Jonathan Safran Foer im Interview„Es war immer etwas Natürliches, Fleisch zu essen“

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Safran Foer

Erfolgs-Autor Jonathan Safran Foer über Reaktionen auf sein aktuelles Buch.

  • Das neue Buch von Jonathan Safran Foer „Wir sind das Klima“ ist vor allem in Europa ein Erfolg.
  • Darin erzählt er, wie wir schon am Frühstückstisch den Planeten retten können.
  • Im Interview spricht er über unseren Fleischkonsum, das neue Europa und seine Heimat.

Herr Safran Foer, was haben Sie denn heute Morgen zum Frühstück gegessen?

Heute war ein seltsamer Tag. Wegen meines Jetlags habe ich ihn erst mal mit ungefähr 20 schwarzen Kaffee begonnen. Dazu gab es ein wenig Obst und eine Scheibe Brot.

Überraschen Sie die Reaktionen auf Ihr neues Buch „Wir sind das Klima – wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können“?

Alles zum Thema Klimawandel

Ja, wissen Sie, es ist interessant: Als ich „Tiere Essen“ schrieb, hatten meine Verleger im Grunde nicht die geringsten Erwartungen an das Buch, es war mehr ein Gefallen, dass ich dieses Buch schreiben durfte, als dass sie sich besonders viel davon erhofft hätten. Doch dann wurde das Buch ein großer Erfolg. Also war es schwierig einzuschätzen, wie „Wir sind das Klima“ ankommen würde. Die Reaktionen haben sich in Amerika und Europa auch sehr stark unterschieden.

Inwiefern?

In Amerika wollen die Menschen nicht allzu viel über das Klima sprechen. In Europa dagegen – egal, wo ich hinkomme, ob in Italien, in den Niederlanden, in Dänemark, in Spanien – scheint es mir fast, als gäbe es diesen großen Wunsch danach, sich über das Klima zu unterhalten, sich Gedanken darüber zu machen, darüber zu streiten, etwas zu tun. Deshalb freut es mich sehr, dass mein Buch hier in Europa so viele Gespräche über das Thema angeregt hat.

Womit erklären Sie sich diese Unterschiede zwischen den USA und Europa?

Ich denke, für Jahrzehnte haben wir Europa als die „Alte Welt“ und Amerika als die „Neue Welt“ betrachtet, doch an einem bestimmten Punkt hat sich das einfach verändert. Denn mittlerweile fühlt Amerika sich sehr alt an: Es ist weder in kulturellen Dingen noch was soziale Gerechtigkeit betrifft auf irgendeine Weise in einer führenden Position. Ich würde nicht einmal sagen, dass Amerika besonders konservativ geworden ist, es ist vielmehr zu einem sehr selbstzufriedenen Ort geworden.

Gibt es einen Unterschied zwischen New York, der Westküste und dem Landesinneren?

Mit Sicherheit. Doch der Einfluss der Küste hat nachgelassen. Als ich mein erstes Buch veröffentlichte, hatte wirklich jede Stadt eine eigene Zeitung und einen eigenen Radiosender, aber mittlerweile gibt es nur noch sehr wenige Medieninstitutionen im Land. Ich bekomme mittlerweile in Spanien mehr Rezensionen zu meinen Büchern als in Amerika. Die Medien in den Staaten berichten hauptsächlich noch über Promis oder über die politischen Auseinandersetzungen zwischen den Demokraten und den Republikanern. Im Grunde existieren all diese politischen Kämpfe nur noch für die Medien.

Wie meinen Sie das?

Der Klimawandel ist ein perfektes Beispiel: Sobald man eine Zeitung aufschlägt, bekommt man den Eindruck, dass die Hälfte des Landes die Wissenschaften schlicht leugnet. Doch das ist einfach nicht wahr. Unser Präsident tut es, ja, doch 91 Prozent der Amerikaner glauben, dass es den Klimawandel gibt. 70 Prozent, darunter auch viele Republikaner, geben an, dass sie sich wünschten, die Vereinigten Staaten wären nicht aus dem Pariser Abkommen ausgestiegen. Doch der Eindruck, den unsere Medien verbreiten, ist, dass die eine Hälfte des Landes ständig die andere bekämpft: Klimaleugner gegen Klimaaktivisten. Einfach weil es kommerziell erfolgreicher ist, die Geschichte so darzustellen.

Ist es auch kommerziell weniger erfolgreich, den Menschen, die an den menschengemachten Klimawandel glauben, zu sagen, dass sie ihre eigenen Gewohnheiten ändern müssen, um etwas dagegen zu tun? Zum Beispiel, auf tierische Produkte zu verzichten, wie Sie in „Wir sind das Klima“ vorschlagen.

Die Verleugnung hat viele verschiedene Gesichter. Erst hieß es: „Es gibt keinen Klimawandel“, dann hieß es „Es gibt ihn zwar, aber die Menschheit hat damit nichts zu tun“, heute heißt es in Amerika meistens: „Es gibt den Klimawandel, er ist menschengemacht, aber es ist alles nicht so schlimm! In 20 Jahren werden wir es genauer wissen, als wir es heute tun, also lasst uns nicht hysterisch werden und die Weltwirtschaft zerstören.“ Doch es gibt auch die Verleugnungen in Bezug auf einzelne Probleme, die mit dem Klimawandel in Zusammenhang stehen. Und schließlich gibt es noch eine weitere Form der Verleugnung, die ich auch von mir selbst kenne, die heißt: „Es gibt den Klimawandel, er ist menschengemacht, er ist von äußerster Dringlichkeit, ich weiß ganz genau, wo die Ursachen liegen und was getan werden muss, aber ich will diese Dinge selber nicht tun.“ Ich glaube, wir befinden uns gerade mitten in einem Prozess, in dem wir uns nach und nach von verschiedenen Formen der Verleugnung befreien. Und ich bin mir sicher, dass wir das schaffen werden. Ich bin mir ebenso sicher, dass wir letztendlich tun werden, was wir tun müssen. Ich bin mir bloß nicht sicher, ob wir es rechtzeitig tun werden.

Die liberale Partei in Deutschland glaubt, dass die Menschheit bis dahin technische Möglichkeiten erfinden wird, um den Planeten wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Was halten Sie davon?

Ich finde es interessant, dass diese Leute, die an solche Technologien glauben, nie davon sprechen, dass wir für deren Entwicklung Unmengen von Dollar investieren müssten. Sie scheinen davon auszugehen, dass es einfach wie durch Zauberhand passieren wird. Außerdem gehen sie davon aus, dass es schnell geschehen wird. In meinem Buch verwende ich die Analogie zu einem Krebspatienten. Er bekommt die Diagnose und weiß nicht, was er nun tun soll. Er hofft einfach darauf, dass es irgendwann besser werden wird. Schließlich ist eine Chemotherapie nicht besonders angenehm. Ebenso wie einige Dinge, die wir tun müssten, nicht besonders angenehm sind. Doch viele der Dinge, die wir ändern müssten, würden uns auch glücklicher machen. Natürlich müssten wir gewisse Freuden eintauschen. Fleisch zu essen beispielsweise ist für viele Menschen eine Freude, oder in den Urlaub zu fliegen. So zu tun, als sei das nicht so, wäre eine Lüge. Doch ist es nicht auch so, dass, sobald du den letzten Bissen einer Mahlzeit heruntergeschluckt hast, der Genuss vorbei ist? Du musst bis zur nächsten Mahlzeit warten, um ihn wiederzuerlangen. Die Freude, in Einklang mit seinen Überzeugungen zu handeln, dagegen ist substanziell, sie bleibt. Sie ist vielleicht nicht so unmittelbar und so körperlich wie ein gutes Essen, doch sie ist tiefgreifend und dauerhaft.

Menschen, die sich gegen den Klimawandel engagieren, wird oft vorgeworfen, sie versuchten, sich als bessere Menschen darzustellen, oder sie seien Heuchler. Haben Sie solche Konfrontationen erlebt?

Nein, vermutlich auch, weil ich immer ehrlich war, dass es mir nicht leichtfällt, diese Dinge zu tun. Ich würde jederzeit zugeben, dass ich tierische Produkte wie Fleisch einfach gerne esse. Ich entscheide mich zwar dagegen, es zu tun, aber ich kann völlig nachvollziehen, warum es anderen schwerfällt zu verzichten.

Wie kamen Sie auf die Idee, als Romanautor, Bücher wie „Tiere essen“ und „Wir sind das Klima“ zu schreiben?

Mit neun Jahren wurde ich Vegetarier, obwohl es auch immer wieder Phasen gab, in denen ich Fleisch aß. Doch irgendetwas nagte ständig an mir. Auf der einen Seite war da dieser Gedanke, dass es einfach falsch ist, Fleisch zu essen, und dass alle Entschuldigungen, es doch zu tun, nichts anderes sind, als eigennützige Lügen. Dass eines Tages zukünftige Generationen auf uns zurückblicken werden und fragen werden: „Wie konnten sie nur?“ Doch auf der anderen Seite ist da dieser Teil in mir, der sich nicht so sicher ist, ob es wirklich so einfach ist. Denn irgendwo war es durch die Menschheitsgeschichte hindurch immer etwas Natürliches, Fleisch zu essen. Und es gibt sicherlich Arten, unter denen ich mir vorstellen könnte, dass das Tier diesem Tausch zustimmen würde: Ein angemessen langes Leben unter guten Konditionen gegen einen schmerzfreien Tod am Ende. Ich war also immer hin- und hergerissen zwischen diesen beiden Standpunkten: dem Absoluten und dem Komplexen. Das Schreiben hilft mir, Dinge wirklich zu durchdenken, und Dinge, die für mich persönlich problematisch sind, zu lösen. Die Frage des Fleischessens fühlte sich für mich wie ein Problem an.

Sie sehen die Frage also nicht mehr so schwarz und weiß?

Doch, das, was ich denke, was das Beste wäre, sehe ich durchaus schwarz-weiß. Ich habe in den letzten Jahren ein paar Mal Fleisch gegessen, vielleicht fünfmal in den letzten zehn Jahren. Ich fand es wichtig, das in „Wir sind das Klima“ zu erwähnen, obwohl es mir geradezu peinlich ist, es zuzugeben, denn es fühlt sich wahnsinnig heuchlerisch an. Dennoch glaube ich, dass es hilfreich sein kann anzuerkennen, dass wir – erstens – nicht perfekt sein müssen, und – zweitens – dass es schwierig ist. Manchmal kann es schon helfen, einfach nur zu sagen, das etwas schwierig ist, anstatt so viel Energie darauf zu verwenden, so zu tun, als sei es leicht.

Wenn Sie an die Zukunft der Welt denken, fühlen Sie sich eher optimistisch oder eher pessimistisch?

Beides zugleich. Es gibt ebenso viele Gründe dafür, der Zukunft optimistisch entgegenzublicken wie pessimistisch. Wir scheinen uns einer sozial gerechteren Welt entgegenzubewegen, wir scheinen uns bewusster über unsere Probleme zu werden. Demgegenüber steht die Kultur der Angst vor „den Anderen“, die Präsident Trump derzeit in Amerika schürt. Diese „Anderen“, das sind Schwarze, Hispanics, aber auch Juden. Die Zahl der antisemitisch motivierten Gewalttaten ist seit dem Beginn von Trumps Amtszeit um 20 Prozent gestiegen.

Glauben Sie, dass Trump wiedergewählt werden wird?

Leider ja, auch wenn ich es hasse, das sagen zu müssen. Amerikaner wählen eher nach ihrem Bauchgefühl anstatt ihrem Verstand zu folgen. Sie wählen denjenigen, der am charismatischsten ist. Donald Trump mag zwar nicht besonders charismatisch sein in Bezug auf das, was er sagt, doch in dem Sinne, dass man seine Augen einfach nicht von ihm abwenden kann, ist er sehr charismatisch. Ein Autounfall ist schließlich auch charismatisch, er erzeugt Aufmerksamkeit.

Das Gespräch führten Rebecca Lessmann und Frank Olbert.

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