Kölner Datenbank zur FotografieEine andere Geschichte der Bilder

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Die Kölner Altstadt in den 1930er Jahren von unter der Hindenburgbrücke aus gesehen.

Eugen Coubilliers Blick auf die Kölner Altstadt in den 1930er Jahren

Fünf Jahre war das „FotografenWiki“ offline. Jetzt kann man wieder in der Kölner Datenbank zur deutschsprachigen Fotografie stöbern.

Endlich ein Fotograf, der nicht mit „seelischen Ausdruck“ flunkert, der in Gesichtern nicht nach charakterlicher Tiefe kramt und stattdessen „ganz solide und gewissenhaft“ bei der Oberfläche bleibt. Mit einem Stoßseufzer der Erleichterung feierte der Schriftsteller Franz Blei 1915 den Berliner Fotografen Karl Schenker, der in der Weimarer Republik zum Porträtisten der besseren Gesellschaft wurde, in den 1930ern aus der Mode kam und in seinem Todesjahr 1954 vergessen war – und zwar aus denselben Gründen, denen er seinen fantastischen Aufstieg und die Hymnen Bleis verdankte.

2016 widmete das Kölner Museum Ludwig dem „Master of Beauty“ eine große Retrospektive und verband damit den Aufruf, das Heer der Gebrauchs- und Auftragsfotografen nicht dem anhaltenden Vergessen zu überlassen. Allein in Berlin gab es während der ersten Blüte der professionellen Fotografie mehr als 4000 Studios, deren Betreiber gegen Geld alles und jeden fotografierten, seien es Postkartenansichten, die Bauten stolzer Architekten oder die Kinder der Nachbarschaft. Ihre Namen kennen heute oftmals nicht mal mehr Experten. Aber ihre Bilder sind Zeitdokumente – und nicht selten von verblüffender Qualität.

Mit mehr als 14.000 Einträgen ist der „FotografenWiki“ einer der größten seiner Art.

Insbesondere diesen Fotografen aus der zweiten, dritten oder vierten Reihe ist das „FotografenWiki“ gewidmet, eine Online-Enzyklopädie, die 2011 vom Brühler Verein Foto-Historie gegründet wurde, zwischenzeitlich für mehrere Jahre offline gehen musste und jetzt im digitalen Archiv des Kölner Greven Verlags eine neue Heimat gefunden hat. Mit mehr als 14.000 Einträgen ist er einer der größten seiner Art. Allerdings hinkt das kostenlose Nachschlagewerk damit immer noch weit hinter dem eigenen, bewusst größenwahnsinnig gewählten Anspruch zurück, sämtliche Fotografen im deutschsprachigen Raum zu lexikalisieren.

Einer der Gründerväter des „FotografenWikis“ ist der Bonner Fotohistoriker Rolf Sachsse. Dessen private Datenbank mit 6500 Einträgen bildete den Grundstock, und auch heute ist der Anspruch des Online-Lexikons akademisch verfasst. „Wir möchten eine Basis für wissenschaftlich saubere Informationen bieten“, sagt Sachsse, „und deswegen ist unser Wiki anders moderiert als das allgemeine Wikipedia.“ Es gibt eine stärkere redaktionelle Kontrolle, aber dem Prinzip nach ist auch das „FotografenWiki“ offen für alle, die etwas beizutragen haben oder eine der unzähligen Wissenslücken füllen können.

In der deutschen Fotografiegeschichte, so Sachsse, gebe es noch vieles zu erforschen und aufzuspüren. „Mein ganzes Leben, und ich bin schon steinalt, hat daraus bestanden, solche Entdeckungen zu machen.“ Ganz nebenbei gehe es auch darum, die Historie der großen Männer und Frauen zu erweitern. „Wir wollten keine Berühmtheitsskala schaffen, sondern jeden aufnehmen, der eine Spur hinterlassen hat.“ Fotografie sei schließlich ein demokratisches Medium, das sehr vielen Menschen zugänglich war und ist. Bislang liegt der Fokus auf der Historie. „Eine Datenbank zu Instagram und Influencern haben wir noch nicht“, sagt Sachsse. „Aber das wird auch noch kommen.“

Nach Köln passt das „FotografenWiki“ schon deshalb, weil einer der berühmtesten Bildkünstler der Moderne, August Sander (1876-1964), im Hauptberuf ein Fotoatelier in Lindenthal betrieb; in sein weltberühmtes, ebenfalls enzyklopädisch angelegtes und ebenfalls größenwahnsinniges Projekt der „Menschen des 20. Jahrhunderts“ ging auch ein Teil der Sander‘schen Laufkundschaft ein. „Im Jahr 1984 habe ich mich bei der Kreishandwerkerschaft bemüht, die Akte zu Sander einsehen zu dürfen“, so Sachsse. Aber die sei, wie alle anderen Akten, 20 Jahre nach dem Tod des Mitglieds vernichtet worden. „Das war ein Antrieb für mich, so viele Aktenfunde wie möglich zusammenzutragen und zu bewahren - und auch die Funde der vielen Lokalhistoriker vor Ort.“

Wir wollten keine Berühmtheitsskala schaffen, sondern jeden aufnehmen, der eine Spur hinterlassen hat
Rolf Sachsse

Vor dem Ersten Weltkrieg, vermutet Sachsse, dürften in Köln um die 100 Ateliers hauptberuflicher Fotografen existiert haben. Einige davon haben es wie Sander oder der Architektur- und Kinderfotograf Werner Mantz in den Kunstkanon geschafft. Über andere, wie etwa Eugen Coubillier (1873-1947), gibt nur das „FotografenWiki“ detaillierter Auskunft. Dabei war Coubillier in Köln ein gefragter Mann, der, wie es im Wiki heißt, „nach 1920 als Prominentenportraitist und für den Kölner Verkehrsverein“ tätig war und in dieser Doppelfunktion sowohl Kardinäle und Bürgermeister verewigte als auch die Kölner Altstadt in urbane Romantik tauchte.

Am Beispiel Coubillier zeigt sich, dass Auftrags- und Gebrauchsfotografien mehr sind als bloße Zeitdokumente; dass es oftmals Zufall ist, ob ihre ästhetischen Qualitäten gewürdigt werden; und dass auf jede Entdeckung in diesem Feld etliche Arbeiten kommen, die durchs Raster fallen, weil sie die Kriterien der Kunstwelt nicht erfüllen. Das liegt einerseits in der Natur der Sache, weil die Fotografie im überwiegenden Teil ihrer Geschichte keine Kunst, sondern Kunstgewerbe, Journalismus, Wissenschaft oder privates Vergnügen war. Andererseits geht durch die Verengung der Fotografie auf das Künstlerische gerade deren Besonderheit verloren: eine anonyme und demokratische Kultur zu sein, die aus der Mitte der Gesellschaft kommt und deren Leben widerspiegelt.

An der Belebung und Erforschung dieser Kultur arbeiten die Macher des Kölner „FotografenWikis“ jetzt wieder online, nachdem der Brühler Betreiberverein im Jahr 2018, so Sachsse, ein Opfer diverser Abmahn-Kanzleien wurde und die Enzyklopädie sicherheitshalber offline nahm. Unter dem Dach der Sigurd Greven Stiftung ist die Rechtsfrage offenbar gesichert, zumal die Datenbank weiterhin nur biografische und bibliografische Daten, aber keine Fotografien enthält. Hinter dieser erstaunlichen Anmutung steckt eine mönchische Idee. „Wir wollten nicht durch eine Werkauswahl schon ein Vorurteil bilden“, sagt Sachsse. „Wenn einzelne Aufnahmen ikonisch werden, wirkt das auf die Lektüren von Biografien zurück. Da möchten wir sauber trennen.“

Ein allseligmachendes Füllhorn ist das „FotografenWiki“ also nicht. „Aber wenn ich die Namen der Fotografen und dazu einige Daten habe“, glaubt Sachsse, „dann finde ich die Fotos fast immer.“ Das größte Desiderat des Wikis seien nicht Bilder. Sondern Informationen.

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