Kölner OperBesoffenen-Komik und Köln-Bashing bei Operette „Fledermaus“

Hoch die Tassen: Miljenko Turk als Eisenstein freut sich des Lebens.
Copyright: Bernd Uhlig
Köln – Männer in Boxershorts und Socken, dazwischen madenweiß-behaartes Wadenfleisch – sie bieten immer einen tendenziell jämmerlichen Anblick. Und die Lacher, die sie als Bühnenfiguren im Publikum provozieren, sind stets preiswert gekauft. Leider verzichtet die neue Kölner „Fledermaus“, die jetzt im Saal 1 des Staatenhauses Premiere hatte, durchaus nicht auf solch niveauermäßigte Zwerchfellattacken – und vergab damit die Chance, der verbreiteten Totensonntagsstimmung ein zugkräftiges Antidepressivum entgegenzusetzen.
Strauß’ unsterbliche Operette hat es ja bei Licht besehen in sich: Gabriel von Eisenstein, der seinen „Freund“ Dr. Falke bei Nacht und Nebel in einem Fledermauskostüm aussetzt und damit seine soziale Reputation ruiniert – er ist ja de facto kein komödiantischer Bonvivant, sondern ein amoralisches Ekelpaket, dessen Tun das Zeug hat, ein Drama à la Arthur Schnitzler in Gang zu setzen.
Und die Regisseurin Petra Luisa Meyer zeigt immerhin sehr deutlich, dass sie für diese desaströse Gegenmelodie des Lustspiels einen Riecher hat: Nur mit Mühe etwa kann Eisensteins Ehefrau Rosalinde davon abgehalten werden, ihren notorisch fremdgehenden Gemahl mit einem Messer zu töten. Ist das noch so richtig lustig?
Humor wie im Kölner Vorstadtkarneval
Nun wäre es verfehlt und sinnlos, die „Fledermaus“ gegen ihre Genrezugehörigkeit auf Tragödie zu bürsten – was Meyer dann auch nicht tut. So oder so gibt es auf weite Strecken wenig zu lachen – und wenn es dann, vor allem im dritten Akt, etwas zu lachen geben soll, geht das gründlich daneben, nimmt der Humorzug zielstrebig Fahrt in Richtung Kölner Vorstadtkarneval auf.
Die letzte Kölner „Fledermaus“ – noch im Haus am Offenbachplatz – war eine von Helmut Lohner arrangierte korrekte Harmlosigkeit. So nett lässt es Meyer (übrigens die Schwester der Opernintendantin) heuer nicht angehen: Auf einer mit gegeneinander versetzten und durchscheinenden Vorhängen sowie verschiebbaren Raumelementen ausgestatteten und solchermaßen in Zonen gestaffelten Bühne (Stefan Brandtmayr) begibt sich (zumal beim Kostümfest des hier bemerkenswert lebensüberdrüssigen Prinzen Orlofsky) ein schrill-bewegungsreiches Spektakel mit Tunten und Transen, mit Tanz und Trara.
Da wird – und das ist in der ernüchternden Staatenhaus-Atmosphäre keineswegs zu verachten – an Bild-, Kostüm- und Farbenopulenz nicht gespart, und immer wieder wecken zu Tableaus gefrierende, teils phantasmagorische Szenen Assoziationen an Kunst und Geschichte. Antike Saturnalien zum Beispiel. Zugleich droht das Ganze an einer gleichsam leerlaufenden Überfülle (auch an Überlänge) zu ersticken. Besonders bemerklich ist das am Ende des Mittelakts, der ja eh ob des Handlungsstillstands zur Revue tendiert. Die Talsohle der Frohsinnsofferten wird dann allerdings, wie bereits vermerkt, im dritten Akt erreicht, in dem der Schauspieler und Kabarettist Jochen Busse als schnaps-verfüllter Gefängniswärter Frosch (und als auf einer angedeuteten zweiten Ebene agierender Conferencier oder Theaterdirektor) eine vorgezogene Büttenrede halten darf.
Nun ist torkelnd-lallende Besoffenen-Komik üblicherweise genauso abgeschmackt wie das allfällige Köln-Bashing mit Opernsanierung und Staus. Und auch alberne Wortspiele in den Dialogen und krampfige Aktualismen von der Sexismus-Debatte über Sondierungsgespräche bis zu Trump sind nicht dazu angetan, in dieser Operette irgendetwas Gutes zu bewirken. Wäre es nicht angezeigt, hier einmal grundsätzlich neue Regie-Wege zu beschreiten?
Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist
Tatsächlich zeigt diese Produktion in ihrem Scheitern wieder einmal, dass das Leichte das Schwerste ist – am „Tristan“ verhebt es sich weniger schnell als an der „Fledermaus“. Muss man also an dieser Stelle im Sinne eines zusammenfassenden Werturteils den lebensrealistisch-zynischen Kernsatz der Operette zitieren: Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist (bis Jahresende folgt eine voluminöse Staffel von Aufführungen)?
Stückbrief
Musikalische Leitung: Marcus Bosch
Inszenierung: Petra Luisa Meyer
Bühne: Stefan Brandtmayr
Darsteller: Miljenko Turk, Ivana Rusko, Oliver Zwarg, Kangmin Justin Kim, Marco Jentzsch, Wolfgang Stefan Schwaiger, Martin Koch, Claudia Rohrbach, Maike Raschke, Jochen Busse
Dauer: 3 1/2 Stunden mit Pause
Nächste Aufführungen: 30. November, 2., 6., 8., 10., 14. Dezember
Nicht ganz, denn die guten Sänger- und Darstellerleistungen reißen es ein Stück weit heraus. Drei Akteure schießen dabei den Vogel ab: Publikumsliebling Miljenko Turk als Lebemann Eisenstein ist in Aktion und Gesang erwartbar einnehmend, im Appeal vielleicht ein wenig zu jung für die Partie. Mit silbrigem Soubrettenzauber erfreut Claudia Rohrbach als Zimmermädchen Adele, und verwirrend-großartig changiert zwischen den Geschlechterrollen Kangmin Justin Kim als Prinz Orlofsky. Der Mann ist ein Counter, worauf man als Zuhörer aber nicht sofort kommt und also spontan geneigt ist, ihn dem Transvestitenpersonal auf der Bühne zuzuschlagen.
Ivana Rusko als Rosalinde (in der Höhe leicht schrill, in der Mitte matt), Oliver Zwarg als Gefängnisdirektor Frank , Marco Jentzsch als Alfred, Wolfgang Stefan Schwaiger als Dr. Falke, Martin Koch als Dr. Blind und Maike Raschke als Ida bleiben unauffällig, geben aber meistenteils auch keinen Anlass zu Verdruss. Zuverlässig wirkt auch der Chor. Das rechts von der Bühne postierte Gürzenich-Orchester müht sich unter der Leitung von Marcus Bosch wacker und solide, aber der Champagner schäumt auch aus dieser Ecke nicht herüber.
Bemerkenswert buhfreier Applaus auch für die Regie! Offensichtlich war das Premierenpublikum an einem trüb-unheimeligen Novembersonntag eisern gewillt, diese Produktion als Vorklang auf die fünfte Jahreszeit zu akzeptieren.