Klassik-Festival in BonnDie grünen Widersprüche des nachhaltigen Beethovenfests

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Eröffnungskonzert Beethovenfest 2023

Die russische Cellistin Anastasia Kobekina beim Eröffnungskonzert des Bonner Beethovenfestes

Auf dem Bonner Beethovenfest geht es dieses Jahr um die Klimakatastrophe, das führt angesichts hochkarätiger Gäste aus dem Ausland zwangsläufig zu Widersprüchen.

Wie sich die Zeiten ändern: 1923, vor genau hundert Jahren, komponierte Arthur Honegger sein Orchesterstück „Pacific 231“, das die damalige Faszination durch die technische Moderne widerspiegelt. Das motorische Stampfen einer Dampflok, die beschleunigt und verlangsamt, wird dort rhythmisch-musikalisch dergestalt umgesetzt, dass eine „Bolero“-nahe Trance entsteht.

Auf dieses Werk, das das Zürcher Tonhalle-Orchester unter Paavo Järvi jetzt zur Eröffnung des diesjährigen Beethovenfestes im Bonner Opernhaus spielte, folgte, als Uraufführung, Ian Andersons Vertonung von Jürg Halters Gegenwartslyrik „Gute Menschen“ (der Autor selbst rezitierte sie nach der Art eines Melodrams in Bonn zur Musik). Sie ironisiert die Selbstberuhigungsstrategien des gegenwärtigen Homo sapiens angesichts der von ihm verursachten ökologischen Katastrophe. Ungeschminkt spricht die Musik die Wahrheit über den Weltzustand – sie ist eine orchestrale Apokalypse, eine radikale klanggewordene Dystopie, die von den Gästen aus Zürich in schmerzhaft-nachdrücklicher Zuspitzung realisiert wurde.

Diese Konstellation fügt sich, naheliegend, in den programmatischen Kontext des diesjährigen Beethoven-Festes. Nicht nur werden unter dem Dach des vieldeutigen Mottos „Musik – Über – Leben“ in begleitenden Vorträgen, Diskussionen und Workshops einschlägige Fragen wie etwa die zum Verhältnis von Musik und Natur thematisiert; vielmehr richtet das Festival – im zweiten Jahr der Intendanz von Steven Walter – diese auch an sich selbst. Man will „nachhaltiger“ werden, im Konzert- und Bürobetrieb CO2-Emissionen reduzieren und in Sachen Klimaschutz mit Institutionen, Unternehmen und Initiativen der Region zusammenarbeiten.

Betreibt das Beethovenfest etwa Green-Washing?

Das klingt auf Anhieb nach einem modischen Green-Washing, indes besteht bis zum Beweis des Gegenteils kein Grund, an den guten Vorsätzen der Festspielleitung zu zweifeln. Das Kernproblem kann freilich auch diese nicht aus der Welt schaffen: Nicht nur sorgt der Reiseverkehr der eingeladenen hochkarätig-internationalen Gäste in summa dann doch für einen erheblichen ökologischen Fußabdruck; vielmehr wird eine Veranstaltung wie das Beethovenfest überhaupt nur möglich auf der Basis jenes westlichen Wohlstandsniveaus, dessen weltweite Umweltkosten nicht erst seit gestern außer Zweifel stehen. Es hilft nichts, aber seine beste umweltpolitische Tat vollbrächte das Festival, wenn es – wie alle anderen Veranstaltungen dieses Typs – sich selbst abschaffte.

Weil diese radikale Konsequenz, so wie die Dinge liegen, nicht gezogen werden kann, bleiben unauflösbare Widersprüche, die zuweilen offen zutage treten. Etwa im sprachlich und auch in der Performance zweifellos geschliffenen und inspirierenden Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Musik und Katastrophe“ in der Kreuzkirche, für den man den Schweizer Autor und Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss hatte gewinnen können.  

Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss über Beethovens Desinteresse an der Umwelt

Ein weites Themenfeld graste dieser ab – es reichte von den Umweltkatastrophen der Beethoven-Zeit und den spärlichen Reaktionen des Komponisten darauf über das Verhältnis von Wissen und Gewissen, Physik und Metaphysik angesichts der ökologischen Fundamentalkrise unserer Tage bis zur Bedeutung der Musik in diesem Zusammenhang. Gedanklich so recht zueinander wollten sich indes all diese Aspekte nicht fügen, da ruckelte es in der diskursiven Logik ganz erheblich.

Und ob die Spannung von Ethik und Ästhetik in einem nachhaltigkeitsorientierten Beethovenfest aufgehoben werden kann, ist gleichfalls mehr als fraglich – viele Besucher wollen in Bonn halt weniger mit den Überlebensthemen unserer Zeit konfrontiert werden als vielmehr, platt gesagt, schöne Musik hören.

Dvoráks Cellokonzert lässt Ian Andersons Apokalypse vergessen

Die bekamen sie übrigens beim Eröffnungskonzert – nach der einleitenden Verstörung und den Grußworten von Oberbürgermeisterin, Ministerpräsident und Intendant – im Übermaß. Tatsächlich ließ sich bei Dvoráks Cellokonzert und seiner neunten Sinfonie – der mit dem himmlischen Englischhorn-Solo im zweiten Satz – Andersons Apokalypse recht gut vergessen.

Dies allerdings auch deshalb, weil beide Werke auf herausragendem Niveau gespielt wurden. Unter Järvis konzisem Dirigat stellte das Tonhalle-Orchester Interpretationen hin, die scheinbar Gegenstrebiges überzeugend integrierten: den großen, schwellend-romantischen Ton und die kammermusikalische Ausdifferenzierung der Partitur, die strömende Gesangslinie und das kleinteilige Puzzle, dramatische Energetik und seligen Stillstand.

Immer wieder gelangen dabei auch jene Raumeffekte, den man mit einem Operntitel aus späteren Zeiten als Erzeugung eines „fernen Klangs“ bezeichnen könnte. Die Akustik des Opernhauses mag für sinfonische Aufführungen nicht optimal sein – auch atmosphärisch zuträglicher als das glücklicherweise abgeschaffte WCC-Center als zentraler Veranstaltungsort ist es allemal.

Zu den – die kollektiven Lösungskapazitäten schier überfordernden – Krisen der Zeit gehört auch der Ukrainekrieg. Auch er wirkte, und sei es indirekt, in die Eröffnung hinein. Solistin im Cellokonzert war die hochbegabte und zu Recht allseits gefeierte junge Russin Anastasia Kobekina. Die hat sich vom Krieg des Diktators in ihrem Heimatland wünschenswert eindeutig distanziert – was ihr nicht nur den Weg nach Bonn, sondern auch zum Tonhalle-Orchester und zu Paavo Järvi ebnete, der als Este eine ganz harte Haltung zu Putins Aggression hat. Ganz anders verhielt sich im vergangenen Jahr, nach Kriegsbeginn, ein Konzertveranstalter im schweizerischen Ittingen: Er lud Kobekina wieder aus – weil sie Russin ist. Dieser Grund wurde als hinreichend erachtet.

Das Beethovenfest 2023 findet bis zum 24. September statt. Es umfasst mehr als 70 Konzerte an zahlreichen Spielstätten in und rund um Bonn.

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