Legendärer Kurator wird 80Wulf Herzogenrath zeigte Köln, dass moderne Kunst kein Quatsch ist

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Wulf Herzogenrath, Kurator und Direktor der Sektion Bildende Kunst, Akademie der Künste, steht in der Ausstellung „Magic Media, Media Magic“.

Wulf Herzogenrath 2019 in der Akademie der Künste in Berlin. Der Kunsthistoriker leitete 17 Jahre den Kölnischen Kunstverein.

Wulf Herzogenrath machte den Kölnischen Kunstverein zu einer der ersten Adresse für moderne Kunst. Jetzt wird der Kurator 80 Jahre alt.

Die Berliner Kunstwelt sei ihm zu satt und müde gewesen, sagte Wulf Herzogenrath einmal, weshalb er in den 1960er Jahren ins hungrige Rheinland geflohen sei. Allerdings war auch hier, wo sich die Städte ballen und balgen, offenbar nicht alles gut. Jedenfalls habe es selbst in Köln, Düsseldorf oder Essen viele Museumsleute gegeben, die den ganzen „modernen Quatsch“ nicht verstanden und im Grunde verachteten. Für Herzogenrath, der 1973 im zarten Alter von 28 Jahren die Leitung des Kölnischen Kunstvereins übernahm, erwies sich diese heute gerne verdrängte Borniertheit allerdings als Segen.

Wulf Herzogenrath übernahm in Köln als Antrittsgeschenk 100.000 DM Schulden

Insgesamt 17 Jahre führte Herzogenrath „seinen“ Kunstverein und zeigte bis 1989 etliche wegweisende Ausstellungen, etwa zum frühen Max Ernst, den Kölner Progressiven, Isa Genzken oder Nam June Paik. Er war als damals jüngster Kunstvereinsdirektor nach Köln gekommen und übernahm als Antrittsgeschenk 100 000 DM Schulden - seine Vorgänger hatten Wolf Vostell im Rahmen eines wahnwitzigen Kunstprojekts Kohlköpfe mit der Bahn hin und her schicken lassen und vergessen, den Pendelverkehr rechtzeitig zu kündigen. Vermutlich wollte sich diesen Job einfach niemand antun, der dachte, er hätte etwas zu verlieren.

Herzogenrath hatte hingegen vieles zu gewinnen, obwohl er für sein Alter bereits eine erstaunliche Karriere hinter sich hatte. 1967 setzte er sein Studium in Bonn aus, um den Katalog zur Ausstellung „50 Jahre Bauhaus“ im Württembergischen Kunstverein herauszugeben, eine Leistung, die ihn mitsamt der Ausstellung um die halbe Welt führte und ihm 1971 eine Anstellung als Leiter des Essener Kunstrings eintrug. Hier nötigte man ihn, ein geschenktes Videostudio zu betreuen, was ihm später half, Video als Kunstform zu „entdecken“. Allerdings lief Herzogenrath damit in Köln keinesfalls offene Türen ein. Im Zweifelsfall, nörgelte der „Kölner Stadt-Anzeiger“, lade dieser junge Direktor lieber einen koreanischen Exoten ein, als die einheimische Künstlerschaft zu fördern. Dabei hatte besagter Exot, Nam June Paik, als gern gesehener Gast im Studio von Mary Bauermeister sogar eine Kölner Vorgeschichte.

Aber wie so viele Zugereiste, sah und verstand er das Gute an Köln bald besser als die Einheimischen

Anfangs fand Herzogenrath Köln eher uninteressant („kein Künstler lebte hier“), und über die „Himmelhoch jauchzend zu Tode betrübt“-Haltung der Kölner wundert er sich immer noch. Aber der in Bielefeld aufgewachsene Ostwestfale wusste sich zu arrangieren. Seine Ausstellungsreihe „Fünf in Köln“ darf man wohl als lokalpatriotische Übung bezeichnen, die ihm den Rücken für anderes freihielt. 1974 richtete er mit den „Projekten“ eine Art Gegen-Documenta aus, und natürlich wurde Köln unter ihm eine Hochburg der Videokunst. Wie so viele Zugereiste sah und verstand er das Gute an Köln bald besser als die Einheimischen: Herzogenrath begeisterte internationale Künstler für den Dom und die romanischen Kirchen, und das vom Schweizer Künstler Daniel Spoerri im Kunstverein eingerichtete „Musée sentimentale“, eine Mischung sakraler und profaner Reliquien, hatte als Glanzstück jene Erbse, auf der die Heinzelmännchen einst ins Straucheln kamen.

Irgendwann hatte Herzogenrath in Köln alles erreicht und dem Kunstverein („Mein größer Triumph“) sogar zu einem Wagen beim Rosenmontagszug verholfen. Als er ging, war er einer der angesehensten Ausstellungsmacher der Republik und gab dem satten Berlin kurz vor dem Mauerfall eine zweite Chance. An der Nationalgalerie tüftelte er einige Jahre an der Konzeption des Museums Hamburger Bahnhof herum, wurde dort aber nicht glücklich. Als Direktor der Kunsthalle Bremen knüpfte er 1994 wieder an bessere Zeiten an und blieb bis zu seiner Pensionierung. Seit einigen Jahren lebt Herzogenrath („der Liebe wegen“) wieder in Köln und außerdem in Berlin, wo er bis 2021 als ehrenamtlicher Direktor in der Akademie der Künste tätig war.

In den 1970er Jahren stieg Köln zur modernen Kunstmetropole auf - Wulf Herzogenrath gehört zu dieser Geschichte wie die Art Cologne und das Sammlerpaar Irene und Peter Ludwig. Heute erscheint diese Zeit wie ein unerklärliches Wunder, sie war aber, wie Herzogenrath gerne betont, vor allem das Ergebnis harter Arbeit und kulturpolitischen Weitblicks. Manches habe aber auch das hungrige Köln vermasselt, so Herzogenrath, etwa die Stefan-Lochner-Medaille. Diese nach dem mittelalterlichen Kölner Maler benannte Auszeichnung wurde zwischen 1949 und 1990 für das Lebenswerk eines Künstlers verliehen – und dann sang- und klanglos eingestellt. Vielleicht war Köln damals berlinerisch geworden: zu satt und müde, um noch als Zukunft durchzugehen. An diesem Samstag wird Wulf Herzogenrath 80 Jahre alt.

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