Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Schauspielerin Jella Haase„Heute wird alles in Minimalzeit durchgedrückt“

Lesezeit 8 Minuten

Jella Haase wurde als Chantale im Kino-Hit „Fack ju Göhte“ bekannt.

  1. Jella Haase über ihren Durchbruch in „Fack Ju Göhte“, ihren neuen Film und ihre politische Verantwortung

Frau Haase, „Vielmachglas“ – wie würden Sie den neuen Film, in dem Sie mitspielen, beschreiben?

Jella Haase: Das ist ein kleines Märchen über ein Mädchen, das eine Reise stellvertretend für ihren Bruder antritt. Zumindest denkt sie das, denn ihr wird immer mehr klar, dass sie diese Reise für sich selbst macht.

Was hat Sie daran gereizt?

Als ich das Drehbuch las, da dachte ich für mich, dies wird ein Film für alle kleinen Schwestern dieser Welt. Ich habe ja selber eine jüngere Schwester. Und es geht ja auch um was in der Geschichte, zum Beispiel um das Glück der Mutigen. Weil man das braucht, um immer weiterzumachen. Die Heldin wird ja richtiggehend ins Leben rein geschubst und lernt dann, ihren Weg zu gehen. Ich fand das sehr schön.

Trifft das auf alle jungen Leute zu?

Sicherlich gibt es viele in unserer Gesellschaft, die sich bei all den Anforderungen und Angeboten überfordert fühlen und dann eher gar nichts machen. Der Druck kommt ja von vielen Seiten. Marleen im Film hat einen großen Bruder, der alles hinkriegt, überall schon gewesen ist, während sie überhaupt keine Abenteurerin ist, sondern lieber als Bücherwurm zu Hause bleibt. Sie ist einfach nicht bereit für diesen Druck, alles möglichst schnell und perfekt hinzubekommen.

Zur Person

Jella Haase wurde 1992 in Berlin geboren. 2011 war sie in „Männerherzen … und die ganz ganz große Liebe“ zum ersten Mal im Kino zu sehen. Im selben Jahr spielte sie eine tragende Rolle in David Wnendts Neonazi-Milieustudie „Kriegerin“ – dafür und für ihre Leistung in „Lollipop Monster“ erhielt sie den Bayerischen Filmpreis als beste Nachwuchsdarstellerin. Zum Publikumsliebling avancierte sie als Schülerin Chantal in der Komödie „Fack Ju Göhte“, die in drei Teilen ins Kino kam.

Wo kommt dieser Druck Ihrer Meinung nach her?

Das ist ein gesellschaftliches Phänomen. Am besten schon in zwölf Jahren Abi machen. Alles wird verkürzt, alles wird schneller gemacht. Und die Uni ist heutzutage ein Vollzeitjob. Früher hat man wer weiß wie viele Semester studiert, heute wird alles in Minimalzeit durchgedrückt. Jeder muss irrsinnig erfolgreich sein oder Künstler, auf jeden Fall möglichst Spuren hinterlassen. Anstatt mal etwas auszuprobieren und dabei vielleicht auch mal Scheitern zu lernen, sind manche Leute – auch aus meinem Freundeskreis – von diesem Lebensstil derart eingeschüchtert, dass sie lieber gar nichts mehr machen.

Wie war das bei Ihnen selbst? Sie werden 2011 im Alter von nur 19 Jahren Schauspielerin und starten durch wie eine Rakete.

Ja, aber bei mir war das ein bisschen anders, weil ich schon früh wusste, was ich will.

Heißt?

Ich hatte einen Spieltrieb in mir, den konnte ich gar nicht blockieren oder mich dagegen wehren. Ich habe einfach früher angefangen zu arbeiten. Ich konnte das aber nicht als Privileg sehen, weil ich mich von bestimmten Dingen abgekoppelt oder sogar beraubt fühlte. Wenn ich durch den Dreh Dinge verpasst habe, Partys zum Beispiel, dann habe ich geheult. Ein Drama. Denn Freunde und mit denen auszugehen war für mich das Allergrößte. Jetzt habe ich ein anderes Verhältnis dazu. Meine Freunde sind mir immer noch wichtig, aber meinen Beruf begreife ich jetzt wirklich als – Beruf.

Verkleiden Sie sich gern?

Wie bitte? Wieso?

Na, aus Spaß an der Freude, in Rollen schlüpfen. Hier in Köln zum Beispiel gibt es dafür den Karneval.

Ich war noch nie im Kölner Karneval, dabei wurde ich schon so oft dahin eingeladen! Ich würde echt gern mal kommen und mich verkleiden.

Macht das nicht manchmal Angst, so jung und schon so erfolgreich zu sein?

Hm, ich glaube, man selber sieht sich nicht so. Ich stehe nicht morgens auf und denke, ich bin wahnsinnig erfolgreich. Es gibt noch nicht mal Sicherheit in dem, was ich mache. Ich zweifle immer, bin auf der Suche, will mich weiterentwickeln. Wenn man nicht mehr sucht, bleibt man stehen, und das finde ich schädlich.

Wie kommt man in dem Zusammenhang von Chantal weg? Nach dem Riesenerfolg von „Fack Ju Göhte“ werden Sie mit dieser Rolle geradezu identifiziert …

Ich habe das Gefühl, dass mir immer angehangen wird, ich müsste mich von Chantal befreien, aber so empfinde ich das überhaupt nicht. Ich mag Chantal. Ich bin auch sehr stolz auf das, was wir da geschaffen haben. Deshalb gibt es da für mich nichts, wovon ich mich befreien müsste.

Jella Haase spricht über die Branche

Jella Haase wurde als Chantale im Kino-Hit „Fack ju Göhte“ bekannt.

Es gibt eben noch die anderen Filme.

Stimmt, da waren mit „Looping“ und „4 Könige“ und davor mit „Lollipop Monster“ und „Kriegerin“ sehr starke Sachen dabei. Die Branche hat das erkannt, für die bin ich längst nicht nur Chantal. Wenn die Leute mich draußen auf der Straße als Chantal identifizieren, ist das doch nur logisch; das haben die meisten Menschen gesehen. Und wenn sie die Figuren, die wir uns ausgedacht haben, so sehr mögen, dann ist das doch ein Geschenk.

Normalerweise ist in solchen Fällen von Schublade die Rede.

Mag sein, aber ich habe mich nie in einer Schublade gefühlt. Eher scheint es mir, dass die Leute Angst haben, ich könnte in einer Schublade stecken. Klar könnte ich jetzt sagen, die Chantal kann ich gut, so was mache ich jetzt nur noch; es gab ja auch entsprechende Anfragen in diese Richtung. Aber das interessiert mich nicht. Chantal steht in ihrer Geschichte und da ist sie wunderbar. Da will ich nichts kopieren. Es war zum damaligen Zeitpunkt für mich wichtig herauszufinden, ob ich überhaupt Komödie spielen kann. Erst mal kam ich rein vom Arthouse, und auch in „Das Leben danach“, einem Fernsehfilm über die Love-Parade-Katastrophe, spiele ich ein Mädchen mit Panikattacken, allein das war eine ziemlich heftige Rolle. Solange ich derart unterschiedliche Rollen spielen kann, mache ich mir wegen Schublade keine Sorgen.

Sie gehörten auf der Berlinale 2016 zum Team der Shooting Stars. Wie wichtig ist das?

Erst mal ist das natürlich eine ganz große Ehre, als Stellvertreter für Deutschland an den Start zu gehen. Ich habe ganz tolle Menschen kennengelernt und mich mit der Griechin Daphne Pataki angefreundet. Es ist eine tolle Möglichkeit, sich international zu präsentieren.

Welche Ehre ist es für Sie als Berlinerin, dass Sie schon zweimal den Bayerischen Filmpreis verliehen bekamen?

Tja, sieht wohl so aus, dass die Bayern mich lieber mögen als die Berliner. Andererseits haben die Bayern einen Filmpreis und die Berliner nicht. Vielleicht sollte ich das mal ins Leben rufen. Jedenfalls, bis es so weit war, wusste ich nichts vom Bayerischen Filmpreis. Ich wusste nicht mal, dass man einen Filmpreis gewinnen kann. Ich hatte die Schauspielerei wegen dieses Spieltriebs gewählt. Was wirklich alles dahinterstehen kann, wenn man spielt, Filmfirmen, Verleiher und alles das, davon wusste ich nichts. Ich war echt naiv, komplett ohne Plan.

Wie ging das denn los mit diesem Spieltrieb?

Als Kind habe ich immer die Kamera gesucht und mich dann aufgespielt. Heute ist mir das total peinlich. Ich war voll das anstrengende Kind. Lebhaft, so würde man wohl heute dazu sagen. Aber so fing das an, und dann ging es weiter mit Theater.

Können Sie sich an Filme erinnern, die Sie im Laufe Ihres Lebens gesehen haben und die Ihnen immer im Kopf geblieben sind?

Ja, ich hab erst vor kurzem einen tollen Film gesehen: „Jim und Andy“, eine Doku auf Netflix über Jim Carey und die Dreharbeiten zu „Man on the Moon“. Ich konnte es nicht glauben – das Filmmaterial wurde 20 Jahre lang zurückgehalten. Jim Carey hat Andy Kaufmann verkörpert, einen Komiker, den es tatsächlich gab. Er war völlig durchgeknallt und hat damals in den 70ern wirklich jegliche Grenzen gesprengt. Man konnte ihn einfach überhaupt nicht fassen und Jim Carey hat ihn geliebt. Andy Kaufmann hat immer drei Figuren gespielt und in denen ist Jim Carey aufgegangen. Er ist völlig die Rolle gewesen. Ich dachte, eigentlich kann jeder andere Schauspieler einpacken. Was er da hinlegt, ist Wahnsinn.

Was sonst noch?

„Babylon Berlin“ hat mir auch großen Spaß gemacht. Ich gucke auch sehr gerne Dokus. Erst letztens habe ich den zweiten Teil zu „Eine unbequeme Wahrheit“ von Al Gore gesehen, der hat mich total berührt. Wenn Menschen so viel Herzblut haben und so für eine Sache kämpfen, bewegt mich das.

Viele Schauspieler oder auch Musiker nutzen ihre Wirkung, um auf Themen aufmerksam zu machen. Ist es Ihnen wichtig, Ihre Wirkung – Ihre Reichweite sozusagen – auf diese Weise zu nutzen?

Absolut. Das mache ich auch auf meinen sozialen Kanälen. Es ist so wichtig, dass wir sprechen. Es ist in allen Bereichen wichtig, dass man die Stimme erhebt.

Wie nutzen Sie Ihre sozialen Kanäle, was tauschen Sie aus?

Ich habe zum Beispiel Projekte mit Amnesty International durchgeführt. Gerade unterstütze ich die „March for Life“- Bewegung, eine Lebensrechtsbewegung in den USA.

Welche Themen sind Ihnen aktuell noch besonders wichtig?

Immer wichtig ist mir das Klima. Und ich war gerade in Amerika, als die Anschläge in Florida passiert sind. Dort gehen jetzt junge Menschen auf die Straße und kämpfen für eine bessere Welt ohne Waffen. Das Scheinheilige in der Politik finde ich erschreckend. Ich glaube, ich bin einfach sehr pazifistisch eingestellt, und ich finde es toll, dass junge Menschen auf die Straße gehen und versuchen, etwas zu verändern. Auch wenn sie an der Spitze natürlich ein riesengroßes „Nashorn“ sitzen haben. Das ist einfach unfassbar. „Nashorn“ ist eigentlich zu nett, denn Nashörner muss man beschützen, die sterben auch gerade aus.

Was werden denn die nächsten Filme sein? In der Movie Data Base ist die Rede von „25 km/h“?

Genau, den habe ich mit Lars Eidinger und Bjarne Mädel gedreht, mit ganz tollen Leuten. Ich spiele eine kleine Rolle, ganz süß. Als nächstes spiele ich Mieze in einer modernen Neuverfilmung von Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“. Das ist ein Herzensprojekt von mir. Burhan Qurbani führt Regie, von ihm sind unter anderem auch „Shahada“ und „Wir sind jung. Wir sind stark“. Das sind große Fußstapfen.