Antisemitismus-Vorwürfe gegen Schauspiel KölnWarum Stefan Bachmann ganz richtig handelt

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Vögel
von Wajdi Mouawad
 
Regie: Stefan Bachmann
Bühne und Kostüme: Jana Findeklee
Joki Tewes
Komposition und musikalische Einrichtung: Gajek
Licht: Michael Gööck
Dramaturgie: Lea Goebel
Sprachunterricht Hebräisch: Avraham Applestein
Alexander Schneider
Sprachunterricht Arabisch: Hans Peter Speicher
Sprachunterricht Englisch: Sabina Perry
 
Foto: Tommy Hetzel
 
Premiere am 20.09.2019 im Depot 1

Kontakt des Fotografen: hello@tommyhetzel.de

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Auf dem Bild sehen Sie:
Melanie Kretschmann, Bruno Cathomas und Margot Gödrös

Szene aus „Vögel“ am Schauspiel Köln

Nach Antisemitismus-Vorwürfen hat ein Münchner Theater das Erfolgsstück „Vögel“ abgesetzt. Nun zeigt Kölns Intendant Stefan Bachmann seine Inszenierung als Stream. Jüdische Verbände beschreiben das als „erschreckend“.

Im Herbst 2019 eröffnete Stefan Bachmann die Kölner Spielzeit mit Wajdi Mouawads „Vögel“. Das Stück verhandelt den Nahost-Konflikt als Liebes- und Generationendrama. Mit großem Erfolg, „Vögel“ wurde in den vergangenen drei Jahren an 22 deutschsprachigen Bühnen aufgeführt. Zuletzt am Münchner Metropoltheater.

Allerdings nur für wenige Vorstellungen: Nachdem der Verband jüdischer Studenten in Bayern und die Jüdische Studierendenunion Deutschland dem Stück in einem Offenen Brief Antisemitismus und Holocaust-Relativierung vorgeworfen hatten, entschloss sich das Theater, die Produktion abzusetzen.

Als Reaktion darauf hob nun der Kölner Intendant die Streamingversion seiner Inszenierung wieder auf den Spielplan, am kommenden Sonntag kann man sie ab 16 Uhr kostenlos abrufen. „Man sollte die Dinge erst einmal sehen, bevor man über sie urteilt“, so Bachmann gegenüber dieser Zeitung.

„Der Kölner Stream ist erschreckend“, heißt es nun in einem weiteren Offenen Brief, unterzeichnet von der Deutsch-Israelische Gesellschaft AG Köln und dem   Kölner Bündnis gegen Antisemitismus. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum sich Bachmann über die Berechtigung der Münchner Intervention hinwegsetze: „Wer sich über das Stück kundig machen möchte und die zugrundeliegenden Deutungsmuster nachvollziehen möchte, dem oder der steht es frei, sich die Publikation von „Vögel“ für gerade mal 12,40 Euro in jeder Buchhandlung zu beschaffen.“

Ich habe das Stück gelesen und die Kölner Inszenierung mehrmals gesehen. Die als antisemitisch inkriminierten Passagen haben die Beschwerdeführer nicht erfunden. Und wenn es im Kölner Brief von einer jüdischen Zuschauerin heißt, sie habe die jüdischen Charaktere im Stück durchaus als problematische Charaktere erlebt, mit denen eine Identifikation schwerfalle, kann man der unbekannten Theatergängerin nur zustimmen.

Widersinnig erscheint mir allein der Rückschluss, diese Aussagen gäben die Meinung des Autors oder des Publikums wieder. Wäre das so, würde die dramatische Kunst schlicht nicht existieren. Und dass ein Stück, in dem jüdische Protagonisten als „problematische Charaktere“ auftreten, automatisch antisemitisch ist, leuchtet ebenso wenig ein. Man findet in „Vögel“ überhaupt keine unproblematischen Charaktere. Wie in fast jeder anderen Tragödie.

Zuletzt: Warum 12,40 Euro für ein Buch ausgeben, wo man die Inszenierung doch bereits mit seinen Steuern bezahlt hat? Gucken Sie den Stream, machen Sie sich kundig, bleiben Sie offen: Gut möglich, dass jüdische Zuschauer das Stück ganz anders sehen als nicht-jüdische, dass an den Vorwürfen etwas dran ist. Aber die Aufführung zur Diskussion zu stellen, das ist nicht erschreckend, sondern geboten.

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