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Konzert im Kölner PalladiumIst Morrissey noch zu helfen?

Lesezeit 4 Minuten
Morrissey am Montagabend im Palladium

Morrissey am Montagabend im Palladium

  • Morrissey hat im Palladium am Montagabend das einzige Deutschland-Konzert seiner kleinen Europa-Tournee gegeben.
  • Der Ex-The-Smiths-Sänger gab sich in Köln charmant, thematisiert aber auch seine Werbung für eine rechte Partei, die ihn viele Fans gekostet hat.
  • Unsere Konzertkritik.

Köln – Ohne Lesebrille geht es schon lange nicht mehr, aber jetzt versagt auch der Blick in die Ferne: Zu gerne wüsste ich, was auf dem weißen T-Shirt steht, das der Held meiner Jugend auf der Bühne des Palladiums trägt. Neckisch öffnet und schließt Morrissey sein Jackett, die Buchstaben tanzen vor meinen Augen. Ich muss näher ran.

Ist es nicht egal, was dort zu lesen wäre? Kann man nicht einfach das Konzert genießen, das doch so charmant begonnen hatte? Morrissey sang A cappella „Wooden Heart“, Elvis Presleys Version des deutschen Soldatenliedes „Muss I denn“, vielleicht anlässlich des einzigen Deutschlandtermins seiner kurzen und durch das Coronavirus noch weiter abgekürzten Europatournee.

Liebenswerter Holzkopf

Jedenfalls ersetzte er, der alte Querulant, das „Heart“ durch „Head“, und beschenkte seine Fans darauf mit der Schüchternheitshymne „How Soon Is Now?“ seiner alten Band The Smiths, den Beatles der Generation Golf. „Ich bin menschlich und ich brauche Liebe/ Genauso wie jeder andere“, schmachtet Morrissey im altvertrauten Roy-Orbison-Bariton und schüttelt dazu Rumbakugeln, ein liebenswerter Holzkopf. Über der Band werden Bilder seiner Idole projiziert, Marilyn Monroe, Oscar Wilde und immer wieder die berühmte Fotografie des tanzenden Autors James Baldwin, schwul und schwarz und fabelhaft.

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Trotzdem: das T-Shirt. Spätestens, allerspätestens seit Morrissey vergangenes Jahr bei einem Auftritt in Jimmy Fallons Late-Night-Show einen Pin des „For Britain Movement“ getragen hat, möchte man genau wissen, von welchen Allianzen seine Kleidung kündet. „For Britain“ ist eine rechtsradikale, islamophobe Splitterpartei, die sogar der Rechtspopulist Nigel Farage als Sammelbecken von „Nazis und Rassisten“ bezeichnet hat. Nun hat Morrissey Zeit seiner Karriere mit rechten Symbolen gespielt und zugleich linke Aussagen gemacht. Ein politischer Wirrkopf, oder vielmehr ein apolitischer Totalverweigerer, ein Rebell ohne Grund. Aber der „For Britain“-Anstecker ging entschieden zu weit.

Doch an diesem Kölner Abend macht es Morrissey seinen Noch-Fans reichlich schwer, ihn für seine bigotten Ausfälle zu hassen. Er signiert eine Schallplatte, wirft T-Shirts in die Menge, macht Witze über sein Alter, covert Songs starker Frauen — Chrissie Hyndes „Back in the Chain Gang“, Melanies „Some Say (I Got Devil)“, Laura Nyros „Wedding Bell Blues“ — und singt zur Zugabe The Smiths’ „Half a Person“, was er zuletzt vor 20 Jahren getan hatte.

Aber es stehen auch zahlreiche neue und neuere Stücke auf der Setliste, und man kann nicht umhin, aus deren Texten die zunehmende Verengung seiner Gedanken- und Gefühlswelt herauszulesen. Die Pose des ewig Ungeliebten ist längst eben dies, eine Pose, beliebig abrufbar. Und wo einst jugendliche Wut und Widerspenstigkeit walteten, und manche Fragwürdigkeit entschuldigten, trifft man heute auf kaum verklausulierte Slogans, wie man sie eher auf Wutbürgerdemos vermuten würde: Die Politparabel „Jacky’s Only Happy When She’s Up on the Stage“ beendet Morrissey mit endlosen „Exit, Brexit“-Rufen, In „World Peace Is None of Your Business“ reimt er „Ukraine“ schmerzvoll auf „So many people in pain“, um dann zur Wahlverweigerung aufzurufen.

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Endlich bin ich nah genug, die Aufschrift auf dem T-Shirt zu entziffern: „I’m not far right, I’m not far left, I’m far foward“ steht da zu lesen. Also ab durch die Mitte, alles nicht so schlimm? „Ich verachte Rassismus, ich verachte Faschismus und ich würde alles für meine muslimischen Freunde tun“, hat Morrissey auch auf seiner Internetseite geschrieben. Im selben Post, in dem er sich noch einmal ausdrücklich zu „For Britain“ als letzter Hoffnung bekennt, der Partei, die Holocaustleugner zu ihren Konferenzen lädt.

Die letzte Provokation

Wenn der Sänger hier die Mitte verortet, ist ihm nicht mehr zu helfen. Oder hält er das für den letzten Schrei der Provokation? Schließlich hatten sich auch Punks in den 70er Jahren Hakenkreuze auf die Lederjacke gesprüht. Die Tragödie des Alters, hat Morrisseys Idol Oscar Wilde gesagt, besteht nicht darin, dass man alt, sondern darin, dass man jung ist. Ja, schade. Aber wer sein jugendliches Aufbegehren unbegrenzt auslebt, weckt Monster. Oder, um es mit dem dritten The-Smiths-Song zu sagen, der an diesem Abend in Köln gespielt wird: „That Joke Isn’t Funny Anymore“.

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