Joan Fontaine gestorbenDie kleine Schwester

Joan Fontaine in „Serenade“ aus dem Jahr 1956
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Weder Luxus noch ständiger Sonnenschein und auch nicht die endlose Abfolge einmaliger Gelegenheiten seien das herausragende Merkmal Hollywoods, schreibt Joan Fontaine in ihrer Autobiografie „No Bed of Roses“, sondern Angst. Die ist gewissermaßen Fontaines Spezialgebiet.
Zwei Rollen in zwei Filmen des Angst-Meisters Alfred Hitchcock machen Joan Fontaine – geboren 1917 als Tochter eines britischen Patentanwalts in Tokio – zum Star. Für die Rolle der jungen Ehefrau, die fürchtet, von ihrem Mann ermordet zu werden in „Verdacht“ (1941) gewinnt sie den Oscar. Für den ist sie bereits im Jahr zuvor nominiert, für ihre „zweite Mrs. de Winter“ – noch eine panische junge Ehefrau – in „Rebecca“, Hitchcocks erstem Hollywoodfilm.
Die frisch verheiratete Fontaine ist kurz davor, ihre Karriere zu beenden, als ihr auf einer Dinnerparty David O. Selznick als Tischnachbar zugewiesen wird. Bei dem mächtigen Produzenten hat sie kurz zuvor für die Rolle der Scarlett O’Hara in „Vom Winde verweht“ erfolglos vorgesprochen. Nun erzählt sie ihm von dem Daphne-du-Maurier-Roman, der sie in den vergangenen Nächten wachgehalten hat. Zufällig hat Selznick gerade die Rechte an „Rebecca“ gekauft – er lädt Fontaine zum Vorsprechen ein. Eine dieser einmaligen Gelegenheiten.
Doch dann muss sich die 21-Jährige einem zermürbenden Casting-Prozess unterziehen – nur um am Filmset von ihrem Co-Star Laurence Olivier gemobbt zu werden. Der sähe nämlich lieber seine damalige Verlobte Vivien Leigh in der Rolle der „zweiten Mrs. de Winter“ – gegen die Fontaine zuvor die Hauptrolle in „Vom Winde verweht“ verloren hat. Der manipulative Hitchcock versichert der Verunsicherten, er sei der einzige, der hier noch zu ihr halte.
Willenstarkes Opfer
Die Seelenqualen hinter der Kamera zeitigen ihre Wirkung auch davor, die junge Schauspielerin, die zuvor oft hölzern wirkte (etwa neben Fred Astaire in „Ein Fräulein in Nöten“) bannt die Zuschauer als willensstarkes Opfer.
Es ist aber noch in einer anderen Hinsicht die ideale Rolle für Fontaine, denn auch im wirklichen Leben oder dem, was man in Hollywood dafür hält, kämpft sie gegen eine übermächtige Frau, die ihr vorangegangen ist. Olivia de Havilland, ihre ein Jahr ältere Schwester, hat es vor ihr ins Filmgeschäft geschafft. Sie spielte in „Von Winde verweht“, sie gilt als das große Talent der Familie. Und die Mutter, einst selbst Theaterstar, untersagt ihrer jüngeren Tochter, den Namen de Havilland zu verwenden. Fontaine fühlt sich von ihrer alleinerziehenden Mutter ungeliebt, kehrte zwischendurch sogar allein zu ihrem Vater nach Japan zurück.
Zur Oscar-Verleihung 1942 sind beide Schwestern für die Beste Hauptdarstellerin nominiert, Fontaine trägt die Trophäe nach Hause und brüskiert ihre Schwester, als sie deren Gratulation abweist. Der Anfang des legendärsten Geschwisterstreits in Hollywood. Sie habe sich in diesem Moment an all die ausgerissenen Haare, die brutalen Ringkämpfe und das eine Mal, als Olivia versuchte, ihr das Schlüsselbein zu brechen, erinnert, rechtfertigt sich Fontaine.
Die Rolle der romantischen Naiven in Liebesnöten spielt Fontaine noch häufiger mit Erfolg, in Edmund Gouldings „Liebesleid“ (1943) – ihrem Lieblingsfilm – und Max Ophüls’ herzzerreißendem „Brief einer Unbekannten“ (1948). Die „Unbekannte“ ist ihre letzte große Rolle, mit dem Ende der 1940er sinkt ihr Stern. Dafür traut sie sich aber auch was: In „Island In The Sun“ (1957) hat sie eine, wenn auch nur angedeutete Affäre mit Harry Belafonte, ein Skandal in den weniger aufgeklärten Gegenden der USA.
1 „Die Frauen“ (1939): Man muss nicht verschwistert sein, um sich zu hassen. Auch der Konflikt zwischen Norma Shearer und Joan Crawford war in Hollywood legendär. Neben den verfeindeten Hauptdarstellerinnen spielen in George Cukors Komödie noch Stars wie Rosalind Russell und Paulette Goddard im komplett weiblichen Ensemble, aber Fontaine hat als schüchterne Peggy Day hier ihren ersten wirklich guten Auftritt. (cbo)
2 „Rebecca“ (1940): Die zweite Mrs. de Winter. Fontaines Rolle als junge Naive im Schatten einer übermächtigen Vorgängerin bestimmte ihre ganze Karriere. Zwischen ihrem doch recht unsympathischen Ehemann (Laurence Olivier), der furchterregenden Haushälterin Mrs. Danvers (Judith Anderson) und den sadistischen Regiespielchen Alfred Hitchcocks hält sich Joan Fontaine allerdings erstaunlich tapfer. (cbo)
3 „Verdacht“ (1942): Ein bisschen Rebecca und schon sehr viel Marnie steckt in Joan Fontaines junger Ehefrau, die bald nach der überstürzten Heirat fürchtet, einem von Cary Grant gespielten Mörder die Treue geschworen zu haben. In Wahrheit flieht sie aus Furcht vor Intimität in den von Alfred Hitchcock virtuos inszenierten Verfolgungswahn – bevor sich am Ende alles in verdächtig harmonisches Wohlgefallen auflöst. (KoM)
4 „Brief einer Unbekannten“ (1948): Max Ophüls’ Gegenentwurf zu Tausendundeine Nacht: Joan Fontaine schreibt als verhängnisvolle Scheherazade einem Lebemann, in den sie sich als junge Dame unglücklich verliebte, einen ausführlichen Brief und erzählt ihm von ihrer gemeinsamen Geschichte. Der Briefleser sucht in seinen Erinnerungen und findet lange nichts – am Morgen erwartet ihn ein Duell und damit der sichere Tod. (KoM)
Überhaupt straft sie ihr Image als zerbrechliche Porzellanpuppe jenseits der Leinwand Lügen, reitet, golft, beteiligt sich an Ballonwettfahrten und besitzt eine Fluglizenz – eine furchtlose Frau.
Nur der Wettstreit mit der Schwester überdauert: „Ich habe als Erste geheiratet“, summierte die schon greise Hollywood-Ikone, „ich habe den Oscar gewonnen, bevor es Olivia gelang, und wenn ich zuerst sterbe, wird sie mit Sicherheit toben, weil ich schon wieder die Erste war!“
Am Sonntag ist Joan Fontaine im Alter von 96 Jahren im kalifornischen Carmel-by-the-Sea gestorben. Olivia de Havilland lebt, nun als eine der letzten Überlebenden von Hollywoods goldener Ära, als 97-Jährige in Paris.