Kolumne Hinter den KulissenKein Bedarf für den Sexismus-Tüv

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Annette Frier

Köln – Je länger ich über die "#MeToo"-Kampagne nachdenke, in der sich Millionen Frauen weltweit als Opfer sexistischer Belästigung und sexualisierter Gewalt bekannt haben, desto mehr wird mir klar: Es braucht solche Zeichen. Es braucht einen Resonanzraum, in dem die Stimmen der Betroffenen laut werden und sich Gehör verschaffen können.

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Ein Smartphone mit dem Hashtag MeToo (Symbolbild)

Aber damit ist es ja nicht getan. So eindeutig jede Form von körperlichem Zwang zwischen Männern und Frauen zu verurteilen ist, so komplex sind die psychischen Vorgänge, noch bevor es zu physischen Übergriffen kommt. Letztlich sind übergriffige sexuelle Avancen „nur“ das Vehikel für ein archaisches Ziel: sich und anderen seine Macht zu beweisen, die eigene Überlegenheit zu bestätigen.

Erfolge der Emanzipation sind in Gefahr

Das Thema ist also Macht oder besser: Machtmissbrauch. In der aktuellen Diskussion sind Männer die Täter, Frauen die Opfer. Nun ist das ja auch meistens so. Leider. Trotzdem hadere ich zunehmend mit dieser „Opferrolle“. Wir laufen so Gefahr, schon Erreichtes in Sachen Emanzipation wieder zu verlieren und in eine Gesellschaft mit einer verschlossenen, verklemmten, moralisierenden Mentalität zurückzufallen.

Wenn wir über ein so komplexes Thema wie die Beziehungen zwischen den Geschlechtern reden, müssen wir voraussetzen, dass es dabei nie objektiv zugeht. Vieles von dem, was als unangemessen oder übergriffig empfunden wird, ist nicht justiziabel. Oftmals fehlen in einer strittigen Situation unbeteiligte Dritte, die das Geschehen von außen schildern könnten.

Es nützt deshalb nichts, mit den Schlagworten „Sexismus“ oder „Missbrauch“ in populistischer Manier „die Sau durchs Dorf zu treiben“. Das schafft nur Unsicherheiten, für Frauen und für Männer. Lehrer und Erzieher, Regisseure und Produzenten, Banker und Intendanten, Kollegen, Chefs und alle, die es werden wollen, fragen sich inzwischen: Was habe ich womöglich einmal gesagt oder getan, das mir gefährlich werden könnte? Hab ich damals auf der Weihnachtsfeier mit der Susanne nur geflirtet – oder war das schon eine sexuelle Belästigung? Kriege ich jetzt womöglich die Quittung dafür? Bin ich vielleicht als Nächster dran?

Große Verunsicherung

Ich selber merke ein ungewohntes Maß an Verwirrtheit daran, dass ich mich bei dem Gedanken ertappe, ob Männer – auch welche, die ich lange kenne – aus solch einer Verklemmtheit heraus womöglich mir gegenüber auf Komplimente oder Späße verzichten. Ich andersherum übrigens genauso.

Was die Unterhaltungsbranche angeht: Sie lebt zu einem großen Teil von Wortwitz, von den ironischen Spitzen, von Späßen, die schon mal hart an der Grenze sind. Und das Showbusiness handelt nun mal auch mit der „Ware Körper“. Ob es uns passt oder nicht. Wir sollten darauf achten, dass wir uns die Lockerheit und den Humor nicht abhandeln lassen. Wir brauchen keinen Sexismus-Tüv mit zweijährlicher Hauptuntersuchung und Prüfplakette.

Debatte über Umgang mit Macht ist nötig

Wenn wir über Sexismus und sexuelle Gewalt als eine besonders miese Spielart des Machtmissbrauchs sprechen, dann finde ich ein anderes Gedankenspiel interessant: Wo bin ich selbst eigentlich anfällig dafür, Macht auszuüben? Wie nutze ich als Mutter meine argumentative Überlegenheit gegenüber den eigenen Kindern aus? Wie verhalte ich mich im Beruf? Spiele ich damit, wie ich auf Männer wirke – besonders dann, wenn es „wichtige“ Männer sind? Nehme ich in Besprechungen Blickkontakt vor allem zu denen auf, die etwas zu sagen haben, weil es mir auf sie ankommt, egal, ob Mann oder Frau? Wie oft bin ich selber Täterin oder stumme Zeugin kleiner Demütigungen?

Unsere Kolumnistin, geboren 1974, ist Schauspielerin und Komikerin. Ab Januar spielt sie „Gott den Allmächtigen“ im gleichnamigen Theaterstück von David Javerbaum im Theater am Kurfürstendamm, Berlin.

Das klingt vielleicht harmlos. Aber wenn wir einmal die denkbaren Lebenslagen durchspielen, in denen solche Fragen alltäglich eine Rolle spielen, dann müssten wir merken, wie brutal – buchstäblich und im übertragenen Sinn – es zwischen Menschen zugeht, lange bevor irgendeiner seiner Nachbarin nach Trump-Manier in den Schritt packt. Es geht mir nicht darum, sexuelle Übergriffe zu verharmlosen, sondern um den differenzierten und sensiblen Umgang mit Macht. Sich damit zu beschäftigen und darüber zu reden ist unangenehm und anstrengend. Aber ich glaube, es ist wichtiger als der Empörungsschwall, der uns gerade überschüttet.

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