Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa„Uns bedroht eine stille Atombombe“

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Die Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa in einem rosafarbenen Blazer und einem schwarzen Rollkragenpullover auf der Bühne der Balloni-Hallen

Die Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa bei der lit.Cologne-Veranstaltung in den Balloni-Hallen

Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa sprach auf der lit.Cologne darüber, wie Autokraten und Diktatoren Demokratien mittels sozialer Medien aushöhlen.

Seit 2018 geht die Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa auf den Philippinen nur noch mit einer kugelsicheren Weste auf die Straße. Die Journalistin wird bedroht und von der Regierung schikaniert, weil sie und das von ihr gegründete Online-Nachrichtenportal Rappler für Meinungsfreiheit kämpfen und unangenehme Fragen stellen.

Wie geht man mit dieser permanenten Bedrohung um, wollte Moderation Susanne Weingarten bei Ressas Auftritt auf der lit.Cologne in den Balloni-Hallen wissen. „Du musst deine Angst umarmen“, sagt Ressa, die auf den Philippinen geboren wurde, ihre Jugend und das Studium in den USA verbrachte und schließlich in ihre Heimat zurückkehrte. „Ich stelle mir das Schlimmste vor, das passieren könnte.“ Darauf bereite sie sich vor. Und meistens sei die Realität dann weniger schlimm als befürchtet.

Maria Ressa stellte schon immer gerne Fragen

Ihre Eltern hätten es lieber gesehen, sie wäre Ärztin („Ich kann kein Blut sehen“) oder Juristin geworden. Und mit ihrem Abschluss an der Elite-Universität Princeton wäre das auch gut möglich gewesen. Doch sie stellte schon immer gerne Fragen. Da sei es doch wunderbar, dafür bezahlt zu werden – und auch noch Antworten zu erhalten. „Journalistin zu sein, ist ein fantastischer Job, der notwendig ist für eine starke Demokratie.“

Aber es sei schwer, heutzutage diesen Beruf auszuüben. Vielen Menschen falle die Trennung zwischen Journalismus, PR und Influencern schwer, obwohl allein der Journalismus klaren Werten und Regeln folge. Ohne die Unterstützung der Zivilgesellschaft seien Journalisten aber heutzutage machtlos. Die Aufgaben seien schlicht zu groß. Deshalb sei es auch kein Zufall, dass nach zwei Journalisten im Jahr 2021 – Ressa und Dmitri Muratow – im vergangenen Jahr Menschenrechtsorganisationen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurden.

Wir erleben eine nukleare Katastrophe im Ökosystem der Informationen
Maria Ressa

Maria Ressa macht überhaupt keinen verzagten oder entmutigten Eindruck, im Gegenteil. Und dennoch ist sie in Sorge. Sie sieht die Demokratien dieser Welt massiv bedroht. In ihrem Buch „How To Stand Up To A Dictator“ beschreibt sie, wie Autokraten und Diktatoren sie mittels sozialer Medien aushöhlen. Aus ihrem Buch las die Schauspielerin Bibiana Beglau einige Passagen.

„Wir erleben eine nukleare Katastrophe im Ökosystem der Informationen“, führte Ressa ihre Gedanken in Köln aus. Doch die Atombombe, die uns bedrohe, explodiere ganz leise. Facebook, Twitter, TikTok und Co. nutzen ein Geschäftsmodell, das Überwachung für Profit einsetze. „In den sozialen Netzwerken verbreiten sich Lügen sechsmal schneller als Fakten“, betonte Ressa. „Doch ohne Fakten gibt es keine Wahrheit, ohne Wahrheit kein Vertrauen, ohne Vertrauen keine Demokratie.“ Der Krieg in der Ukraine etwa tobe nicht nur zwischen Russland und den Angegriffenen. Er werde auch in unseren Taschen, auf unseren Smartphones geführt.

Langfristig helfe gegen diese Bedrohung Erziehung, mittelfristig Gesetzgebung, kurzfristig seien wir aber alle gefordert. „Unsere Gefühle sind steinzeitlich, unsere Institutionen mittelalterlich, die Technologie ist gottgleich“, fasste sie die Diskrepanz zusammen. Die Lage sei ernst, der Kampf gegen Desinformation und Propaganda in den sozialen Netzwerken entscheidend. „Wir haben noch zwei Jahre, bis wir in den Abgrund stürzen, wenn nichts passiert“, so die 59-Jährige.

Bis 2024 gebe es 90 Wahlen auf der Welt, schon jetzt lebten weltweit rund 60 Prozent der Menschheit in autoritären Regimen. „Das sind unsere Kämpfe“, so Ressa, ihnen müssten wir uns alle stellen. Aufgeben ist für sie keine Option.

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