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Kraftwerk in DüsseldorfDas haben sie in 55 Jahren Bandgeschichte noch nie gemacht

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Ralf Hütter von Kraftwerk live bei einem Konzert ihrer Multimedia Tour in der Mitsubishi Electric Halle.

Ralf Hütter von Kraftwerk live bei einem Konzert ihrer Multimedia Tour in der Mitsubishi Electric Halle. Duesseldorf, 14.12.2025 

Die Elektropop-Pioniere kehren für zwei Konzerte in ihre Düsseldorfer Heimat zurück – und erzählen von ewiger Freundschaft.

Zwischen Menschmaschinen und menschenleeren Metropolen, ein menschlicher Moment: „1981, bei unserem ersten Konzert in Tokio“, erzählt Ralf Hütter in der gepressten Ausdrucksweise des Öffentlichkeitsscheuen, „traf ich Ryūichi Sakamoto.“ Auf der LED-Wand erscheint ein Schwarz-Weiß-Bild der beiden noch jungen Elektronikpioniere. Sakamoto lächelt, der Deutsche nestelt verlegen mit dem Zeigefinger am Ohr, ihre Blicke treffen sich. „Seitdem sind wir Freunde für immer“, stellt Hütter mit lakonischem Pathos fest. Er benutzt das Präsens, obwohl Sakamoto bereits im März 2023 seinen Krebsleiden erlag. Freundschaft hält länger als das Leben. Das Publikum in der Oberbilker Mitsubishi Electric Halle bejubelt diesen für ein Kraftwerk-Konzert höchst ungewöhnlichen Emotionsausbruch.

Hütter, der sonst so gut wie nie auf der Bühne spricht, erzählt noch ein wenig mehr. Dass Sakamoto 2012, beim von ihm initiierten No-Nukes-Festival, japanische Worte für den Kraftwerk-Song „Radioaktivität“ geschrieben habe. Und dass man nun gemeinsam seine Komposition „Mr. Lawrence“ spielen werde.

Plötzlich erklingt eine Melodie von scheuer Schönheit

Daraufhin erklingt aus den nebeneinander gereihten Pulten der vier älteren Herren in gerasterten Anzügen, die in diesen späten Tagen als Kraftwerk auftreten, eine Melodie von scheuer Schönheit. Man denkt an den Wind, der in Studio-Ghibli-Filmen ganz sachte die grünen Zweige der Bäume anhebt, doch das Stück stammt aus Sakamotos Soundtrack zu Nagisa Ōshimas Drama „Merry Christmas, Mr. Lawrence“ von 1983. Der japanische Musiker spielt darin eine Hauptrolle, den Kommandanten eines japanischen Gefangenenlagers im Zweiten Weltkrieg, der sich in einen von David Bowie verkörperten britischen Soldaten verliebt.

Das Klavierstück dauert kaum zwei Minuten, das erste von zwei aufeinanderfolgenden Konzerten in der Düsseldorfer Heimat der selbsterklärten Roboter dagegen zweieinviertel Stunden. Warum wir uns dann so lange damit aufhalten? Weil es sich um ein Debüt handelt: Die erste Coverversion in der 55-jährigen Geschichte der elektronischen Gründerväter, die sich schon seit Jahrzehnten vornehmlich mit der Feinjustierung des vorhandenen Materials beschäftigen.

ARCHIV - 04.07.2005, Schweiz, Montreux: Die deutsche Band «Kraftwerk» tritt auf der Bühne der Miles Davis Hall während des 39. Montreux Jazz Festivals auf.

Ältere Herren hinter nebeneinander gereihten Pulten.

Anno 2025 überraschen – obwohl das eigentlich ein zu starkes Wort ist – Kraftwerk mit einem Wechsel im Line-up, mit dem selten gehörten, auf keinem Album vertretenen Stück „Tango“ und mit der Abkehr vom 3D-Konzept: Es werden keine Pappbrillen mehr ausgegeben, die Immersion erfolgt per Ultra HD. Die alten Einspielfilme und naiven Spacelab-Animationen verlieren in der hohen Auflösung, aber je abstrakter die Bildgebung ist, desto spektakulärer fällt das Ergebnis aus. Das Werk hat sich mehr oder weniger fest in einer zeitlosen Nische eingerichtet, die kühnen Zukunftsträume, die Kraftwerk mit Synthesizern, Vocodern und elektronischen Drum-Kits heraufbeschworen, hatten Ralf Hütter und der 2020 gestorbene Florian Schneider aus längst von geschichtlichen Katastrophen überholten Vorkriegsvisionen neu zusammengebastelt.

Das öffentliche Andenken an Ryūichi Sakamoto mag auch die private Trauerarbeit nach dem Tod des entfremdeten Mitstreiters sublimieren. Zusammen hatten Schneider und Hütter immerhin die elektronische Popmusik erfunden, den Sound von morgen aus gestrigen und vorgestrigen Versatzstücken, aus deutscher Romantik und russischem Konstruktivismus, aus Karel Čapeks Robotern und Henry Fords Fließbändern, aus Robert Otzens Autobahn-Konzept und Franz Kruckenbergs propellergetriebenem Schienenzeppelin. Das hätte unsere Zukunft sein können, raunen Kraftwerks retro-futuristische Lieder: Eine friedliche Welt gut geölter Effizienz, getragen von hoffnungsfrohen Dur-Akkorden.

Rhythmisch schnaufend holpert der Trans Europa Express voran, rattert von links nach rechts über die extrabreite LED-Wand, Hütters Orgel imitiert den Dopplereffekt, der Kontinent rast vorüber, vom Rendezvous auf den Champs-Élysées ins Wien Nacht-Café, bis in die Düsseldorfer City reicht die „Direktverbindung, TEE“, wo man sich mit Iggy Pop und David Bowie trifft (Pop wird sich später in einem Interview daran erinnern, dass er mit Hütter auf dem Markt Spargel eingekauft hat). Heute regieren wieder Passkontrollen und Zollschranken und schon die Bahnfahrt von Oberbilk zum Kölner Hauptbahnhof straft Kraftwerks grenzenlosen Optimismus Lügen.

Dass es anders sein kann, dass es einmal eine Zukunft ohne Hitlers Hass und Oppenheimers Bombe gegeben hat, muss Hütter und Sakamoto, als Söhne der Achsenmächte, eng miteinander verbunden haben. Der Japaner versuchte damals mit seinem Yellow Magic Orchester, die Schwere der Düsseldorfer Vorbilder mit etwas mehr beschwingtem Fun zu heben. Heute revanchiert sich der deutsche Freund mit einer zweiten Geste: Hatten Kraftwerk früher ihre Roboter-Avatare zur Zugabe auf die Bühne geschickt, erscheinen die vier Männer heute noch einmal selbst und der knarzende Refrain „Wir sind die Roboter“ enthüllt sich als die Schutzbehauptung, die er immer war. Merry Christmas, ihr allzu menschliche Maschinen!