KunstfälschungenAlles Beltracchi, oder was?

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Dieses Frans Hals zugeschriebene Porträt steht im Zentrum eines aktuellen mutmaßlichen Fälschungsfalls. Wer es malte, ist unbekannt. Wolfgang Beltracchi war es wohl nicht.

Dieses Frans Hals zugeschriebene Porträt steht im Zentrum eines aktuellen mutmaßlichen Fälschungsfalls. Wer es malte, ist unbekannt. Wolfgang Beltracchi war es wohl nicht.

  • Die Geschichte der Kunstfälschungen ist lang und reich an schillernden Figuren.
  • Der Autor Hubertus Butin möchte wegkommen vom Starkult um angebliche Meisterfälscher. Er sucht den Fehler im System.
  • Butin zeigt an zahlreichen Beispielen, was falsch läuft am Kunstmarkt und was dieser tun könnte, um Fälschungen frühzeitig aus dem Verkehr zu ziehen.
  • Aber hilft das wirklich: Sind Fälschungen im Kunsthandel nicht einfach eingepreist?

Köln – Als die Hölle noch geöffnet hatte, gab es für Fälscher keinen sanften Ruhestand. Mit den Alchemisten teilten sie sich in Dantes Inferno den achten Höllenkreis und kratzten in alle Ewigkeit am Aussatz ihrer Untaten herum. Keine guten Aussichten, stellt Hubertus Butin in seinem Buch über die Kunstfälschung fest, nur um gleich darauf zu konstatieren, dass die Abschreckung heute noch weniger funktioniert als ehedem. Der Kunstbetrug floriert und überführte Betrüger köcheln nach verbüßter Gefängnishaft gemütlich in der Vorhölle von Talkshows vor sich hin; die schlimmste Strafe, die einem „Meisterfälscher“ wie Wolfgang Beltracchi droht, ist die Bewunderung von Dummköpfen.

Das sind keine guten Aussichten für die Kunst, findet Butin, der als langjähriger Mitarbeiter von Gerhard Richter offenbar reichlich eigene Erfahrung mit Kunstfälschern sammeln konnte und diese in seiner Abhandlung über „das betrügliche Objekt der Begierde“ um eine beeindruckende Fülle an Fallbeispielen ergänzt. Seine wichtigste Schlussfolgerung zielt darauf, die Fälscher aus dem Rampenlicht zu ziehen und statt dieser „Stars“ eines schmutzigen Geschäfts dessen Rahmenbedingungen unter die Lupe zu nehmen. Wenn die Fälschung der Fehler im Kunstsystem ist, so Butin, und von diesem nicht zu beheben ist, was stimmt dann nicht mit dem System?

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Als Modell für diesen Ansatz zitiert Butin recht unbekümmert Niklas Luhmanns Theorie der Sozialen Systeme. Es ist schon beinahe kurios, wie der Autor eine der einflussreichsten (und kompliziertesten) Gesellschaftstheorien der modernen Soziologie für seine Zwecke herunterbricht: Nach einigen Kapiteln zur Begriffsklärung untersucht er der Reihe nach die Rolle der einzelnen Teilnehmer des „Kunstbetriebs“ und wie sie zur Fehleranfälligkeit desselben beitragen. In diesen Abschnitten zu Sammlern, Händlern oder Experten geht es dann allerdings weniger um Funktionsträger eines Systems als um prominente Figuren, deren in Gerichtsverfahren oder Presseartikeln dokumentiertes Verhalten zu loben oder zu tadeln ist.

Skandalgeschichte mit bekannten Typen

Über weite Strecken ähnelt Butins Buch einer Skandalgeschichte des Kunstmarkts, die sich, in gehaltenem Tonfall vorgetragen, an bekannte Fakten hält und weitgehend ohne wohlfeile oder lüsterne Moralisierungen auskommt. Eine Systematik ergibt sich daraus zwar ebenso wenig wie der Aufriss eines Sozialen Systems, aber immerhin zeigen sich Verhaltensmuster und die dazugehörigen Typen. Butin lässt sie alle vor dem Publikum aufmarschieren: den geltungssüchtigen, obsessiven oder vor Objektliebe blinden Sammler; den profitorientierten Spekulanten, für den Kunst nur eine Anlagemöglichkeit ist; den Händler, der rufschädigende Fälschungsfälle unter den Teppich kehrt oder aus Kostengründen auf tiefgehende Prüfungen verzichtet; den Experten, der sich für unfehlbar hält oder nicht so genau hinsieht, weil positive Gutachten lukrativer sind; und schließlich den Museumsdirektor, der fürchtet, einen Sammler zu verprellen.

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Solches Fehlverhalten findet Butin bei den besten Adressen des Kunstmarkts und in nicht geringer Zahl, die, gemessen am enormen Gesamtdurchsatz des Wirtschaftsteilsystems Kunst, so groß allerdings auch wieder nicht ist. Beinahe immer fällt es leicht, in Butins Lob und Tadel einzustimmen, zumal beim beträchtlichen kölschen Anteil am „betrüglichen Objekt“. Selbstredend machte das Auktionshaus Lempertz in der Beltracchi-Affäre keine gute Figur, und man darf das Museum Ludwig ruhig schon mal prospektiv dafür loben, dass es seine Sammlung Russischer Avantgardekunst (ein wahres Eldorado der Fälscher) einer kritischen Überprüfung unterzieht und die Ergebnisse öffentlich ausstellen will. Allerdings sind Zweifel angebracht, ob eine bloße Beispielsammlung guter und schlechter (und vor allem sattsam bekannter) Verhaltensweisen dem Problem gerecht wird. So wissen etwa Auktionatoren selbst am besten, dass es ratsam wäre, sämtliche Kunstwerke, die sie versteigern, so gründlich wie möglich und im Zweifelsfall mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden auf ihre Echtheit hin zu überprüfen. Aber warum tun sie es dann nicht oder nicht in ausreichendem Maß? Ganz einfach: Weil die Kosten den Nutzen in den meisten Fällen übersteigen würden.

Toleranz für Fehler

Um funktionieren zu können, brauchen soziale Systeme so etwas wie eine Fehlertoleranz. Für den Kunstmarkt bedeutet dies, dass Fälschungen als unvermeidlich eingepreist sind, solange sie nicht das Geschäftsmodell gefährden, etwa indem Sammler das Vertrauen ins System verlieren. Schon deswegen haben die diversen Marktakteure ein vitales Interesse daran, Fälschungen zu entdecken, aus dem Verkehr zu ziehen und Betrüger anzuzeigen; dies geschieht ja auch, wie Butins Fallsammlung eindrucksvoll belegt. Gleichzeitig haben dieselben Akteure ein systembedingtes Interesse daran, dass Sicherheitsvorkehrungen nicht zum Kunden verschreckenden Preistreiber werden. Es fällt daher leicht, teure Gemeinschaftsprojekte zu fordern, wie es sie etwa bereits für die Werke Rembrandts oder Vincent van Goghs gibt. Aus Sicht des Kunstsystems wäre es freilich naiv anzunehmen, dass sich solche Modelle ohne Funktionsschäden auf die Gesamtheit des Warenhandels übertragen ließen.

Ob es einem gefällt oder nicht (hoffentlich letzteres): Wir werden mit Kunstfälschungen leben müssen und auch damit, dass sich das Publikum köstlich über die angebliche Dummheit des elitären Kunstmarkts amüsiert. Trotzdem lassen sich aus der Geschichte der Kunstfälschung etliche kostengünstige Lehren ziehen und Sicherheitsmaßnahmen, die bereits jetzt gut funktionieren (die vernetzte Recherche via Datenbanken etwa) weiter ausbauen. Dazu liefert Hubertus Butin eine mehr als brauchbare Übersicht. Woran es seinem Buch mangelt, ist ausgerechnet der Blick für systemische Funktionen. Wobei die viel beschworene Fälschungsanfälligkeit des Kunstbetriebs weniger im System als in der Natur der Sache liegt. In der Kunst gibt es kein vernünftiges Verhältnis zwischen Material- und Nutzwert einerseits und Marktwert andererseits. Gerade deswegen ist sie uns (und allen Fälschern) lieb und teuer.

Hubertus Butin: „Kunstfälschung – Das betrügliche Objekt der Begierde“, Suhrkamp Verlag, 476 S., 28 Euro. E-Book: ca. 24 Euro

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