Kölner TanzpremiereAus Erdogans Folterkammer in den Ehrenfelder Bunker

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"Brennen", Tanzproduktion disdance project

Szene aus der Kölner Tanzproduktion „Brennen“

In einer neuen Tanzproduktion erzählt die türkische Schauspielerin und Demokrati-Aktivistin Esin Eraydin ihre Geschichte.

„Die Tür geht hinter mir zu. Und nun hat man mich mit dem Wesen allein gelassen, vor dem ich am meisten Angst habe: Mit mir selbst“

Wolfgang Borcherts Zeilen aus „Die Hundeblume“, eine Erzählung, in der Borchert autobiografische Erinnerungen an seine eigene Inhaftierung in einem Militärgefängnis zur Zeit des Nationalsozialismus verarbeitet hat, ist nur eine von vielen literarischen Quellen, die das Theaterduo „disdance project“ für ihre Stück „Brennen – Monodialog mit Diktator“ „ verwendet hat. Das biografische Theaterprojekt von André Lehnert und Paula Scherf basiert auf den Erfahrungen der türkischen Schauspielerin und Theatermacherin Esin Eraydin.

In Köln geboren engagierte sie sich in Istanbul mit ihrer Theaterarbeit für die dortige Demokratiebewegung gegen das Erdogan-Regime und wurde gleich vier Mal verhaftet. Nach ihrer letzten Inhaftierung bei der sie gefoltert wurde, floh sie aus dem Land und lebt nun wieder in Köln. Der Ort der Aufführung im Bunker K101 in Köln-Ehrenfeld hätte nicht besser gewählt werden können. In der Inszenierung verwandeln sich die dicken Mauern des Weltkriegsbunkers in eine düstere Gefängnisszenerie. Das Publikum wird hier mit der Schauspielerin Esin Eraydin eingesperrt, wenn zu Beginn der Vorstellung der Eingang verschlossen wird. Das Schreckensszenario für Klaustrophobiker ist unmittelbar körperlich-emotional spürbar und die persönlichen Erfahrungen von Esin Eraydin verschmelzen ein stückweit mit denen der Zuschauer.

Solchermaßen sensibilisiert entführt „Brennen“ den Betrachter für gut eine Stunde in eine ebenso sehr persönliche wie universelle Auseinandersetzung über Kunst und Diktatur. Die Textcollage von Paula Scherf fügt der persönlichen Perspektive von Esin Eraydin, von der österreichischen Autorin Sarah M. Rendel zu einem Monologstück verarbeitet, lyrisch-literarische Beiträge u.a. von Ernst Toller,  Rainer M. Rilke und Sabahattin Ali bei. Videobilder von André Lehnert erweitern den hermetischen Raum durch surreale Spiegelungen. Während vor den Augen der Zuschauer die Schauspielerin Esin Eraydin agiert, erscheint im Bild eine Tänzerin (Paula Scherf), die gleichermaßen Sehnsüchte, Ängste und Wut der Gefangenen visualisiert.

Die Mauern sind stets spürbar und werden doch durch die Mittel der Kunst aufgehoben. Das Aussprechen der Worte und das Spiel werden dabei zum elementaren Bedürfnis, das selbst die allgegenwärtige, aber unsichtbare Macht der Diktatur nicht unterbinden kann. Das simple Gerippe eines seiner Hülle beraubten Regenschirms verwandelt sich im Spiel zu einem Musikinstrument oder zu einer Angel, kann aber auch plötzlich zum Galgen werden, an dem sich die Gefangene ihrem Peiniger zu entziehen sucht. Hoffen und Bangen werden eins und die innere Welt der engen Zelle verschmilzt mit der Welt da draußen.

Viel prägnanter und eindringlicher kann Theater die Notwendigkeit von freier Kunst kaum vermitteln, als in diesem multimedialen Kleinod.

16.11.22 – 27.11.22, Bunker K101, Köln-Ehrenfeld

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