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„Krieg und Frieden“ im Schauspiel KölnKommt man Putin mit einer Stand-up-Nummer bei?

4 min

Calle Fuhr in „Krieg und Frieden“ im Schauspiel Köln

Calle Fuhr fragt im Depot 2 nach den Zusammenhängen zwischen Putin, Wehrpflicht und Rüstungskonzernen. Unsere Theaterkritik.

„Krieg und Frieden“ – für seinen außerplanmäßig in den Premierenreigen des Kölner Schauspiels eingeschobenen Abend über „Russland, die Ukraine und die Wehrpflicht“ hat sich Hausregisseur Calle Fuhr bei Tolstoi bedient. Der russische Meister wollte seinen Großroman ursprünglich „Krieg und Gesellschaft“ nennen. Ein Titel, der auch den Bühnenessay im Depot 2 genauer beschreiben würde. Denn, so zitiert Fuhr Friedrich Merz: „Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht im Frieden.“

Ein hybrider, sowohl in der Politik als auch in der breiten Bevölkerung ungeklärter Zustand, über den man sich nicht ausführlich genug informieren kann, über den man lange nachdenken und ausführlich debattieren sollte. Nur: ist das Theater dazu der richtige Ort? Und ein Stand-up-Monolog die richtige Form?

„Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht im Frieden.“
Friedrich Merz

Wie erhellend so ein journalistisch unterfüttertes Solo sein kann, hat Calle Fuhr zuletzt mit „Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“ bewiesen. Den brisanten Abend über den Milliardenpleitier spielt er im großen Saal regelmäßig vor ausverkauften Reihen. Dort stützt er sich auf Recherchen des österreichischen Investigativ-Medium Dossier, für „Krieg und Frieden“ hat Fuhr mit dem deutschen Medienunternehmen Correctiv zusammengearbeitet, dem Kooperationspartner des Schauspiels.

Mit großen Enthüllungen à la „Geheimplan gegen Deutschland“ kann Fuhr diesmal nicht aufwarten. Ja, es mag sogar sein, dass Zuschauende, die die entsprechenden Nachrichten halbwegs aufmerksam verfolgen, ein Großteil der hier präsentierten Fakten bekannt vorkommt.

„Als behütetes Kind des Bürgertums war ich schon immer ein friedensbewegter Mensch", sagt Calle Fuhr.

Er habe, sagt Fuhr, den Begriff „Russland“ in die Suchfunktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ eingegeben, allein die in diesem Jahr zum Stichwort erschienen Artikel hätten ausgedruckt rund 1000 Seiten ergeben. Das überfordert jede mögliche Aufmerksamkeitsspanne und ist im Theater selbstredend nicht darstellbar. Doch es ist gerade die zwangsläufige Verdichtung der Fakten, die Notwendigkeit, sie zu einer stringenten Erzählung zusammenzufügen, die diesen Abend um den „Russland-Ukraine-Aufrüstungs-Komplex“ so spannend macht.

Fuhr beginnt mit einem Dilemma, das derzeit wohl viele beschäftigt: „Als behütetes Kind des Bürgertums war ich schon immer ein friedensbewegter Mensch. Ich war schon als Kind auf Demos für atomare Abrüstung oder habe als Achtjähriger gegen den Einsatz deutscher Truppen im Irak protestiert.“

Heute sei er allerdings „der festen Überzeugung, dass es richtig ist, die Ukraine mit allen Mitteln, zu unterstützen“, bekomme aber gleichzeitig Bauchschmerzen, wenn er sich den Aktienkurs von Rheinmetall anschaue: Eine Aktie des Rüstungskonzerns aus Calle Fuhrs Heimatstadt Düsseldorf war vor Beginn des Krieges mit 90 Euro notiert, heute ist sie 1760 Euro wert, dementsprechend hat Rheinmetall als wahrer Kriegsgewinner die Preise seiner Panzer verdreifacht, schließlich gilt die Schuldenbremse nicht für den Verteidigungsetat. Einen weichgezeichneten Imagefilm – „Find your why“ – des Unternehmens hat der Hausregisseur mit Kollegen aus dem Ensemble im Stil von John Oliver oder Jan Böhmermann parodiert, viel breiter könnte die dargebotene Angriffsfläche freilich auch nicht sein.

Es folgt ein langer Exkurs über den Aufstieg des Mannes, der mehr oder weniger allein für die aktuelle Bedrohungslage verantwortlich ist, von Wladimir Putins bescheidenen Anfängen als KGB-Spion in Leipzig bis zu seinem Aufstieg zum unangefochtenen Autokraten. Weiß man alles – und wundert sich dann doch, wie sehr sich die Methoden des kleinen DDR-Agenten und des globalen Obertrolls gleichen. Und die Galerie der ermordeten regimekritischen Politiker, Anwälte, Unternehmer und Journalisten Russlands raubt einem den Atem.

Wie Putin Deutschland von Russland energieabhängig gemacht hat

Anschließend berichtet Fuhr, wie es Putin gelungen ist, Deutschland von Russland energieabhängig zu machen. Oder, besser gesagt, wie deutsche Politiker von Gerhard Schröder bis Sigmar Gabriel, von Angela Merkel bis Manuela Schwesig dem russischen Kalkül in schwer nachvollziehbarer Naivität zugespielt haben. Fuhr puzzelt eine Erzählung zusammen, in der sich der Bau der Nord-Stream-2-Pipeline, russische Paketbomben und andere Destabilisierung-Taktiken auf deutschem Staatsgebiet und der Ukrainekrieg zu einem sinnvollen Bild ergänzen. Ganz ohne Geraune und ergänzt um einen Online-Faktencheck.

Wir kaufen, über Umwege, noch immer große Teile unserer Energie bei Putin ein, die gezahlte Summe übersteigt die der deutschen Ukrainehilfen. Er verstehe ja, sagt Fuhr, dass wir jetzt hochrüsten. Aber eben nicht, warum nur an dieser Schraube gedreht wird. Und nicht auch an Energieunabhängigkeit, Cybersicherheit und Transparenzgesetzen gegen Korruption.

So nimmt Fuhr schließlich doch noch die Kurve zur zuvor eher vernachlässigten Wehrpflichtfrage: „Wie will man denn einem 18-Jährigen ins Gesicht sehen und erklären, er müsse in den Kriegsdienst – während die Waffen, die ihn bedrohen, mit unseren Gasrechnungen finanziert wurden?“ Da hat er, analog zum „Find your why“-Werbefilm von Rheinmetall, das „Warum“ des Abends gefunden.

Die „Theater und Journalismus“-Sparte des Schauspiels, verkündete Intendant Kay Voges im Vorfeld, wird nun auch von der Augstein-Stiftung gefördert – und von der EU, in einem Netzwerk aus sieben journalistisch arbeitenden europäischen Theatern. Gut so. Die kleine Aufklärung nimmt der hehren Kunst nichts weg. Wir brauchen mehr Fakten, mehr Korrekturen, mehr Verdichtung.