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Konrad Junghänel von Cantus Cölln„Wir hören auf, weil wir noch so gut sind“

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Konrad Junghänel (rechts) und seine Frau Johanna Koslowski

Köln – Herr Junghänel, beim bevorstehenden Kölner „Felix!“-Festival gibt Cantus Cölln, von Ihnen vor 35 Jahren gegründet und seitdem geleitet, sein letztes Konzert – Sie hören auf. Warum, Sie sind doch auf der Höhe Ihrer Leistungsfähigkeit und überdies gut im Geschäft? Konrad Junghänel: Sie sagen es: Wir hören auf, weil wir noch so gut sind. 35 Jahre sind genug, und wir – meine Frau und ich – als Gründer haben auch das Gefühl, in der Alten Musik die beste Zeit miterlebt zu haben, mit Aufbruch und Höhepunkt. Es war wirklich eine Boom-Zeit.

Ist es doch immer noch...

Junghänel: Aber sehen Sie mal: Als wir anfingen, ging das mit der CD so richtig los – wir konnten alles noch mal machen, es gab unendlich viele Möglichkeiten. Dafür sind wir sehr dankbar. Ich werde nächstes Jahr 70, da kann man dann ja auch mal ein bisschen kürzer treten.

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Johanna Koslowsky: Heute gibt es ja viele Vokalensembles, die sich auch unserem Repertoire, der Alten Musik, widmen. Aber damals hatten wir das große Glück, dass wir angefangen haben mit vokaler Ensemblemusik hier in Deutschland. Wir hatten bei Cantus Cölln übrigens bemerkenswert wenige Besetzungswechsel. Ich selbst habe vor elf Jahren aufgehört und eine Nachfolgerin bekommen, aber sonst? Vielleicht zwei Wechsel pro Stimme. Wir sind ja untereinander auch freundschaftlich verbunden, und das alles hat sicher die Klanghomogenität befördert, für die wir ja auch immer wieder gelobt werden.

Ich trage mich mit dem Auflösungsplan schon seit drei Jahren

Es gibt keinen aktuellen Anlass für das Aus?

Junghänel: Nein, physisch bin ich voll auf der Höhe – ich habe jetzt im Mai noch mal sieben Mozart-Opern innerhalb von zwei Wochen dirigiert. Ich trage mich übrigens mit dem Auflösungsplan schon seit drei Jahren; die Pandemie war nicht entscheidend, hat den Prozess aber sicherlich befördert.

Was sagen denn die Ensemblemitglieder zu Ihrem Entschluss?

Junghänel: Die sind schon traurig, haben ihn aber akzeptiert.

Wie kam es eigentlich genau 1987 zur Gründung?

Koslowsky: Ich selbst bin im Chor von Hermann Max groß geworden, der hier in der Region zusammen mit Peter Neumann die Alte Musik im Vokalbereich eigentlich erst groß gemacht hat. Ich habe Konrad an der Hochschule kennen gelernt und ihm mal vorgesungen, weil er ein Ensembleprojekt gemacht hat. Wir waren dann auch privat liiert. Konrad kam als Lautenist von der instrumentalen Seite her, ich von der vokalen, hatte da auch viele Kontakte in Deutschland. Beide kannten wir den Tenor Gerd Türk, und so entstand die Idee, ein neuartiges Ensemble zu gründen.

Was genau war an Cantus Cölln „neuartig“?

Junghänel: Wir wollten dezidiert kein „Chor“ sein, sondern ein solistisches Vokalensemble, und die Musik singen, die für solche Ensembles bestimmt war. Klar, bei Bach kommt man an den Punkt, wo man sagen muss: Da ist vieles möglich – und das ist auch gut so.

Das gemeinsame Atmen und Phrasieren muss zur zweiten Natur werden

Und sie mussten ein spezifisches Klangprofil entwickeln.

Junghänel: Ja, da haben wir lange dran gearbeitet – ohne die Perspektive: Morgen ist Konzert. In einem solchen Ensemble – grundständig fünf Sänger, die je nach dem, etwa für die h-Moll-Messe, auf zehn aufgestockt werden können – muss unbedingt jeder auf jeden hören; das Solistische muss eingeschmolzen werden. Das gemeinsame Atmen und Phrasieren – es muss zur zweiten Natur werden. Wenn das gelingt, beglückt es.

Aber Sie hatten es ja stets mit Gesangsprofis zu tun, „normale“ Chorpädagogik brauchten Sie nicht.

Koslowsky: Das stimmt, aber Konrad musste da schon noch was tun. Am Anfang hat er immer wieder gesagt: Singt nicht alle so laut! Wir waren es eben nicht gewohnt, in einem solistischen Ensemble zu singen. Das hat er uns wirklich beigebracht. Ansonsten hat er uns nicht reingeredet in unsere Technik, hat uns mit unseren Stärken und Schwächen so gelassen, wie wir waren, so dass niemand Angst haben musste. Deshalb war auch die Atmosphäre immer sehr gut.

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Wie kamen Sie, Herr Junghänel, eigentlich von Ihrer Profession als Lautenvirtuose zum Gesang?

Junghänel: Ich hatte immer wieder herausragende Sänger – René Jacobs und andere – auf der Laute begleitet und von daher eine starke Affinität zu dieser Sphäre, konnte in der Zusammenarbeit auch viel über Gesang lernen. Hinzu kam die Blüte der Barockoper seit den 70er Jahren – 1976 hatte ich, als Lautenist, die erste Opernproduktion mit Nikolaus Harnoncourt. Zum Gesang war es dann kein großer Sprung mehr.

Und das heikle Problem der Intonation – mitteltönig, gleichschwebend oder sonst was – kannten Sie von der Laute her.

Junghänel: Das stimmt. Aber damit waren auch die Sänger und Sängerinnen, weil sie ja in der Alten Musik tätig waren, vertraut.

Welche Agenda stand Ihnen vor Augen?

Junghänel: Unsere Überlegung war die: Im Vokalen ist man durch die Sprache limitiert. Briten können vielleicht noch Deutsch singen, aber bei Franzosen und Italienern wird es schwierig. Und das gilt auch umgekehrt: Als deutsches Ensemble waren wir eindeutig auf die deutschsprachige Musik verwiesen. Da bot es sich an, nachzuschauen, was es im deutschen Repertoire der Barockzeit noch an ungehobenen Schätzen gibt. Und da stießen wir dann auf die Leipziger Thomaskantoren vor Bach, aber auch auf Schein, Weckmann und Johann Rosenmüller, den wir tatsächlich mehr oder weniger erschlossen haben.

Mit Laufenberg habe ich Mozart rauf und runter gemacht

Ihre Karriere hat zweimal einen Shift bekommen: vom Lautenisten zum Ensembleleiter zum Operndirigenten. Wie kam’s?

Junghänel: Ich hatte ja bei Opernaufführungen mitgewirkt, und während dieser Arbeit den Opernregisseur Herbert Wernicke kennen gelernt. Der wollte mit mir dann in Basel eine szenische Schütz-Aufführung machen. Das war ein großer Erfolg, und wir sind mit Händel fortgefahren. Später kam Mozart dazu – mit Uwe Eric Laufenberg in Potsdam, danach auch, wie Sie wissen, in Köln. In Wiesbaden habe ich mit ihm Mozart rauf und runter gemacht.

Fürs Operndirigat haben Sie sich aber fortgebildet, oder?

Junghänel: Ja, da habe ich auch noch Unterricht genommen. Die besondere Herausforderung war die Zusammenarbeit mit einem Sinfonieorchester wie dem Gürzenich-Orchester, das ja für die historische Aufführungspraxis gecoacht werden musste. Barockorchester spielen von alleine, während die modernen schon gezeigt bekommen wollen, was zu tun ist.

Konrad Junghänel, 1953 in Gütersloh geboren, studierte an der Kölner Musikhochschule Laute, mit der er zunächst auch eine Solistenkarriere einschlug. 1994 wurde er Professor für Laute in Köln.

1987 gründete er mit seiner Ehefrau, der Sopranistin Johanna Koslowsky, das Vokalensemble Cantus Cölln, mit dem er mehr als 30 CDs einspielte. Dem Kölner Opernpublikum ist Junghänel aus der Zeit der Intendanz von Uwe Eric Laufenberg als Mozart-Dirigent geläufig.

Am Donnerstag, 18. August, 20 Uhr, gibt Cantus Cölln unter Junghänels Leitung in der Kölner Philharmonie im Rahmen des „Felix!“-Festivals für Originalklangmusik sein letztes Konzert. Auf dem Programm stehen sämtliche Motetten von Johann Sebastian Bach. (MaS) 

Wie sieht’s bei Ihnen mit der romantischen Oper aus?

Junghänel: Wenn mich jemand fragen würde, würde ich es mir vielleicht ernsthaft überlegen. Aber ich habe von mir aus keinen Ehrgeiz, Wagner zu dirigieren. Das gilt übrigens auch für das Repertoire von Cantus Cölln: Warum sollen wir Brahms singen, wo es inzwischen viele Ensembles gibt, die das genauso gut machen wie wir?

Cantus Cölln unter Ihrer Leitung führt jetzt beim Felix-Festival in der Kölner Philharmonie sämtliche Bach-Motetten auf. Das darf man einen würdigen Karriereschlusspunkt nennen.

Junghänel: Ja, das musste so sein. Es mag wenig originell sein, aber wir wollen das auch gar nicht sein. Bach spricht für sich, diese Musik entwickelt sich zu einem unermesslichen Rausch. Den wollen wir selbst noch einmal erleben – und das Publikum erleben lassen.

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