Isenheimer AltarWas die Restaurierung alles ans Licht brachte

Ein Restaurator arbeitet am Isenheimer Altar
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Köln – Wenn Restauratoren Hand an berühmte Gemälde legen, hält die Kunstwelt gespannt und auch ein wenig bang den Atem an. Schließlich würde man auf solchen Werken am liebsten nichts als die Handschrift ihres Schöpfers sehen. Aber weil auch die Zeit ihren Spuren auf und in ihnen hinterlässt (in Form von Ruß und Staub, als gilbender Firnis, oxidierendes Öl oder nachdunkelnde Farbe), muss sich das Putzkommando bei Bedarf eben sogar das welthistorische Erbe von Leonardo, Raffael, Jan van Eyck und anderen alten Meistern vornehmen.
Auch die Restaurierung in Colmar dauerte mehrere Jahre
Manchmal erkennt die Kunstwelt selbst einen ihrer Größten dann mehr wieder – wie den Michelangelo der Sixtinischen Kapelle. Über die Jahrzehnte hinweg hatten Millionen Besucher an den Deckenmalereien den erzählerischen Erfindungsreichtum und die Figurenzeichnung Michelangelos bewundert, aber wenig von seiner koloristischen Virtuosität geahnt. Erst die 1994 abgeschlossene „Jahrhundert-Restaurierung“ brachte das leuchtende Farbenspiel der Fresken zurück ans Licht.
Ganz so umstürzlerische Ergebnisse hat die jahrelange Restaurierung des berühmten Isenheimer Altars anscheinend nicht gebracht. Aber immerhin kamen einige lange verborgene Details des zwischen 1512 und 1516 entstandenen Kunstwerks dabei zum Vorschein, wie das Unterlinden-Museum in Colmar berichtet. So lässt sich auf einer Wange der Muttergottes nun offenbar eine Träne erahnen, die Haartracht Maria Magdalenas wirkt etwas üppiger als gedacht, die Hauttöne der Skulpturen sind deutlich feiner und der pechschwarze Himmel über dem gekreuzigten Heiland ist jetzt eher nachtblau und durchzogen von schwarzen und grauen Wolken.
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Ist die Welt des Isenheimer Altars also gar nicht so düster wie man glaubte? Der Maler Matthias Grünewald schuf für ihn immerhin Bilder einer Passionsgeschichte, wie man sie im Mittelalter in dieser Brutalität noch nie gesehen hatte: mit einem geschundenen, gebrochenen und mit Wunden übersäten Christus am Kreuz. Allerdings folgte diese kunstvolle Derbheit einem medizinischen Programm: Schwer erkrankte Menschen wurden vor den Altar getragen, um Kraft im Glauben zu finden und vielleicht auch, um eine Heilung verheißende Reliquie zu berühren.
Grünewald schuf die Altarbilder im Auftrag des Antoniterordens, der in Isenheim eines seiner vielen Klosterhospitäler betrieb und deren Mitglieder als hervorragende Mediziner galten. Sie widmeten sich insbesondere der Linderung der Mutterkornvergiftung, einer im Mittelalter weit verbreiteten, durch verunreinigtes Getreide verursachten Erkrankung.
Matthias Grünewald schuf einen leidenden Christus für die Gegenwart
Einige Kunsthistoriker glauben daher, dass der Isenheimer Christus nicht die Wunden der biblischen Geißelung trägt, sondern die Symptome einer Mutterkornvergiftung: grünlich verfärbte Haut, verkrampfte Hände, einen eingefallenen Brustkorb. Es spricht tatsächlich vieles dafür, dass Grünewald einen lebensnahen Jesus schaffen wollte, einen Menschen, der das akute Leid der Menschen teilt.
Durch den nachtblauen Hintergrund wird das Leiden Christi wohl nicht erträglicher. Aber er bekräftigt die Gewissheit, dass jede Leidenszeit einmal vorübergeht. Auf den Altarflügeln halten bis heute die Pestheiligen Sebastian und Antonius Wacht, und falls auch ihre Arznei nicht wirkt, so bleibt wenigstens die Erlösung von der Qual. Zu Ostern und zur Weihnachtszeit wurden die Altarflügel früher geöffnet und man sah Christus zum Himmel fahren. Im farbigen Lichtkranz schwebt er über dem Grab, die Glorie überstrahlt das Bild des gemarterten Leibs.