Kölner Influencerin über Filter„Irgendwann denkt unser Hirn: Das ist die Realität“

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Silvi Carlsson

Silvi Carlsson

Die Kölnerin Silvi Carlsson ist seit mehr als zehn Jahren bei Youtube aktiv und auch bei Instagram folgen ihr heute mehr als 900 000. 

Sie hat Süßigkeiten getestet und aus ihrem Teenie-Tagebuch vorgelesen. Haufenweise Hosen anprobiert, über ihre ADHS-Diagnose und Panikattacken gesprochen. Sie hat eine eigene Schmuck- und Klamottenkollektion auf den Markt gebracht, Musikvideos veröffentlicht, Menstruationstassen ausprobiert und Dating-Shows kommentiert. Silvi Carlsson ist seit mehr als zehn Jahren bei Youtube, und das ist in der Zeitrechnung der Sozialen Medien mindestens ein halbes Jahrhundert.

Insofern ist Carlssons Geschichte auch ein bisschen die der deutschen Sozialen Medien – und andersherum. Aus dem „Einfach-mal-wild-ausprobieren“ ist ein professionelles Business geworden. Und auch ihre Inhalte sind mit ihr und ihren Followern erwachsen geworden – ernster und vor allem kritischer.

Blond, rot, braun – ihre Haarfarbe hat die 31-Jährige in den Jahren genauso wild gewechselt wie ihre Inhalte: „Ich habe mich viel ausprobiert am Anfang, um meinen Weg zu finden“, sagt sie. Und eigentlich hat sie damit nie aufgehört. „Meine gesamte Laufbahn zeigt ja: Ich hab' irgendwie immer Lust auf etwas Neues, weil ich mich von so vielen Dingen inspirieren lassen kann“, sagt sie. Zum Beispiel von Musik – seit 2019 hat sie ein paar Songs veröffentlicht. Inzwischen will sie Musik aber nur noch als Hobby machen, denn zu viele Leute wollten dabei mitreden. Und der Druck war enorm.

Ich hab' irgendwie immer Lust auf etwas Neues, weil ich mich von so vielen Dingen inspirieren lassen kann.
Silvi Carlsson

Enormen Druck gibt es auch in den Sozialen Medien – ständig Inhalte liefern zu müssen, Abonnenten und Abonentinnen zu gewinnen oder wenigstens zu halten. Aber dafür ist sie ihre eigene Chefin, kann ihre eigenen Themen und Ideen umsetzen: „Das Selbstbestimmte war mir immer am Wichtigsten“, betont Silvi Carlsson und denkt in einem Video schon über die nächste Idee nach: Vielleicht einen Buchclub gründen?

Ein Leben in der Öffentlichkeit ist sie gewohnt. Im letzten Jahr wurde es ihr trotzdem zu viel – als sie einen Witz über K.o.-Tropfen kritisch kommentierte. Und die ganze Debatte eine Dynamik bekam, die es so wohl nur in den Sozialen Medien gibt. Danach hat sie sich erstmal eine kurze Pause zum Durchatmen gegönnt. Wollte einfach mal nur für sich da sein. Und nicht für die 270 000 Abonnenten auf Youtube und knapp 900 000 bei Instagram. „Der Fokus ist immer das Außen, die anderen. Dabei ist es doch auch mein Leben. Das habe ich leider zu oft vergessen. Nicht nur in diesem Jahr“ schrieb sie Ende 2022 in einem Instagram-Post.

Sich einfach mal kurz auf sich selbst besinnen, ohne Kamera – was so normal klingt, kann in den Sozialen Medien gefährlich sein: „Du musst regelmäßig produzieren, Content ausspielen und abliefern, damit der Algorithmus dich mag.“ Bei Youtube zum Beispiel werden sonst ihre Videos nicht mehr so oft vorgeschlagen. Und das wirke sich am Ende auch auf die Zahlen aus, sagt sie: „Aber es hat mir jetzt auch nicht das Genick gebrochen“.

Schönheitsideale waren in ihrer gesamten Karriere ein Thema. „Ich war wirklich jahrelang super unglücklich mit meinem Körper“, erzählt sie in einem älteren Video. Ihr Verhältnis zu Körper-Akzeptanz, wie sie viele Influencerinnen feiern, ist zwiegespalten: „Ich denke viel über meine Privilegien nach und es gibt Menschen, die viel mehr kämpfen müssen als ich. Aber der individuelle Druck, sich irgendwie zu Schönheitsidealen zu verhalten, ist natürlich trotzdem immer da.“

Auch deswegen macht Silvi Carlsson sich stark für die Kennzeichnung von Beauty-Filtern, die die Menschen in den Sozialen Medien so unnatürlich schön aussehen lassen. „Wenn ich jeden Tag nur bearbeitete Fotos sehe oder auch Videos – diese Filter sind ja mittlerweile überall integriert - und irgendwann denkt unser Hirn: Das ist die Realität. Wenn wir also jeden Tag solche Bilder konsumieren, verschiebt sich natürlich auch unsere Wahrnehmung, unser Schönheitsideal.“ Und das ist ja ohnehin schon ziemlich gnadenlos.

Am Ende gefährden Filter die körperliche und auch die seelische Gesundheit.
Silvi Carlsson

Aber jetzt, sagt Carlsson, gebe es eigentlich nur noch eine Lösung, wenn man so aussehen möchte wie sein Filter-optimiertes Ich: Eine Schönheits-OP. Und das sei gerade für junge Mädchen fatal: „Am Ende gefährden diese Filter also die körperliche und auch die seelische Gesundheit.“ Das Mindeste sei, bei professionellen Posts zu kennzeichnen, ob solche Filter verwendet wurden oder nicht.

Die Traumreise, das Trend-Outfit, das hippste Festival, die stilsichere Wohnung, der top trainierte Körper – in den Sozialen Medien sei kaum Raum für Schwächen, jeder feiere sein cooles Leben, wenn er sich nicht gerade über irgendwas empöre, findet Silvi Carlsson. Sie spricht inzwischen offen über das Single-Sein, ihre Therapie oder eben ihre ADHS-Diagnose. Und wenn das auch wieder ein Trend wird? Umso besser, sagt sie, denn wir brauchen mehr weibliche Identifikationsfiguren: „Es ist doch total schön, dass wir uns mittlerweile zumindest in einigen Bubbles offen und ohne Schamgefühle austauschen können. So eine Gemeinschaft ist total wohltuend für alle – auch für mich.“

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