Ausstellung im Museum LudwigEin Küsschen zu viel für Renate Gruber

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Renate Gruber schaut lächelnd auf den rauchenden Künstler Man Ray, der zum Spaß ihren Hut trägt.

Renate Gruber mit dem behüteten Surrealisten Man Ray

Das Kölner Museum Ludwig erinnert an die verstorbene Sammlerin Renate Gruber. Es ist eine Hommage mit Schönheitsfehlern.

In den 1960er Jahren war die fotografische Welt noch klein, beinahe so klein, dass sie in ein schmuckes Häuschen in Braunsfeld passte. Hier gingen zur Photokina, der alle zwei Jahre stattfindenden Kölner Technikmesse, Fotografen, Künstler und Sammler ein und aus, um zu reden, sich auch mal zu streiten, aber vor allem, um sich von ihren Gastgebern, dem Ehepaar Renate und L. Fritz Gruber, umsorgen zu lassen. Es war eine geradezu familiäre Welt, die in der Rückschau mit jedem Jahr größer und bedeutender wird.

Aus dieser familiären Welt stammen auch die 934 Werke, die seit 1977 den Grundstock der berühmten Fotografischen Sammlung im Kölner Museum Ludwig bilden. Beinahe alle Abzüge bekam L. Fritz Gruber von den Fotografen geschenkt, meist als „Honorar“ für Artikel oder Reden oder auch mal aus Erstaunen darüber, dass sich jemand dafür interessierte. Lange sahen die Grubers ihre Sammlung gar nicht als solche an; das änderte sich erst, als Günther und Carola Peill über die Bilderberge der Gruber'schen Wohnung stolperten und fragten: „Könnten wir das nicht mal zeigen.“ 1972 wurde im Kölnischen Kunstverein erstmals die „Sammlung Gruber“ präsentiert, bald darauf befand Kölns Kulturdezernent Kurt Hackenberg, das sei etwas für die städtischen Museen.

Ohne L. Fritz Gruber wäre aus Köln wohl keine Fotostadt geworden

Ohne L. Fritz Gruber wäre Köln kaum die Fotostadt geworden, die sie heute ist. Nach seinem Tod im Jahr 2005 setzte seine Ehefrau die Tradition fort: mit Einladungen in ihr kleines Haus der Fotografie, gelegentlichen Schenkungen und nicht zuletzt einer Videoreihe für das Museum Ludwig, in der sich Renate Gruber – für alle, die sie kannten, wenig überraschend – als ebenso eloquente wie kluge Zeitzeugin der jüngeren Fotografiegeschichte erwies.

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So ist es beinahe eine schöne Selbstverständlichkeit, dass im Fotoraum des Museums Ludwig mit einer kleinen, kurzfristig eingerichteten Sonderschau an die Ende Oktober verstorbene Renate Gruber erinnert wird. Sie trägt den Titel „Kiss kiss“ und besteht zu einem nicht geringen Teil tatsächlich aus Kussmündern. Von diesen schuf der Surrealist Man Ray, einer der engsten Freunde der Grubers, eine ganze Reihe – seine berühmte Aufnahme „Lippen an Lippen“ (1930) bildet das mehrfach variierte Leitmotiv der Ausstellung.

Im Wesentlichen gibt es drei Stränge durch die Erinnerung an Renate Gruber: Aufnahmen des Ehepaares (von Annie Leibovitz, Duane Michals, Heinz Held und anderen), Innenaufnahmen ihres Hauses (vor allem von Candida Höfer) und die titelgebenden Küsse. Selbst die wenigen Bilder, die ausschließlich an die eigentliche Lebensleistung des Ehepaars, seine Sammlung, erinnern sollen, fügen sich dieser Logik. Henri Cartier-Bressons „Ostern in Harlem“ zeigt ebenso ein Pärchen wie eine Aufnahme Brassais aus dem Pariser Nachtleben; nur ein wenig aus Reihe tanzt Ed van der Elskens „Vali“ vor dem Spiegel, ein narzisstisches Doppelporträt.

„Kiss Kiss“ steht also nicht nur für jene „Küsschen Küsschen“, die sicherlich auch im Gruber’schen Salon ausgetauscht wurden, sondern vor allem für ein künstlerisch bestens dokumentiertes Eheleben. Für sich allein erwischte man Renate Gruber mit der Kamera offenbar nur, wenn L. Fritz sie in Händen hielt; ein wunderbar beiläufig wirkendes Schwarzweiß-Porträt gibt davon Zeugnis. Von Man Ray wiederum stammt ein Zitat, das dem Kussmund eine surreale Abschiedsnote gibt: „Alleinige Wirklichkeit, die ihr seid, küsse ich euch mit allem, was von mir bleibt: meinen eigenen Lippen.“

Von Renate Gruber bleiben hoffentlich mehr als ihre Lippen in Erinnerung. Was sie zu sagen hatte, zeigen die Videos in der Ausstellung, ohne die man auf den Gedanken kommen könnte, dass in dieser Hommage an eine kluge Frau etwas zu ausgiebig der Sinnlichkeit des Ewig-Weiblichen gehuldigt wird. Ein anderer marginaler Schönheitsfehler steht an der Wand geschrieben. In großen Lettern wird L. Fritz Gruber dort als „Kurator der Photokina“ bezeichnet, eine beliebte Abkürzung, die in die Irre führen kann. Selbstredend wurde nicht die Technikmesse kuratiert. Sondern die jeweilige „Bilderschau“, die auf ihr stattfand.

„Kiss, kiss - In memoriam Lady Renate Gruber“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 12. März 2023

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