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Schauspiel KölnCalle Fuhr zeigt die News von morgen schon heute im Theater

6 min
16.09.2025 Köln. Schauspiel-Dramaturg Calle Fuhr lehnt an der Glaswand des Neven-DuMont-Hauses in Köln.

Der Autor, Regisseur und Schauspieler Calle Fuhr feiert am Freitag, 3. Oktober 2025, seine erste Premiere in Köln.

Wie Calle Fuhr, neuer Hausautor und Regisseur am Schauspiel Köln, brisanten Fakten eine Bühne bereitet.

Calle Fuhrs Theaterkarriere begann mit dem Wunsch, nach Amerika zu gehen. Die Eltern waren dagegen, der Junge war doch erst 15. Man fand einen Kompromiss: Fuhr durfte die Sommerferien bei einer befreundeten Familie in Salt Lake City verbringen. Zusammen mit deren Tochter besuchte er ein Theater-Camp. „Da waren um die 200 Kids in meinem Alter und 190 davon waren Mormonen aus Salt Lake City, und ich, als einziger Europäer, war die Attraktion“, erzählt der neue Hausautor und Regisseur des Kölner Schauspiels. „Mitten in der Pubertät, wo man in Selbstzweifeln versinkt, ist man auf einmal der spannendste Typ auf dem Campus. Das hat natürlich gutgetan.“

Zurück in Deutschland meldete sich Fuhr mit einem Freund im Jugendclub am Düsseldorfer Schauspielhaus an. „Wir haben uns 15 Stücke in anderthalb Monaten angeguckt. Da habe ich Feuer gefangen, bin dann auch noch ins Impro-Theater vom Jungen Schauspielhaus rein. Auf einmal war ich all-in.“ Nach dem Abitur bewarb sich Fuhr auf eine Regieassistenz in Düsseldorf: „Ich sagte einfach: Ich bin der Calle, ich habe einen Führerschein, Abitur und keine Ahnung, was ich machen muss, aber ganz große Lust.“ Er bekam drei Monate auf Probe – und fand heraus, dass ihn das Assistieren lag. „In der Schule war ich in keinem Fach spitze, aber überall okay. Das ist das Jobprofil für Regieassistenz. Du darfst nirgendwo eine komplette Niete sein.“

Der einzige Europäer unter lauter Mormonen aus Salt Lake City

Nach einem Jahr hatte er trotzdem das Gefühl, nicht genau zu wissen, was er tat. Er zog von zu Hause aus und nach Berlin, schrieb sich für Altgriechisch an der Humboldt-Universität ein, nur um zu merken, dass der akademische Massenbetrieb auch nichts für ihn war. Die Rettung brachte Dušan David Pařízek. Den tschechischen Regisseur hatte Fuhr in Düsseldorf kennengelernt. Pařízek bot ihm eine Assistentenstelle am Volkstheater Wien an, mit dem Versprechen, ihm Regie beizubringen, von der Beleuchtung bis zur Schauspielerführung.

Schließlich gab ihm Volkstheater-Intendantin Anna Badora seine erste Regie, „Philoktet“ von Heiner Müller, mit Stefanie Reinsperger, nicht gerade das einfachste Stück für einen 22-Jährigen, aber es lief gut. Fuhr zog zurück nach Berlin, wollte sich als freier Regisseur auszuprobieren. Das lief dann nicht so wie erhofft. Aufträge blieben aus oder waren nicht die richtigen, es reichte kaum für die Miete. „Das Schlimme am Scheitern ist ja gar nicht das Scheitern selbst“, resümiert Fuhr, „sondern der Moment, wo man anfängt, es zu realisieren, aber es sich noch nicht eingesteht. Das ist die Phase, die weh tut.“ Er kehrte nach Düsseldorf zurück, suchte sich einen Job in der Gastronomie und fing an zu schreiben.

Das Schlimme am Scheitern ist ja gar nicht das Scheitern selbst, sondern der Moment, wo man anfängt, es zu realisieren, aber es sich noch nicht eingesteht.
Calle Fuhr

Es war dann tatsächlich Kay Voges, der ihn ans Theater zurückholte. Man kannte und schätzte sich von einer Produktion am Berliner Ensemble. Jetzt sollte Voges Intendant am Wiener Volkstheater werden - und brauchte jemanden, der sich vor Ort auskannte. „Wien, das war eine super Zeit, für mich die lehrreichste Zeit überhaupt“, sagt Fuhr. Zuerst leitete er das Theater in den Bezirken, man wollte Geschichten aus der Stadt erzählen.

So kam der Journalismus ins Spiel, Fuhr arbeitete mit dem österreichischen Recherchenetzwerk „Dossier“ zusammen. „Ich habe gemerkt, wie geil es ist, auf einmal wirklich über die Gegenwart erzählen zu können. Davor hatte ich mir bei Klassikern ständig die Frage gestellt, wie man sie entstaubt. Ibsens 'Der Volksfeind' ist ein Superstück, aber es ist für eine andere Zeit geschrieben und es erklärt nicht Trump, egal wie sehr man sich bemüht, das auf die Gegenwart umzumünzen. Stattdessen können wir uns gleich diese Gegenwart nehmen und wirklich zeitgenössisch erzählen.“ Oder, wie im Fall von „Geheimplan gegen Deutschland – Ein Nachspiel“, des zweiten Stücks zur „Correctiv“-Recherche des Rechtsextremen-Treffens in Potsdam, die Gegenwart sogar mitformen. „Auf einmal haben wir die Nachrichten von morgen bei uns im Skript, wir gestalten den Diskurs produktiv mit.“

Calle Fuhr gestikuliert auf der Bühne.

Calle Fuhr in seinem Stück „Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“

Mit „Dossier“ entstand auch sein Stück „Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“. Ein brisantes Thema – und eine Faktenlage, die sich so schnell veränderte, dass Fuhr beschloss, auf Schauspieler zu verzichten und selbst die Bühne zu betreten. Der Immobilien-Hasardeur fasziniert ihn bis heute. „Streckenweise finde ich ihn brillant. Der ist ja kein reicher Erbe, der kam mehr oder weniger aus dem Nichts. Und hat lange ein solides Business betrieben. Aber irgendwann hat er die Tür in die Illegalität aufgemacht und ist durchgegangen. Ist ihm das einfach passiert oder hat er das geplant? Wie sitzt man den reichsten Deutschen gegenüber, wickelt sie um die Finger, obwohl man weiß, dass das eigene Geschäft vor allem Schall und Rauch ist? Das ist psychologisch mega-interessant.“

Aus dem Abend wurde ein Renner, plötzlich musste der Stand-up-Fan statt vor 40 Zuschauern in der „Dunkelkammer“ des Volkstheaters vor 600 im großen Haus spielen: „Da habe ich mir ordentlich in die Hose geschissen.“ In Köln wird Calle Fuhr jetzt erneut vor großem Publikum auftreten, am Freitag feiert die aktuellste Version von „Benko“ ihre Premiere im Depot 1. Es ist der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Premieren, die unter dem Motto „Theater und Journalismus“ laufen. Dass diese Verbindung Sinn macht, da ist sich Calle Fuhr ganz sicher. „Es gibt so viel angehäuftes Wissen, nicht nur im Journalismus, auch in der Wissenschaft. Und trotzdem geht nichts voran. Weil es nicht in die breite Masse sickert. Wie schaffen wir es, komplex über die Welt zu erzählen, ohne das populistisch, verkürzt oder skandalisierend zu tun?“

Das Theater, glaubt Fuhr, bietet dazu den idealen Raum. Man sitze hier ohne Ablenkungen, ohne Second Screen, ohne Hausarbeit, ohne Humorgebot. Aber werden auf diese Weise nicht Fakten mit Fiktion vermischt? „Das passiert eh permanent“, antwortet Fuhr, „nur bleibt es bei uns erkennbar. Wir führen Fakten und Fiktion zwar an einem Abend zusammen, aber wir halten sie strikt getrennt. Unsere Skripts werden von den beteiligten Journalisten gegengelesen, und der Faktencheck von Correctiv ist knallhart.“ Es sei eine gegenseitige Herausforderung, aus der am Ende eine neue Theatersprache entstehen könne. „Eine, die sich nicht auf Poesie konzentriert, sondern auf Fakten. In diesen Fakten dann wieder eine Poesie zu finden, das macht den Reiz aus.“

Aber produziert man so nicht zwangsläufig für eine Nische längst Überzeugter? „Ich glaube nicht an Reichweite“, sagt Fuhr. „Wenn ich Reichweite will, tanze ich mit einer Katze im Arm auf TikTok. Dann sind wir wieder beim Clickbait, dann scrollen wir wieder. Natürlich wollen wir möglichst viele Menschen erreichen, deswegen streamen wir ja auch im Internet. Aber schon, wenn ich bei Benko hoffentlich auch in Köln 500 Leute vor mir sitzen habe, die danach mehr über Immobilienwirtschaft verstehen und vor trockenen Wirtschaftsthemen nicht mehr zurückschrecken, ist viel mehr gewonnen, als wenn sich drei Millionen Leute mein kleines Benko-Video auf Insta angeguckt hätten.“


„Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“ feiert am 3. Oktober Premiere im Depot 1 des Schauspiel Köln. Weitere Termine: 12., 27. 10.; 8. 11., jeweils mit engl. Übertiteln