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Kommentar

Nach Trump-Satire
Der Fall Jimmy Kimmel zeigt, wie die Demokratie in den USA stirbt

Ein Kommentar von
4 min
Stephen Colbert (links) und Jimmy Kimmel sprechen auf der Bühne während der 71. Emmy Awards im Microsoft Theatre in Los Angeles am 22. September 2019. Jimmy Kimmels Late-Night-Fernsehshow wurde „auf unbestimmte Zeit” aus dem Programm genommen, nachdem der Late-Night-Moderator für seine Kommentare zu den Motiven hinter der Ermordung von Charlie Kirk kritisiert worden war, teilte ABC mit.

Erst hat es Stephen Colbert (l.) erwischt, jetzt wird Jimmy Kimmels Late-Night-Show abgesetzt.

Der US-Sender ABC setzt Jimmy Kimmels Late-Night-Show nach Druck aus dem Weißen Haus ab. Der Komiker wird so unfreiwillig zum Freiheitshelden.

„Ich habe mein Land niemals verzweifelter geliebt“, bekannte Stephen Colbert vergangenen Sonntag auf der Emmy-Verleihung, dem wichtigsten Fernsehpreis der Vereinigten Staaten. Im Juli hatte der US-Sender CBS das Ende der „Late Show“ des Trump-kritischen Moderators verkündet. Danach hatten auch die Late-Night-Moderatoren der Konkurrenzsender dafür plädiert, Colbert den Emmy zu geben. Allen voran Jimmy Kimmel. Wo Colbert mit dem Florett ficht, greift der ruppige Kimmel auf ABC regelmäßig zum Degen, reizt den dünnhäutigen Präsidenten mit immer neuen Schimpfwörtern und Videoeinspielungen seiner peinlichsten Aussetzer.

In seinem Eröffnungsmonolog am Montagabend hatte der Comedian sich über die „MAGA-Gang“ – also Trump und seine „Make America Great Again“-Anhänger – echauffiert, die verzweifelt versuchten, politisches Kapital aus dem Attentat auf den rechtsextremen Aktivisten Charlie Kirk zu schlagen. Anschließend zeigte Kimmel einen Ausschnitt, in dem Trump von einem Reporter gefragt wird, wie es ihm in seiner Trauer erginge – und der Präsident nach einem knappen „sehr gut“ mit einem neuen Ballsaal prahlt, den er im Weißen Haus bauen lasse.

An der Spitze der US-Medienaufsicht steht ein Trumpist

Der Konzern Nextstar Media, dem fast 200 regionale TV-Stationen in den USA gehören, protestierte gegen Kimmels Kommentare und erklärte, „Jimmy Kimmel Live“ nicht mehr ausstrahlen zu wollen. Nur wenige Minuten später folgte der zu Disney gehörende Sender ABC und kündigte an, Kimmel auf absehbare Zeit aus dem Programm zu nehmen.

Wenn sie Jimmy holen, dann holen sie alle
Marc Maron, Comedian und Podcaster

Nicht nur Stephen Colberts Verzweiflung dürfte sich seitdem noch gesteigert haben. Überall im Land wird die plötzliche Absetzung des unliebsamen Moderators als Menetekel für die Meinungsfreiheit gelesen. „Wenn sie Jimmy holen, dann holen sie alle“, schrieb der einflussreiche Podcaster Marc Maron.

Im Hintergrund steht wie schon im Fall Colbert ein kartellrechtlich fragwürdiges Geschäft: Nextstar will sich durch einen Ankauf auf 265 Stationen vergrößern. An der Spitze der zuständigen Medienaufsichtsbehörde der US-Regierung FCC steht ein treuer Trumpist. Die US-Regierung, heißt es, übe wegen Kimmel schon länger enormen Druck auf den Sender aus. Donald Trump freute sich aus Großbritannien, wo er gerade von der Königsfamilie hofiert wurde, über die Nachrichten und forderte den Sender NBC auf, als Nächstes auch seine Late-Night-Moderatoren, Seth Meyers und den vergleichsweise unpolitischen Jimmy Fallon, zu feuern.

Trump nennt die „New York Times“ eine der „schlimmsten und verkommensten Zeitungen“

In den vergangenen Monaten schloss Trump unter anderem die Nachrichtenagentur AP von Pressekonferenzen im Weißen Haus aus, anschließend auch Reuters und Bloomberg und den Nachrichtensender CNN. Er strich die Gelder für die öffentlich Rundfunk- und TV-Sender NPR und PBS und für das Auslandsprogramm „Voice of America“, das einst gegen Nazi-Propaganda ins Feld gezogen war. Die „New York Times“ hat Trump wegen angeblich „unfairer“ Berichterstattung auf die Rekordsumme von 15 Milliarden Dollar verklagt. Die weltweit angesehene Tageszeitung nannte er „eine der schlimmsten und verkommensten Zeitungen in der Geschichte unseres Landes“.

Solche Klagen haben zwar keine Aussicht auf Erfolg, aber als Drohgebärden tun sie ihre Wirkung: CBS und ABC haben nach ähnlichen Klagen zweistelligen Millionenbeträge gezahlt, um den Präsidenten zu kalmieren. Andere Pressehäuser, wie die von Amazon-Milliardär Jeff Bezos aufgekaufte „Washington Post“, sind ohne weitere Erpressungsversuche auf Trump-Kurs eingeschwenkt.

Der Meinungskorridor in den USA hat sich in wenigen Monaten so radikal verengt wie nie zuvor. Politisch der Mitte zuzuordnende oder um Neutralität bemühte Medien werden von der Regierung als „linksradikal“ verfolgt, während ein Moderator des ultrakonservativen Senders Fox vor laufenden Kameras die Zwangstötung von Obdachlosen fordert und Vizepräsident J.D. Vance für den ermordeten Kirk in dessen Podcast einspringt, um darin liberale – und keinesfalls radikale – Stiftungen wie die Open Society Foundations des Milliardärs George Soros als „inländische Terrororganisationen“ zu bezeichnen.

Inzwischen dürfte auch der letzte US-Bürger begriffen haben, welche realen Konsequenzen die völlig entfesselte Rhetorik der Trump-Regierung hat. Und gerade der Fall Jimmy Kimmel wirkt hier als Wasserscheide. Ein Komiker als Freiheitsheld und verfolgter Dissident? Das wirkt nur auf den ersten Blick absurd. Tatsächlich folgt Trump dem nur allzu bekannten Drehbuch des Autokraten. Und die größte Demokratie der Welt lässt es geschehen. Es ist zum Verzweifeln.