist „Die Schlacht der Fünf Heere“ der intensivste und emotionalste der drei Filme. Er bringt die „Hobbit“-Trilogie auf den Punkt und führt zum ersten „Herr der Ringe“-Film „Die Gefährten“. Und was die „Ringe“-Trilogie betrifft: Höchstwahrscheinlich „Die Zwei Türme“.

Auf der letzten Seite spricht Peter Jackson über seine Philosophie als Filmemacher und seine Heimat Neuseeland.

Egal, was für Filme Sie in Ihrem Leben noch machen werden, man wird Sie wohl immer als den „Tolkien“-Regisseur bezeichnen. Wie sehen Sie das?

Jackson: Genauso. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich mittlerweile mein ganzes Leben nur durch Tolkien-Filme definiert. Aber es gibt Schlimmeres. Und wenn ich ganz ehrlich bin, macht es mich sogar ein wenig stolz.

Wird es in absehbarer Zukunft einen weiteren „Tolkien“-Film von Ihnen geben? „Das Silmarillion“ vielleicht?

Jackson: Das ist eher unwahrscheinlich. Denn die Rechte für „Das Silmarillion“ liegen beim Tolkien-Estate (den Erben des Schriftstellers). Und der hat wohl zurzeit kein Interesse, sie zu verkaufen. So gesehen hatten wir großes Glück, dass J.R.R. Tolkien Ende der 60er Jahre selbst die Filmrechte von „Der kleine Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ verkaufte. Sonst hätten wir die Filme nie machen können. Und ganz ehrlich: Vielleicht ist es auch ganz gut so. Denn höchstwahrscheinlich könnte ich der Versuchung nicht widerstehen, noch ein weiteres Mal in den Tolkien-Kosmos einzutauchen, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte.

Haben Sie schon ein neues Filmprojekt im Auge?

Jackson: Ja, meine Frau und ich arbeiten schon seit längerem wieder an einem Originaldrehbuch. Es soll eine Geschichte werden, die wie damals „Heavenly Creatures“ wieder in unserer Heimat Neuseeland spielt.

Wird Neuseeland nicht bald in „Mittelerde“ umbenannt?

Jackson: Ganz so weit wird es vermutlich nicht kommen. Aber es stimmt schon, dass meine Heimat Neuseeland mich, seit ich dort meine „Herr der Ringe“-Filme gedreht habe, ganz fantastisch unterstützt. Bei der Weltpremiere vom ersten Hobbit-Film „Eine unerwartete Reise“ haben damals in Wellington über 100 000 meiner Landsleute bis in die frühen Morgenstunden in den Straßen gefeiert. Aber es sind auch noch andere Projekte im Gespräch, darunter eventuell ein zweiter „Tim und Struppi“-Film. Wir werden sehen. Wir haben ganz sicher keinen Fünf-Jahres-Plan, den es abzuhaken gilt. Fran und ich entwickeln unsere Projekte aus dem Bauch heraus.

Haben Sie eine Philosophie als Filmemacher?

Jackson: Ja, für mich gilt, was der große Alfred Hitchcock einmal zu François Truffaut über das Kino gesagt hat: „Manche Filme sind wie ein Stück Leben, meine Filme sind ein Stück Kuchen!“ Ich mag die Küchenstücke – mit viel Sahne obendrauf!

Das Gespräch führte Ulrich Lössl

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