Kölner PhilharmonieVon echtem Virtuosenfeuer durchglüht

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Jan Lisiecki

Jan Lisiecki

Der junge Starpianist Jan Lisiecki begeisterte in der Kölner Philharmonie mit Etüden und Nocturnen von Chopin. 

Mit Frédéric Chopins Etüden op. 10 begann 1833 ein neues Zeitalter der Klaviermusik. Was die zwölf Stücke in der Beherrschung des Instruments und des pianistischen Spielapparates verlangen, geht weit über alle vorherigen Standards hinaus - wer fortan auf dem Klavierpodium solistisch bestehen wollte, durfte hier nicht schwächeln.

Auch wenn sich die Etüden jeweils einer klar umgrenzten technischen Problemstellung widmen, sind sie in ihrer klanglichen Subtilität und Ausdrucksdichte zugleich Meisterwerke höchsten Ranges. Bei Gesamtaufführungen des epochalen Zyklus tritt das Poetische leider oft hinter der technischen Bravour zurück, was Jan Lisiecki geschickt ausglich: Der Kanadier polnischer Herkunft ließ die zwölf Etüden, tonartlich abgestimmt, mit elf Chopin-Nocturnes alternieren. Die sind zwar keineswegs leicht zu spielen, aber ihre Schwierigkeiten liegen eher im Klanglichen, in der Egalität der Linie, im Zusammenspiel von Taste und Pedal.

Jan Lisiecki bleibt in Köln ein gern gesehener Gast

Jan Lisiecki war in den vergangenen zehn Jahren regelmäßig in der Philharmonie zu Gast, alleine in dieser Spielzeit hat man ihn als „Artist in Residence“ der Meisterkonzerte bereits dreimal erleben können. Dass der ehemalige Jungstar mittlerweile an der pianistischen Weltspitze angekommen ist, daran konnte bei seinem nahezu ausverkauften Klavierabend kein Zweifel bestehen. Das Chopin-Spiel des 28-jährigen ist in jeder Hinsicht exzeptionell: Es technisch makellos und vollkommen natürlich in der Phrasierung, es ist von echtem Virtuosenfeuer durchglüht und findet doch immer wieder den Weg in Versenkung und Stille.

Was soll man herausheben? In der eröffnenden C-Dur-Etüde trat der rauschende Faltenwurf der rechten Hand fast hinter den stolz schreitenden Bassoktaven der Linken zurück, auch in der überaus rasant genommenen a-Moll-Etüde interessierte sich Lisiecki mehr für die getupften Begleitakkorde als für die unangenehme Bewegung der Außenfinger, die er wie eine leichte Girlande über das harmonische Gerüst warf. Nach der kristallklar figurierten Ges-Dur-Etüde tauchte Lisiecki das Schwesterstück in es-Moll in einen sanften Pedalnebel, der die chromatischen Umspielungen der Mittelstimme mit melancholischer Schwere belegte.

Der Pianist überzeugt in der Kölner Philharmonie mit Chopins Werk

In den Nocturnes bewunderte man vor allem Lisieckis minuziöse Kontrolle der einzelnen Klangschichten. So war die Basslinie durchgehend als selbständige Sinneinheit wahrnehmbar, auch wo sie (wie in op. 27/2) mit der Begleitfiguration untrennbar verschmilzt. Noch mehr als die ewigen Bestseller faszinierten die vermeintlichen Mauerblümchen wie das g-Moll-Nocturne op. 15/3, aus dessen patternhafter Rhythmik Lisiecki etwas Bohrendes, Insistierendes löste - wie er überhaupt die dunkle, dämonische Seite dieser Nachtstücke oft ganz unvermittelt aus dem schimmernden Mondlicht treten ließ.

Mit der „Revolutionsetüde“ hätte sich Lisiecki am Ende des Abends einen furiosen Abgang sichern können, aber selbst dieses oft so affirmativ voranstürmende Stück tauchte er durch strikte Einhaltung der Lautstärke-Vorgaben in ein Netz aus Zweifel und Zwiespalt. Nach diesem Reigen genialer Miniaturen war das zugegebene Paderewski-Nocturne (op. 16/4) künstlerisch eigentlich ein Rückschritt; indes ziselierte und schattierte Lisiecki die etwa zuckrige Pièce so subtil, dass sie wie pures Gold glänzte.

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