„Ring”-Regisseur Valentin Schwarz„Das erinnert an Netflix-Serien”

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Valentin Schwarz

Valentin Schwarz

Herr Schwarz, der bevorstehende Ring ist Ihr erste Wagner-Inszenierung überhaupt. Und dann gleich in Bayreuth – wie fühlt man sich da?

Valentin Schwarz: Na toll fühlt man sich! Es ist eine Herausforderung – logo. Es ist aber auch ein Geschenk, hier zu arbeiten. Hier herrscht das geballte Wissen über Wagner. Nicht nur jeder Orchestermusiker und jeder Sänger kennt sich aus, auch jeder Inspizient und jeder Bühnenarbeiter. Ein wichtiger Teil davon zu sein, das ist ein einziges Glück. Durch diese extreme Wissenslage operiert man auf einem sehr hohen Niveau, auch wenn man vielleicht andere Ansätze oder Sichtweisen verfolgt.

Wie haben Sie sich denn Wagners Ring angenähert? Bei Castorf waren es zwar vier verschiedene Teile, aber doch ein Welterklärungsstück, eins über den Verlust der Utopie. Gibt es bei Ihnen einen Gegenentwurf?

Ja, ganz sicher. Natürlich ist der „Ring“ ein Sammelsurium an Themen und auch als Weltentwurf angelegt und gewollt. Auf der anderen Seite ist es doch erstaunlich, mit wie wenig Personal Wagner dafür auskommt. Wir begegnen immer wieder denselben Personen, die uns begleiten und von den Geschehnissen erzählen. Das Volk spielt ja – erst mit den Mannen – nur eine geringe Rolle. Für mich ist das ein Familienepos, in dem die Figuren über die Generationen hinweg begleitet werden. Eigentlich ist das den großen Romanen des 19. Jahrhunderts, wie Tolstoi, näher als einer Oper. In Bayreuth hat man die Chance, eine „Story“ von Beginn an innerhalb einer Woche komplett zu erleben und auch zu durchleben. Von daher entstand der Vergleich mit den Netflix-Serien. Es ist das Episodenhafte bei der Begleitung der Figuren, das an solche Serien erinnert.

Zur Person

Die Überraschung war groß, als Katharina Wagner Ihr Team für den neuen Ring präsentierte: Den jungen Regisseur Valentin Schwarz (33) und den Dirigenten Pietrai Inkinen hatten selbst Insider nicht auf der Agenda. Nur der legendäre Seiteneinsteiger für den „Jahrhundertring“ 1976 war noch ein wenig jünger als Schwarz.

Jetzt kommt die Nachfolge-Inszenierung, die auf Frank Castorfs Ring folgt, wegen Corona mit Verspätung auf die Bühne. Inkinen, der erkrankt ist, wird von Kornelius Meister vertreten. Schwarz stammt aus Österreich, im April hatte er an der Kölner Oper jüngst York Höllers „Der Meister und Margarita“ inszeniert.

Ihre Sicht auf das Individuelle, Private wäre schon ein Gegenentwurf. Haben Sie Verständnis für die grundsätzlich andere Blickrichtung?

Natürlich spiegeln die Individuen auch die Gesellschaft. Wir bewegen uns ja nicht im luftleeren Raum und gucken auf irgendwelche Leute. Diejenigen, die uns da entgegentreten sind natürlich auch unsere Spiegelbilder. Die mögliche Deutungsvielfalt ist doch genial. Man hat sich in 150 Jahren nicht auf eine Sicht geeinigt. Ich glaube nicht an endgültige Deutungen. Zumal ja auch eine Ring-Inszenierung, wie die jedes anderen Werks, eine Momentaufnahme ist.

Wie haben Sie sich eigentlich dem „Ring“ genähert?

Es gibt ein Foto von mir, wie ich mit neun Jahren über dem Klavierauszug von Rheingold sitze, die Solti-Einspielung vor mir. Meine Eltern sind Musiker und haben mich ganz selbstverständlich mitgenommen. In den Holländer zum Beispiel – das ist ja Überwältigungstheater. Aber ganz im Ernst: Es ist ein erworbenes und erlerntes Vergnügen. Man muss auch als Kind einfach damit konfrontiert werden, daraus kann dann Begeisterung werden. Ich glaube, das gilt auch für die großen Brocken, man sollte da nicht zu vorsichtig sein. Die Kinder, die bei uns mitspielen, haben jedenfalls Spaß daran. Die familienpsychologische Perspektive hat reiche Anknüpfungspunkte. Ich hoffe, dass es mit gelingt, Empathie für und mit den Figuren herzustellen. Selbst Hagen oder Alberich sind ja nicht nur Bösewichter. Wagner ist ja gerade deshalb so modern, weil er jede Figur eben nicht nur schwarz oder weiß gezeichnet hat. Er hat jede seiner Figuren mit musikalischem Reichtum und Empathie ausgestattet.

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Der Chef des Götterclans als der menschlichste?

Wotan ist einer, der von Anfang an verspielt hat. Der baut, hat kein Geld und verkauft dann seine Schwägerin. Eigentlich ein Verlierer, der trotzdem auch wieder sympathisch ist. Oder auch Fricka – die ist ja alles andere als die hysterische Ehefrau. Sie hat Gründe, warum sie ihn attackiert. Die Wahrheit hat hier niemand gepachtet.

In Wien hat Tatjana Gürbaca einen Dreiteiler aus dem Ring gemacht und sich bewusst auf Hagen, Siegfried und Brünnhilde konzentriert…

Dürfen darf man natürlich. Aber ich denke, man scheitert, wenn man versucht, zu sehr einen Fokus zu erzwingen. Ich würde mich da zu eingeschränkt fühlen. Auch Gutrune oder die zweite Norn sind zum Beispiel musikalisch oft reich bedacht. Man würde da schnell eine Figur aus dem Blick verlieren, die auch interessant ist. Es geht um Werkintegrität und Perspektive. Das ist so ähnlich wie ein Blick in den Sternenhimmel. Einige Sterne sind besonders hell, doch mit besseren Fernrohren sieht man noch weiter in die Tiefe. Und in die Vergangenheit. Ich glaube, der Blick in die Vergangenheit im Ring, akzentuiert durch die retrospektiven Erzählungen, das ist der Mythos. Nicht Drachen, Tarnkappe oder Wunderschwert. Die wesentlichen Teile gehören dadurch zusammen, dass sie uns in immer neuen Schilderungen nahegebracht werden. Dazu kommt, dass das Aussprechen von Dingen, das sich selbst etwas eingestehen, therapeutisch der erste Schritt zur Lösung ist. Dieses Bewusstsein will ich beim Zuschauer schärfen.

Das ist was anderes, als die gängige Kapitalismuskritik.

Die ist schon auch drin. Ich sage nur, die Bilder müssen selbst die Kraft besitzen, das was dahinter steht, mit zu transportieren. Nothung zum Beispiel steht ja für etwas. Einmal für Emanzipation und Erwachsenwerden, dann für Zerstörung, in der Götterdämmerung sogar für eheliche Treue. Auch der Ring selbst – abgesehen von einer Szene in Nibelheim wird er ja gar nicht als Machtmittel eingesetzt. Er ist eigentlich Symbol und Projektion für Wünsche.

Wie haben Sie ihr Konzept erarbeitet? In vier Wochen geht das ja wohl nicht.

Der Gesamtentwurf braucht Zeit – es ist ja doch eine Welt, ein Geflecht auch von szenischen Leitmotiven. Man muss da sehr viele Parameter in Betracht ziehen. Mit einer Haltung nach dem Motto „Mal sehen was passiert“ würde man untergehen. So was soll es ja auch schon gegeben haben. Die Sänger auf der Bühne allein zu lassen, finde ich unverantwortlich. Wir können uns ja Vieles überlegen, aber die Sänger stehen auf der Bühne und müssen sich in jeder Vorstellung exponieren. Das ist schützenswert und man hat eine Sorgfaltspflicht. Man muss ein Vertrauensverhältnis aufbauen mit einem Setting, in dem sich die Sänger wohlfühlen! So etwas funktioniert nicht mit Druck, Angst oder mit Machtspielchen. Wenn es Kontroversen gibt, dann immer nur der Sache wegen. Wer das nicht internalisiert hat, hat verloren. Und hat hier, ehrlich gesagt, auch nichts verloren!

Sie sind ja einer der jüngsten Regisseure hier auf dem Grünen Hügel – haben Sie ein Alters- oder genauer ein Jugendproblem, wenn Sie Ansagen machen?

Gelassenheit behalten, das ist eine Aufgabe für einen selbst. Man muss auch immer bewusst den Teamgedanken aufgreifen, cool bleiben und sich zwischendurch auch entspannen. Was die älteren Kollegen betrifft, da ist es hier so, dass die die entspanntesten sind, weil sie genau wissen, was funktioniert und was nicht. Die haben einfach eine größere Erfahrung und Selbstsicherheit als die jüngeren, die – gerade, wenn sie Debütanten sind - auch mal nervös werden können. Insgesamt gefällt es den Sängern, dass ich dicht an den Figuren arbeite! Es sind ja körperliche Höchstleistungen, die da an einem Abend vollbracht werden. Ich könnte es nicht und habe höchsten Respekt davor.

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