KinoWarum Denis Villeneuves „Dune“ nur ein halber Triumph ist

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Dune Szene

Timothee Chalamet (l) und Rebecca Ferguson in „Dune“

Arrakis – Träume sind Botschaften aus der Tiefe: Das Zitat hat der Regisseur Denis Villeneuve seiner Adaption von Frank Herberts Science-Fiction-Klassiker „Dune“ vorangestellt. Noch vor dem „Warner Bros.“-Logo erscheint die Titelkarte, begleitet von einem jener Nebelhorn-artigen Klangstöße, die der Komponist Hans Zimmer seit „Inception“ (2010) einsetzt, um am Unbewussten, zumindest aber an den Mägen der Kinogänger zu rütteln.

Herberts Romanzyklus um den Wüstenplaneten Arrakis ist eine Botschaft aus der Tiefe der 1960er Jahre. Seine in ferner Zukunft fruchtenden Ideen entstammen dem Jahrzehnt, das mit alten Gewissheiten aufräumte und sich mit Lust ins Unbekannte warf: Ein Messias, der an sich zweifelt; ein Planet, der unter wirtschaftlicher und politischer Ausbeutung ächzt. Die Bürstenschnittträger der Nasa drangen ins All vor, während San Franciscos Langhaar-Träumer LSD einwarfen, um den inneren Kosmos zu erkunden.

NASA-Spießer und LSD-Hippies 

„Dune“, dessen erster Teil 1965 erschien, vereint diese Reisen durch Welt- und Innenraum wie kein Roman zuvor. Der ausgetrocknete Planet Arrakis ist so wertvoll, weil nur hier die Droge Spice geerntet werden kann, die den Piloten riesiger Raumschiffe die nötige Bewusstseinserweiterung gewährt, um in Überlichtgeschwindigkeit durch den interstellaren Raum zu navigieren.

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Für das Genre der Science-Fiction hat „Dune“ dieselbe fundamentale Bedeutung, wie der „Herr der Ringe“ für das der Fantasy. Auch J.R.R. Tolkiens Trilogie galt lange Zeit als unverfilmbar, bis Peter Jackson vor 20 Jahren der Welt das Gegenteil bewies. Ob Denis Villeneuve nun ebenso erfolgreich sein wird?

Die Geschichte der gescheiterten Versuche, Frank Herberts mythische Fabel von der  Fehde der intergalaktischen Adelshäuser Atreides und Harkonnen auf die große Leinwand zu bringen, ist berüchtigt.

Aufbruch vom Planet der Affen

Der erste Versuch des „Planet der Affen“-Produzenten Arthur P. Jacobs wurde nach dessen frühen Herztod abgebrochen. Weiter kam der chilenische Surrealist Alejandro Jodorowsky, der zuvor mit phantasmagorischen und sexuell aufgeladenen Filmen wie „El Topo“ (1970) und „Der heilige Berg“ (1973) das Publikum schockiert hatte.

Der charismatische Jodorowsky versammelte ein Team um sich, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte: Zum Ensemble gehörten Orson Welles, Mick Jagger, der Kölner Kult-Star Udo Kier und sogar Salvador Dalí. Pink Floyd und die französische Prog-Band Magma sollten den Soundtrack liefern. Der französische Comic-Zeichner Jean Giraud, besser bekannt unter seinem Pseudonym Moebius, der Schweizer Künstler H.R. Giger und der britische Illustrator Chris Foss entwarfen Kostüme und Bauten, der Amerikaner Dan O’Bannon konzipierte die Spezialeffekte.

Geldgeber verabschieden sich

Doch dann verabschiedeten sich die Geldgeber aus Hollywood: Jodorowskys psychedelische Version erschien ihnen zu avantgardistisch, als dass sie jemals ihr gewaltiges Budget hätte einspielen können. Noch dazu sollte sie nach dem Willen des Regisseurs 14 Stunden lang sein.

Die sehr sehenswerte Dokumentation „Jodorowsky’s Dune“ (2013) erzählt die Geschichte dieses nicht gedrehten Films – und der vielen Filme, die seiner Asche entstiegen. Ridley Scott rekrutierte Giraud, Foss und  Giger für „Alien“,  Dan O’Bannon schrieb das Drehbuch des Weltraum-Thrillers (1979).  Jodorowsky selbst verarbeitete seine Ideen zusammen mit Giraud in der mystisch-verspulten Graphic Novel „Der Incal“. 

Spätere Filme wie „Flash Gordon“, „Terminator“ „Das fünfte Element“ und „Matrix“ kopierten teilweise schamlos Storyboards und Ideen von „Dune“. Die Einflüsse auf George Lucas’ „Star Wars“ –  noch ein Film, in dem ein junger Heilsbringer von einem Wüstenplaneten einen übermächtigen Imperator stürzt – sind sowieso unübersehbar.

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Auch Villeneuve verbeugt sich jetzt vor Jodorowskys Vision: Charlotte Rampling, die für den Chilenen die Lady Jessica verkörpern sollte, Mutter des jungen Messias Paul Atreides, spielt nun die Mutter Oberin des Ordens der Bene Gesserit  – jenen verschwörerischen Weltraum-Nonnen, denen auch Lady Jessica angehört.

Dass sich Ridley Scott seinerzeit so großzügig beim Kreativteam von „Dune“ bediente, lag nicht zuletzt daran, dass ihn der italienische Produzent Dino De Laurentiis – der sich die Rechte am Stoff gesichert hatte – mit der Filmadaption des Buches beauftragt hatte. Scott stieg nach dem Tod seines älteren Bruders aus und wandte sich später einer anderen Science-Fiction-Story zu:  „Blade Runner“ (1982). Zu dem wiederum Villeneuve die Fortsetzung „Blade Runner 2049“  (2017) gedreht hat: Die Einflüsse haben sich unlösbar ineinander verwebt. 

Lynch scheitert spektakulär

De Laurentiis holte sich den jungen britischen Regisseur David Lynch als Ersatz. Dessen „Dune“-Version sollte 1984 die erste werden, die es auf die Leinwand schaffte.  Frank Herbert lobte Lynchs Film, doch da blieb er der einzige: „Dune“-Fans hassten die Freiheiten, die sich Lynch herausgenommen hatte, Kritiker bemängelten den verstolperten Rhythmus und das konfuse Drehbuch, das allgemeine Publikum blieb dem seltsamen Space-Wirrwarr sowieso fern – und David Lynch weigert sich bis heute,  den Film in Interviews anzusprechen.

Die ersten Reaktionen auf Villeneuves Neuverfilmung fallen erheblich positiver aus. Der Kanadier hat Herberts Epos als formsprengende Weltraumoper verfilmt, Hans Zimmers Wüstenmusik schwillt an und ab wie eine Tuareg-Version des „Rheingold“, für die grandiosen Bilder des Kameramanns Greig Fraser wirkt selbst das Imax-Format zu klein und das Drehbuch schafft Ordnung in Herberts ausufernden Visionen, in dem es sich ganz auf Timothée Chalamets jungen Erben Paul Atreides konzentriert, den kommenden Messias.

Wenn er denn kommt. Denn die 165-Millionen-Dollar-Produktion  ist ein Drahtseilakt ins Ungewisse: Villeneuve hat nämlich nur die Hälfte des ersten „Dune“-Romans adaptiert, kaum bekommt man die gewaltigen Sandwürmer zu Gesicht. Die Produktionsfirma Legendary Pictures zögert mit dem grünen Licht für die Fortsetzung, will erst die Zuschauerzahlen abwarten. Am Ende könnte sich „Dune“ anno 2021 als einer jener Träume erweisen, aus denen einen der Wecker der Wirklichkeit allzu gewaltsam herausreißt.

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