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Kommentar

Kommentar zum ESC-Boykott
Wenn sich Lieblingskünstler als Israelhasser outen

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
Die schwedische Sängerin Robyn im Jahr 2019 auf der Bühne des Kölner Palladiums. Sie trägt ein silbernes Negligé und singt in ein Mikrofon.

Die schwedische Sängerin Robyn, hier 2019 im Kölner Palladium, hat auch den offenen Brief gegen Israels Beteiligung am ESC unterschrieben.

Schwedische Kunstschaffende fordern, Israel vom ESC auszuschließen, andere wollen auch Deutschland boykottieren. Wie geht man damit um?

Sie seien 1000 Künstler, die an die verbindende Kraft der Musik glauben. Schreiben schwedische Künstlerinnen und Künstler in einem in der Zeitung „Aftonbladet“ veröffentlichten offenen Brief. In dem fordern sie die Europäische Rundfunkunion (EBU) auf, Israel vom diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC) auszuschließen. Grund seien die „schweren Kriegsverbrechen“ der israelischen Armee.

Schließlich, argumentieren die Kunstschaffenden, sei auch Russland im Jahr 2022 wegen der Invasion der Ukraine vom Wettbewerb ausgeschlossen worden. Zwar verweist der offene Brief auch auf die „abscheulichen Kriegsverbrechen“ der Hamas. Aber dass ein Unterschied besteht zwischen einem Land, das seinen Nachbarstaat überfällt und einem Land, das sich nach einem beispiellosen Massaker gegen eine Terrororganisation zur Wehr setzt, die die eigene Zivilbevölkerung als Schutzschild einsetzt, davon ist nirgendwo die Rede.

Shaul Greenglick, Israels ESC-Hoffnung, ist im Gazakrieg gefallen

Ebenso wenig davon, dass der Sänger Shaul Greenglick, der für Israel beim ESC antreten sollte, im Dezember bei Zusammenstößen mit Hamas-Kämpfern getötet wurde.

Selbstverständlich kann man Ausmaß und Härte und vor allem die große Zahl an Opfern in der Zivilbevölkerung scharf kritisieren. Und ganz bestimmt auch die Politik der Regierung Netanjahu. Aber der Vergleich mit Russlands Angriffskrieg bleibt hanebüchen, ja bösartig.

Unterschrieben haben den offenen Brief unter anderem die Sängerinnen Robyn und Fever Ray, bürgerlich Robin Carlsson und Karin Dreijer, die ich hier ausschließlich aus persönlichem Fantum eigens erwähnen möchte. Gleiches gilt für die französische Autorin Annie Ernaux, die US-Philosophin Judith Butler und die US-Musikerin Julia Holter, von der Jens Balzer in der „Zeit“ berichtet.

„Strike Germany“ will deutsche Kultureinrichtungen und Festivals boykottieren

Letztere haben den Aufruf „Strike Germany“ unterzeichnet. Der fordert, deutsche Kulturinstitutionen zu boykottieren, weil diese angeblich mit „McCarthyistischen Maßnahmen“ den Ausdruck von Solidarität mit Palästina einschränken, weil, so „Strike Germany“, der deutsche Staat seine Repressionen „gegenüber der eigenen palästinensischen Bevölkerung sowie denjenigen, die sich gegen Israels Kriegsverbrechen stellen“, verschärft habe.

Angesichts solcher wirren Zuspitzungen, die ein Handeln rechtfertigen sollen, das höchstens noch einen Nanometer vom offenen Antisemitismus entfernt ist, schwindet zuletzt leider auch mein Glaube an die verbindende Kraft der Musik. Eine unversöhnliche Israelfeindschaft ist unter linken Kunstschaffenden und Akademikern außerhalb von Deutschland längst zum Mainstream geworden.

Judith Butlers Einschätzung im Interview mit der „Frankfurter Rundschau“, „dass es nicht viele gemeinsame Annahmen zwischen dem deutschen Diskurs und dem Rest der internationalen Gemeinschaft gibt“, trifft ja durchaus zu. Auch wenn man ihre Folgerung, dass viele Deutsche Israel reflexartig unterstützen, aus Angst, dass Kritik mit Antisemitismus verwechselt werden könnte, so nicht stehen lassen kann, angesichts ansteigender antisemitischer Vorfälle hierzulande.

Umso wichtiger wäre es, über diesen Graben hinweg – zwischen Deutschland und dem, was Butler etwas großspurig „die internationale Gemeinschaft“ nennt – weiterhin das Gespräch zu suchen. Offene Briefe und engstirnige Boykotte wollen aber das genaue Gegenteil.