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IntendantenkarussellWarum Kölns Theater zurzeit in Wien stattfindet

Lesezeit 5 Minuten
Julia Riedler steht mit bloßem Oberkörper neben einem Kronleuchter im Nebel

Julia Riedler in "Fräulein Else" im Volkstheater Wien

Ausflug nach Wien: Wie schlägt sich Kölns Ex-Intendant Stefan Bachmann an der Burg, wie läuft der Endspurt des neuen Schauspiel-Chefs Kay Voges?

An der Volkstheaterfassade künden knallige Banner vom Abschied – „Böse war's“, „Banal war's“, „Divers war's“. Das Riesenplakat einer jungen Frau mit Cowboyhut verdeckt die Büsten des Wiener Dichter-Triumvirats Raimund, Grillparzer und Nestroy. „Showdown!“, steht da in gelben Lettern. Nach fünf Jahren am Arthur-Schnitzler-Platz 1 verlässt Intendant Kay Voges das Haus in Richtung Köln. Am 23. Mai wird er im Mülheimer Carlswerk sein erstes rheinisches Programm vorstellen.

Man kann es beinahe eine Rochade nennen. Stefan Bachmann, der das Schauspiel Köln elf Jahre lang geleitet hatte, wechselte zur Spielzeit 24/25 ans Wiener Burgtheater. Von dort aus war der Schweizer Regisseur 2013 nach Köln gekommen – genau wie ein paar Jahre zuvor seine Amtsvorgängerin Karin Beier. Es ist, als gäbe es ein unsichtbares Band zwischen den beiden, doch so unterschiedlichen Städten. So kann man an einem Abend im Akademietheater (den Kammerspielen des Burgtheaters) Bachmanns deutschsprachige Erstaufführung von Wajdi Mouawads neuem Stück „Die Wurzel aus Sein“ erleben, am darauffolgenden eine Vorstellung von Leonie Böhms Adaption von Schnitzlers Novelle „Fräulein Else“.

Von Martin Reinke bis Melanie Kretschmann – diese Ex-Kölner spielen in Wien

Erstere unter Beteiligung der ehemaligen Kölner Ensemblemitglieder Alexander Angeletta, Rebecca Lindauer, Melanie Kretschmann, der Ehefrau des neuen Burgtheater-Direktors, und Altstar Martin Reinke, der viele Jahre lang zwischen Köln und Wien pendelte, inzwischen aber exklusiv an der Burg zu sehen ist. Letztere als furioses Solo für Julia Riedler, in den beiden ersten Bachmann-Jahren eine der wichtigsten Protagonistinnen am Schauspiel Köln, die dann sehr plötzlich an die Münchener Kammerspiele wechselte.

An Riedlers überstürzten Abgang vor zehn Jahren fühlt man sich unweigerlich erinnert, wenn sie sich inmitten des Parketts erhebt, als Fräulein Else vorstellt und durch die Zuschauerreihen des Volkstheaters fegt, das Publikum in ihr unmoralisches Dilemma miteinbeziehend: Ihr hoch verschuldeter Vater hat sie als Bittstellerin zum Kunsthändler Dorsday geschickt. Der ist zwar willens, ihr 30.000 Gulden zur Verfügung zu stellen, verlangt im Gegenzug jedoch, sie eine Viertelstunde lang nackt betrachten zu dürfen. Den inneren Verzweiflungsmonolog der Bürgerstochter krempelt Julia Riedler zum lustvoll-lärmenden Stand-up-Vortrag um. Plötzlich erscheint die hundert Jahre alte Kritik an bürgerlicher Doppelmoral als zeitgemäßer MeToo-Einwurf: Warum müssen machtlose Frauen für die Taten mächtiger Männer büßen?

Julia Riedler schaukelt halbnackt am Kronleuchter

Zum Showdown schaukelt Riedler halbnackt am Kronleuchter, hat das Publikum auf eine Reise jenseits der Scham mitgenommen. Selbst den übergriffigen Dorsday ereilt in ihrer Fassung die späte Selbsterkenntnis. „Megatoxisch“ sei sein Verhalten gewesen, jetzt habe er „voll Bock auf Veränderung“.   Eine feministische Utopie, erschütternd, anmaßend, sagenhaft komisch. Ob man sich ein Kölner Gastspiel wünschen darf?

Anfangs hatte es Kay Voges in Wien alles andere als leicht. Erst waren die Türen des Volkstheaters ein Jahr lang wegen einer Generalsanierung geschlossen geblieben, dann folgten die Lockdowns der Pandemie. Manche Zuschauer fremdelten auch mit dem zeitgemäßeren, risikofreudigeren Programm des ehemaligen Dortmunder Intendanten. Doch die Rückschau fällt überwältigend positiv aus: Voges, da sind sich die Wiener Kritiker einig, habe ein jüngeres Publikum gewonnen und das überregionale Profil des Hauses geschärft. Das lag zuvörderst an Claudia Bauers Ernst-Jandl-Abend „humanistää!“, der die begehrte Einladung zum Berliner Theatertreffen erhielt – es war die erste fürs Volkstheater seit mehr als 50 Jahren.

Die beiden Schauspielerinnen turnen in bunten Kleidern auf einem gynäkologischen Stuhl.

Annika Meier, Lavinia Nowak in "Krankheit oder moderne Frauen" im Volkstheater Wien

Bauer widmete sich anschließend Ingeborg Bachmanns „Malina“ und zuletzt Elfriede Jelineks „Krankheit oder Moderne Frauen“, um ihre Trilogie eines neuen österreichischen Dichter-Triumvirats zu vervollständigen. Die böse Farce um zwei untergebutterte Ehefrauen, die zu lesbischen Vampirinnen umschulen und in Umkehrung der Verhältnisse ihre Gatten aussaugen, hatte ihre Uraufführung vor 35 Jahren an gleicher Stelle erlebt und einen Riesenskandal verursacht, infolgedessen ein aufgebrachter Zuschauer die damalige Volkstheater-Intendantin auf offener Straße zu würgen versuchte. In Claudia Bauers Interpretation wird das Skandalstück zum poppigen Singspiel, unter Beteiligung des Wiener Schmusechors und Verwendung eines alten Essays der Autorin, in dem sie gegen das Illusionstheater wettert, gipfelnd in dem Wunsch: „Ich möchte seicht sein!“

Bauers hochmusikalische Abende würde man selbstredend auch gerne in Köln sehen, vielleicht mit einer hiesigen Dichter-Trilogie (Keun, Böll, Brinkmann?). Um die österreichische Nobelpreisträgerin bemüht sich derweil auch Stefan Bachmann: An diesem Donnerstag lässt er Jelineks zwei Jahre älteres Stück „Burgtheater“, 1985 in Bonn uraufgeführt, zum ersten Mal am Burgtheater lesen, nachdem die Autorin die Aufführungsrechte 40 Jahre lang gesperrt hatte. Die Inszenierung des Textes besorgt zehn Tage später Milo Rau. Der Chef der Wiener Festwochen lebt übrigens in Köln – womit wir wieder beim unsichtbaren Band zwischen den beiden Städten wären.

Auch Bachmanns Bilanz fällt äußerst positiv aus. Nicht nur, weil er das hochherrschaftliche Direktorenzimmer mit direktem Blick auf Rathaus und Parlament zum allgemein zugänglichen „Balkonzimmer“ geöffnet hat und mit Nicholas Ofczarek, Stefanie Reinsperger und Joachim Meyerhoff drei der größten hiesigen Theaterstars zurück an die Burg gelockt hat. Sondern vor allem, weil sein Programm angenommen wird, vor allem einige Soli sind regelmäßig ausverkauft: Ofczareks „Holzfällen“ (nach Thomas Bernhard), Nils Strunks „Schachnovelle“ (nach Stefan Zweig), Reinspergers Sissi-Abend „Elisabeth!“ und auch Stefko Hanushevskys aus Köln übernommener „Der Große Diktator“.

Martin Reinke steht im weißen Anzug neben Alexander Angeletta im weit geöffneten, gemusterten Hemd.

Martin Reinke (l.) und Alexander Angeletta in "Die Wurzel aus Sein" im Akademietheater

Seine Wiener Inszenierung von Wajdi Mouawads „Verbrennungen“ brachte Bachmann vor knapp 20 Jahren den Nestroy-Preis ein, in Köln inszenierte er sehr erfolgreich dessen Nahost-Drama „Vögel“. In „Die Wurzel aus Sein“ imaginiert der libanesisch-kanadische Autor fünf völlig unterschiedliche Varianten eines Lebens, in schneller Abfolge, über dreieinhalb Stunden hinweg. Das könnte konfus sein, aber ist virtuos in Szene gesetzt und gespielt. So sitzt man im Akademietheater, vermisst ein wenig, was man in Köln einmal hatte – und freut sich auf das, was da kommt.