Die Organistin Iveta Apkalna und das Alinde-Quartett waren in dieser Saison Porträtkünstler der Philharmonie. Jetzt gaben sie ihr letztes gemeinsames Konzert in Köln.
Kölner PhilharmonieApkalna und Alinde spielen Hardcore-Avantgarde und gehobenen Kitsch

Die lettische Organistin Iveta Apkalna
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Da war nahezu alles dabei: Hardcore-Avantgarde und gehobener Kitsch, 2b-Klassik und anbrechende Moderne, Barock und Minimalismus, Ungeläufiges und über die Maßen Bekanntes. Klar, bei dieser exquisiten Besetzung – Orgel plus Streichquartett – muss man ein wenig basteln, um ein attraktives abendfüllendes Programm hinzukriegen (bei dem es dann auch nicht ohne Bearbeitungen abgeht). So kann es nicht verwundern, dass beim letzten gemeinsamen Auftritt der Porträtkünstler der zu Ende gehenden Saison in der Kölner Philharmonie – Iveta Apkalna und Alinde-Quartett – ein reißfester thematischer Faden kaum zu entdecken war. Es sei denn, man bemüht die dialektische Volte, derzufolge etwas eine Einheit in seinen Gegensätzen findet.
Und immerhin: Zuweilen gaben sich dann doch unvermutete Korrespondenzen über den Abgrund der Epochen und Stile hinweg: Hinreißend in der Registrierung und nahezu narkotisierend im motivisch-rhythmischen Flow hatte Apkalna an der Orgel Philip Glass' „Mad Rush“ inszeniert. Ihm antwortete sozusagen in der Zugabe Pachelbels legendärer „Kanon“ von 1680. Auch hier nämlich stellt sich dank des noch und nöcher wiederholten Chaconne-Basses jene Trance des Repetitiven ein, die man ansonsten den US-Minimalisten vom Schlage Steve Reich und eben Philip Glass bescheinigt.
Das Alinde Streichquartett spielt mit schmerzhaft energischen Zugriff
Begonnen hatte der Abend mit Mozarts Kirchensonate KV 336, einem Mini-Konzertsatz für Orgel und Streichtrio, dessen Hauptthema zwar auf das späte Krönungskonzert KV 537 vorausweist, in seiner Substanz aber dennoch ein leichtgewichtiges Stück liturgischer Gebrauchsmusik bleibt. Ihre suggestive Registrierungskunst, durch die die Orgel recht eigentlich zu einem für das jeweilige Werk bedeutsamen Farbklang-Produzenten wird, konnte Apkalna da kaum walten lassen, hier kam es mehr auf filigrane Ornamentik an. Und diesbezüglich unterliefen dann auch, obwohl das Stück technisch keine Herausforderung darstellt, Fehler und hastige Ungenauigkeiten.
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Diese Enttäuschung wich dann allerdings im Lauf des Abends Wohlgefallen und Faszination – woran Apkalna und Alinde den nämlichen Anteil hatten. In den „Fever Sketches“ von SJ Hanke (2022), zu denen der Regensburger Komponist durch Schuberts Lied „Alinde“ (!) angeregt wurde, und in Respighis „dorischem Quartett“ glänzte Alinde durch schmerzhaft energischen Zugriff genauso wie durch erhebendes instrumentales Singen, im Ensembleklang exzellent aufeinander abgestimmt. Ein Spiel ohne Fallnetz, mit einem direkt auf die Publikumsohren durchgreifenden Gestus expressiver Gewalt.
Zusammen kamen die Partner bei Jean Langlais' „Pièce en forme libre“ und Bachs Konzert für Orgel solo BWV 593 nach der Vorlage des a-Moll-Konzerts für zwei Violinen aus Vivaldis „L'estro armonico“ – das Marcel Dupré wiederum in die Kombination Solo plus Streicherbegleitung rückübersetzt hatte. Musik über Musik über Musik also. Diese Bearbeitungskaskade kann man sinister finden, tatsächlich ist sie aber ziemlich interessant. Es verhält sich ein bisschen so wie bei der „stillen Post“. Das Endergebnis hat nicht mehr viel mit dem Ausgangsprodukt zu tun.
Als Bearbeitung (von Albinoni) gab auch Remo Giazotto sein legendäres „Adagio“ für Streicher und Orgel aus, tatsächlich handelt es sich bei diesem Schmachtfetzen komplett um ein Fake des italienischen Musikers. Dass das Stück nichts mit Albinonis Barock zu tun haben kann, merkt man bei genauem Hinhören schnell. Man hörte es auch jetzt wieder bei den Alindes und Apkalna, obwohl die dem Barock-Affen mächtig Zucker gaben. Die Atmosphäre von Bachs „Air“ (das einen nahezu identischen Bass aufweist) verbindet sich hier unüberhörbar mit einer starken Portion Ennio Morricone. Nun ja, man hörte auch diesmal gerne zu – zumal die Agenda sonst ja kaum Zugeständnisse ans Wunschkonzert machte. Abgesehen, wie gesagt, von der Zugabe.